Sonntag, 20. Oktober 2019

Kapitel 89



Kapitel 89: Kern - Teil Elf
Schockierter Jiang Cheng

Erst nach einer langen Pause schrie Jiang Cheng schließlich: „Was für einen Unsinn redest du da?!“

Wen Ning schien etwas eingeschüchtert zu sein: „Es ist kein Unsinn.“

Jiang Cheng, „Halt die Klappe! Mein Kern war.... Mein Kern war....“

Wen Ning, „Wurde von BaoShan SanRen repariert.“

Jiang Cheng, „Woher weißt du das? Hat er dir sogar das erzählt?“

Wen Ning, „Das hat er nicht. Der junge Meister Wei hat es nie jemandem gegenüber erwähnt. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.“

Jiang Chengs Augen waren blutunterlaufen, als er plötzlich auflachte: „Lügner! Du warst dabei? Wie konntest du dort sein?! Ich war der Einzige, der den Berg hinaufgegangen ist; du hättest mir nicht folgen können!“

Wen Ning, „Ich bin dir nicht gefolgt. Ich war von Anfang an auf dem Berg.“

Die Venen traten deutlich auf Jiang Chengs Stirn hervor, „.... Lügner!“

Wen Ning, „Hör einfach zu und sieh selbst, ob ich lüge! Du hattest ein Stück schwarzes Tuch über deine Augen gebunden, als du den Berg hinaufgingst. Du hieltest einen langen Ast in der Hand. Du bist durch einen Steinwald gekommen, kurz bevor du den Gipfel erreicht hast, und du hast fast eine Stunde gebraucht, um ihn zu umgehen.“

Die Muskeln auf Jiang Chengs Gesicht zuckten leicht. Wen Ning fuhr fort: „Und dann hörtest du ein Glockenspiel. Das Glockenspiel schickte einen Schwarm von Vögel los, die davonflogen. Du hast den Ast fest in der Hand gehalten, wie ein Schwert. Als das Glockenspiel aufhörte, wurde ein Schwert gegen die Mitte deiner Brust gedrückt. Du hast die Stimme einer Frau gehört, die dir befohlen hat, nicht mehr weiter zu gehen.“

Jiang Chengs ganzer Körper begann zu zittern, als Wen Ning seine Stimme erhob: „Du bist sofort stehen geblieben, hast extrem nervös ausgesehen, fast ein wenig panisch. Die Stimme der Frau war sehr leise. Sie fragte dich, wer du bist und wie du zu diesen Ort gefunden hast. Du hast geantwortet....“

Jiang Cheng brüllte, „Halt die Klappe!“

Wen Ning brüllte auch, „.... Du hast antwortet, du seist Wei Ying, Sohn von ZangSe SanRen! Du hast über die Zerstörung deiner Sekte gesprochen, das Chaos am Lotus Pier, und dass dein goldener Kern von Wen ZhuLiu, der 'Kernschmelz-Hand', aufgelöst worden sei. Die Frau stellte dir immer wieder Fragen über deine Eltern, und als du die letzte Frage beantwortet hattest, hast du plötzlich etwas Duftendes gerochen, bevor du das Bewusstsein verloren hast....“

Jiang Cheng schien fast so, als wollte er sich mit den Händen die Ohren zuhalten: „Warum weißt du das? Woher weißt du das?!“

Wen Ning, „Habe ich dir das nicht schon gesagt? Ich war genau dort, aber nicht nur das, der junge Meister Wei war auch da. Neben uns beiden gab es da auch noch meine Schwester Wen Qing. Mit anderen Worten, auf dem ganzen Berg waren wir drei die einzigen, die auf dich gewartet hatten. Sektenführer Jiang, dachtest du wirklich, es sei die abgelegene Residenz einer.... einer BaoShan SanRen gewesen? Der junge Meister Wei selbst wusste auch nicht, wo auf der Erde er einen solchen Ort finden könnte. Seine Mutter ZangSe SanRen hat nie etwas darüber verraten, wo ihre Lehrerin lebte, als er noch ein ganz kleines Kind war! Der Berg war nichts weiteres als einer von YiLings kargen Gipfeln!“

Jiang Cheng schrie sich seine Stimme heiser und wiederholte immer und immer wieder die gleichen Dinge, als ob er mit den bösartigen Ausdrücken seinen plötzlichen Mangel an Worten verbergen wollte: „Unsinn! Das reicht verdammt nochmal! Wie konnte dann mein Kern repariert werden?!“

Wen Ning, „Dein Kern wurde von vornherein nicht repariert. Er war von Wen ZhuLiu längst komplett geschmolzen worden! Der Grund, warum du dachtest, dass er repariert worden wäre, war, dass meine Schwester Wen Qing, die die beste Ärztin der QishanWen-Sekte war, den goldenen Kern des jungen Meister Wei herausgeschnitten und deinen durch seinen ersetzt hat!“

Jiang Chengs Gesicht war für einen Moment völlig leer, „Meiner wurde durch seinen ersetzt?“

Wen Ning, „Das ist richtig! Warum glaubst du, hat er Suibian nie wieder benutzt und nie wieder mitgenommen, wenn er ausgegangen ist? War es wirklich wegen einer jugendlichen Arroganz? Hätte er es wirklich genießen können, während andere sagten, dass er unhöflich sei und keine Disziplin habe, ob hinter seinem Rücken oder nicht? Es war, weil, selbst wenn er es bei sich tragen würde, es keinen Nutzen dafür gäbe! Es war nur, weil.... wenn er sein Schwert zu diesen Banketten und Nachtjagden getragen hätte, dann hätte es definitiv Leute gegeben, die ihn aus welchen Gründen auch immer bedrängt hätten. Und er, ohne seinen goldenen Kern, war seiner spirituellen Energie beraubt. Wenn er sein Schwert benutzt hätte, dann hätte er nicht lange durchhalten....“

Jiang Cheng stand regungslos da. Seine Augen schimmerten grünlich. Seine Lippen bebten. Er hatte sogar vergessen, Zidian zu benutzen. Plötzlich warf er Suibian zu Boden und schlug hart mit der Hand gegen Wen Nings Brust und rief: „Lügner!“

Wen Ning taumelte durch diese aufgebrachte Kraft ein paar Schritte zurück. Er hob Suibian wieder auf, steckte es wieder in seine Scheide und schob es wieder in Jiang Chengs Arme, „Nimm es!“

Jiang Cheng konnte nicht anders, als das Schwert zu nehmen. Er bewegte sich nicht. Stattdessen, weil er nicht wusste, was zu tun war, blickte er ratlos zu Wei WuXian hinüber. Es war alles in Ordnung gewesen, als er nicht hingesehen hatte, aber jetzt, da er hinsah, sah er auch Wei WuXians schwächliches Aussehen - bleichgesichtig, das Blut noch an den Lippenwinkeln – und es traf sein Herz, als wäre dieser Anblick ein Hammer. Lan WangJis Augen schienen die Luft um seinen Körper herum abzukühlen und ließen das Bild wie eine Eishöhle erscheinen.

Wen Ning, „Nimm dieses Schwert und geh in den Bankettsaal, auf den Trainingsplatz, wohin du willst, und bitte jede einzelne Person, die du siehst, das Schwert herauszuziehen. Sieh nach, ob einer von ihnen es herausziehen kann! Und dann wirst du wissen, ob ich lüge oder nicht! Sektenführer Jiang - du, der von einer einzigen Person getrieben worden ist, hat sich stets sein ganzes Leben lang mit anderen verglichen, aber du hättest wissen müssen, dass man ihm nie hätte gleichkommen dürfen!“

Jiang Cheng trat noch einmal kräftig gegen Wen Ning, bevor er zum Festsaal stolperte und Suibian in der Hand hielt.

Er brüllte, während er rannte, als wäre er verrückt. Wen Ning war gegen einen der Bäume im Innenhof getreten worden. Er stand langsam auf und drehte sich zu den anderen beiden herum. Lan WangJis makelloses Gesicht war in diesem Augenblick mehr als blass. Sein Ausdruck schien ebenfalls wie von Frost bedeckt zu sein. Nach einem letzten Blick auf die Ahnenhalle der YunmengJiang-Sekte hob er den Körper von Wei WuXian an, so dass er ruhig lagerte und ging schließlich in die entgegengesetzte Richtung, ohne umzukehren.

Wen Ning, „Junger Meister Lan, wohin gehst du?“

Lan WangJis Gestalt hielt vor der Treppe inne: „Er sagte mir nur, ich solle ihn wegbringen.“

Wen Ning folgte ihnen sofort und ging mit ihm durch die Tore des Lotus Piers.

Am Steg waren die meisten der Boote, die sie hierher gebracht hatten, bereits zurückgekehrt, nachdem sie am Ziel angekommen waren. Nur zwei alte, unbeaufsichtigte Fähren waren noch am Dock zurückgeblieben. Die Fähren waren sowohl lang als auch schmal, sie waren wie Weidenblätter geformt und konnten sieben oder acht Personen aufnehmen. Beide Enden jeder Fähre waren nach oben gebogen, mit zwei Rudern an je einem Ende. Lan WangJi trug Wei WuXian auf dem Rücken und trat ohne zu zögern auf eine der Fähren. Eilig sprang Wen Ning auf das Heck des Bootes und nahm die Ruder freiwillig auf. Mit nur zwei Schlägen trieb die Fähre stetig einige Meter weit weg. Bald darauf folgte die Fähre dem Wasserfluss vom Dock weg und näherte sich der Mitte des Flusses.

Lan WangJi ließ Wei WuXian sich gegen seinen Körper lehnen. Er gab ihm zuerst zwei Pillen. Erst nachdem er sich versichert hatte, dass er sie richtig geschluckt hatte, nahm er sein Taschentuch heraus und wischte langsam das Blut auf seinem Gesicht weg.

Plötzlich kam Wen Nings nervöse Stimme zu ihnen rüber, „Junger Meister Lan.“

Lan WangJi, „Was ist?“

Wen Nings sicheres Auftreten, das er vor Jiang Cheng an den Tag gelegt hatte, war bereits spurlos verschwunden. Er rief sich all seinen Mut zusammen, bevor er sprach, „Bitte... Bitte sag dem jungen Meister Wei nicht, dass ich das Geheimnis seines Kerns schon enthüllt habe. Er hat mich sehr ernsthaft davor gewarnt, es niemandem zu sagen, egal was passiert. Obwohl ich ihn darüber wahrscheinlich nicht lange im Dunkeln lassen könnte, habe ich....“

Nach einer Schweigeminute antwortete Lan WangJi: „Keine Sorge.“

Es schien, dass Wen Ning einen Seufzer der Erleichterung ausstieß, obwohl die Toten keinen Atem zum Seufzen hatten. Er sprach ernsthaft: „Junger Meister Lan, danke.“

Lan WangJi schüttelte den Kopf. Wen Ning, „Danke, dass du dich damals für mich und meine Schwester am Karpfenturm eingesetzt hast. Ich habe mich immer daran erinnert. Dafür, dass ich danach die Kontrolle verloren habe, tut es mir wirklich leid.“

Lan WangJi antwortete nicht. Wen Ning fuhr fort: „Noch mehr danke ich dafür, dass du dich all die Jahre um A-Yuan gekümmert hast.“

Als Lan WangJi dies hörte, blickte er leicht nach oben. Wen Ning, „Ich dachte, jede einzelne Person aus meiner Sekte sei tot. Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass A-Yuan noch am Leben sein würde. Er sieht so sehr aus wie mein Cousin, als er etwa zwanzig war.“

Lan WangJi, „Er hatte sich zu lange in einem hohlen Baumstamm versteckt und starkes Fieber bekommen.“


Wen Ning nickte: „Ich weiß, dass er krank gewesen sein muss. Er erinnert sich an nichts aus seiner Kindheit. Ich habe lange mit ihm geplaudert. Er hat immer wieder über dich gesprochen.“


Er sagte etwas enttäuscht: „In der Vergangenheit ging es immer um den jungen Meister Wei.... Es ging sowieso nie um mich.“

Lan WangJi, „Du hast es ihm nicht gesagt.“

Wen Ning, „Du meinst wegen seiner Vergangenheit? Nein, habe ich nicht.“

Er drehte sich mit dem Rücken zu den beiden um und sprach, während er fleißig mit der Fähre weiterruderte: „Es geht ihm gerade sehr gut. Wenn er zu viel wüsste oder sich an Dinge erinnern würde, die zu belastend sind....dann würde es ihm nicht mehr so gut gehen so wie es jetzt gerade ist.“

Lan WangJi, „Es ist nur eine Frage der Zeit.“

Wen Ning zögerte einen Moment lang: „Ja. Es ist nur eine Frage der Zeit.“

Er blickte in den Himmel, „Genau wie beim jungen Meister Wei und dem Sektenführer Jiang. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Sektenführer Jiang vom Kern erfahren hätte. Er hätte es nicht sein ganzes Leben lang vom Sektenführer Jiang fernhalten können, oder?“

Die Nacht war still, und der Fluss floss schwer.

Plötzlich sagte Lan WangJi: „Ist es schmerzhaft?“

Wen Ning, „Was?“

Lan WangJi, „Den eigenen Kern herausschneiden. Ist es schmerzhaft?“

Wen Ning, „Wenn ich sage, dass es nicht so ist, junger Meister Lan, würdest du es auch nicht glauben, oder?“

Lan WangJi, „Ich dachte, Wen Qing würde einen Weg finden.“

Wen Ning, „Bevor wir den Berg hinaufgingen, machte meine Schwester viele Betäubungsmittel, in der Hoffnung, dass sie den Schmerz beim Herausschneiden seines Kerns lindern würden. Aber dann fand sie heraus, dass diese Anästhetika absolut nutzlos waren. Denn wenn die Person unter betäubten Bedingungen steht, während der Kern herausgeschnitten wird und sich vom Körper löst, dann würde auch der Kern selbst davon betroffen sein. Es war schwer zu sagen, ob er sich dabei auflösen würde, und wann er sich auflösen würde.“

Lan WangJi, „.... und so?“


Wen Nings Rudern hielt einen Moment inne, „Und daher musste die Person, deren Kern herausgeschnitten wird, bei vollem Bewusstsein sein.“

Er musste wach sein. Er musste zusehen, wie der goldene Kern, der mit seinen spirituellen Wegen verbunden war, aus seinem Körper geschält wurde. Er musste die allmähliche Unterdrückung, Sedierung und Besiedlung seiner ursprünglich aufsteigenden spirituellen Kräfte spüren, bis sie zu einer Quelle von totem Wasser wurden, das nicht mehr aufsteigen konnte.

Erst nach langer Zeit erklang Lan WangJis Stimme wieder, etwas heiser. Das erste Wort schien zu zittern: „Ständig wach?“

Wen Ning, „Zwei Nächte und ein Tag lang. Ständig wach.“

Lan WangJi, „Wie standen die Chancen?“

Wen Ning, „Etwa die Hälfte.“

Die Hälfte.“

Lautlos holte Lan WangJi tief Luft. Dann schüttelte er den Kopf und wiederholte: „....die Hälfte.“

Er zog den Arm, den er um Wei WuXians Schultern gelegt hatte, fester an sich. Seine Knöchel wurden bereits weiß.

Wen Ning, „Schließlich hatte es in der Vergangenheit noch nie jemand versucht, den goldenen Kern zu übertragen. Obwohl meine Schwester einen Aufsatz über Kerntransfer geschrieben hatte, hatte sie nur einige Vermutungen angestellt. Niemand würde sie an sich experimentieren lassen, also blieben die Vermutungen Vermutungen. Alle Senioren sagten, dass sie ihrer Fantasie freien Lauf gelassen hätte. Außerdem war es eher unrealistisch. Jeder wusste, dass niemand bereitwillig seinen goldenen Kern jemand anderem geben würde, denn wenn das wirklich geschehen würde, dann würde man selbst völlig nutzlos werden, und nie mehr in der Lage sein, den Gipfel zu erreichen oder überhaupt irgendwo im Leben hinzugehen. Als der junge Meister Wei zum ersten Mal zu uns kam, weigerte sich meine Schwester, es zu tun. Sie warnte ihn, dass der Artikel und die eigentliche Durchführung des Experiments zwei verschiedene Dinge seien. Sie war nicht einmal halbwegs zuversichtlich. Aber der junge Meister Wei hat sie immer wieder belästigt. Er sagte, dass die Hälfte auch in Ordnung sei. Es bestand die gleiche Chance auf Erfolg und Misserfolg. Wenn sein Kern ruiniert wäre, würde er es irgendwie schaffen, weiter zu leben, aber bei Sektenführer Jiang läge der Fall anders. Er war zu getrieben. Er legte zu viel Wert auf dieses Thema. Die Kultivierung war sein Leben. Wenn Sektenführer Jiang nur ein gewöhnlicher Mensch sein könnte, der nicht mehr in der Lage wäre, irgendetwas in seinem Leben zu erreichen, dann wäre das gleichzusetzen gewesen, als wäre sein ganzes Leben vorbei.“

Lan WangJi sah nach unten. Seine hellen Augen starrten auf Wei WuXians Gesicht, während er seine Hand ausstreckte. Am Ende streichelte er fast unbemerkt nur mit den Fingerspitzen über Wei WuXians Wange. Wen Ning drehte sich um. Er konnte nicht anders, als zu fragen: „Junger Meister Lan, du scheinst darüber nicht allzu überrascht zu sein. Hast du.... Wusstest du auch davon?“

„…“

Lan WangJi schaffte es schließlich zu antworten: „Ich wusste nur, dass seine spirituellen Kräfte irgendwie beeinträchtigt waren.“

Aber zu denken, dass dies die Wahrheit war...

Wen Ning, „Wenn das nicht gewesen wäre....“

Wenn das nicht gewesen wäre, hätte es da einen zweiten Weg, auf dem man hätte gehen können, gegeben?

In diesem Moment bewegte sich der Kopf, der sich gegen Lan WangJis Schulter gelehnt hatte, leicht. Wei WuXians Wimpern zitterten, während er langsam erwachte.





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