Kapitel 88: Kern – Teil Zehn
Die Wahrheit hinter dem goldenen Kern
Als Jiang Cheng ihn beschuldigte, wollte sich Wei WuXian überhaupt nicht verteidigen, aber er konnte es einfach nicht ertragen, wenn solche Worte an Lan WangJi gerichtet wurden.
Wei WuXian, „Jiang Cheng, hör dir einfach mal selbst zu. Was willst du damit sagen? Ist das angemessen? Vergiss nicht, wer du bist. Schließlich bist du der Anführer einer Sekte. Einen berühmten Kultivierenden vor den Geistern von Onkel Jiang und Herrin Yu zu beleidigen - wo ist deine Disziplin?“
Seine ursprüngliche Absicht war es, Jiang Cheng daran zu erinnern, zumindest etwas Respekt vor Lan WangJi zu haben. Doch an diesem Punkt war Jiang Cheng am empfindlichsten. Aus diesen Worten schloss er, dass er wohl nicht geeignet sei, ein Sektenführer zu sein. Sofort kroch die Dunkelheit über sein Gesicht und ließ ihn eine unheimliche Ähnlichkeit mit Herrin Yu haben, wenn sie wütend gewesen war. Seine Stimme klang hart: „Wer ist derjenige, der meine Eltern vor ihren Augen beleidigt?! Könnt ihr beide bitte verstehen, in welcher Sekte ihr euch befindet? Es ist mir egal, ob du dich draußen so schamlos verhältst, aber wage es nicht, in unserer Ahnenhalle herumzualbern, vor den Geistern meiner Eltern! Schließlich waren sie es, die dich erzogen haben – selbst wenn ich mich für dich schäme!“
Wei WuXian hätte nie erwartet, dass ihm das einen so großen Schlag versetzen würde. Er war schockiert und wütend zugleich, und aus ihm platzte es heraus, „Halt die Klappe!“
Jiang Cheng zeigte nach draußen, „Macht da draußen, was immer ihr wollt, ob unter einem Baum oder auf einem Boot, umarmend oder wie auch immer! Aber verschwindet aus meiner Sekte, verschwindet aus dem Bereich, in dem euch meine Augen sehen können!“
Als Wei WuXian hörte, wie er 'unter einem Baum' erwähnte, fühlte er, wie sein Herz einen Schlag aussetzte - hatte Jiang Cheng etwa die Szene gesehen, wie er in Lan WangJis Arme gesprungen war?
Seine Vermutung war nicht ganz falsch. Jiang Cheng war tatsächlich hinaus gegangen, um Wei WuXian und Lan WangJi zu finden. Er folgte der Richtung, die ihm der Straßenverkäufer angezeigt hatte. Eine Stimme in seinem Herzen schien ihm ebenso gesagt zu haben, an welche Orte Wei WuXian definitiv gehen würde. Er holte sie nach einer Weile ein. Doch zufällig sah er Wei WuXian und Lan WangJi in einer innigen Umarmung unter einem Baum stehen und die beiden schienen nicht bereit zu sein, sich auch nach so langer Zeit loszulassen.
Gänsehaut war sofort über Jiang Chengs Körper gelaufen.
Obwohl er schon zuvor einmal Vermutungen über die Beziehung zwischen Mo XuanYu und Lan WangJi geäußert hatte, so waren das nur Angriffe gewesen, die versucht hatten, Wei WuXian zu beleidigen, und nicht, weil er wirklich daran zweifelte. Er hätte nie gedacht, dass Wei WuXian eine mehrdeutige Verbindung zu einem Mann haben würde, denn schließlich hatte Wei WuXian, als sie zusammen aufgewachsen waren, nie ein solches Interesse bekundet. Er hatte sich schon immer leidenschaftlich für gutaussehende Mädchen interessiert. Auf der anderen Seite war es für Lan WangJi noch unmöglicher. Er war berühmt für seine Askese, wo man sich scheinbar weder für Männer noch für Frauen interessierte.
Aber solche Umarmungen waren abnormal, egal wie man es betrachtete. Zumindest wirkten sie nicht wie normale Freunde oder Brüder. Er erinnerte sich sofort daran, dass Wei WuXian seit seiner Rückkehr immer bei Lan WangJi geblieben war. Lan WangJis Einstellung zu ihm war auch anders als vor seiner Wiedergeburt. Sofort war er sich fast sicher, dass die beiden wirklich in dieser Art von Beziehung waren. Er hatte sich nicht umdrehen und gehen können, aber er wollte auch kein einziges Wort zu den beiden sagen, also hatte er sich weiterhin versteckt gehalten, während er ihnen gefolgt war. Jeder einzelne Blick und jede Bewegung, die zwischen ihnen stattfand, schien in seinen Augen anders zu sein. Für eine Weile ließen der Schock, die Absurdität und der leichte Ekel, den er fühlte, seinen Hass überwinden. Erst nachdem Wei WuXian Lan WangJi in die Ahnenhalle gebracht hatte, wurde der lang unterdrückte Hass wieder geweckt und verschlang seine Höflichkeit und Rationalität.
Wei WuXian hielt sich zurück, „Jiang WanYin, du... entschuldigst dich jetzt sofort.“
Jiang Cheng spottete: „Entschuldigen? Wofür? Dafür, dass ihr euch euer Ding gegenseitig gezeigt habt?“
Wei WuXian war wütend: „HanGuang-Jun ist nur mein Freund - was glaubst du denn, was wir sind?! Ich warne dich. Entschuldige dich jetzt - lass mich dich nicht verprügeln müssen!“
Als er das hörte, erstarrte Lan WangJis Ausdruck für einen Moment. Jiang Cheng lachte: „Nun, dann habe ich wohl noch nie zuvor solche 'Freunde' gesehen?! Du warnst mich?! Vor was warnst du mich? Wenn ihr beide die geringste Spur von Integrität hättet, dann hättet ihr nicht herkommen sollen und....“
Wei WuXian sah die Veränderung in Lan WangJis Ausdruck und dachte, das er sich durch Jiang Chengs Worte beleidigt fühlte. Er war so wütend, dass sein ganzer Körper zitterte. Er wagte es nicht, darüber nachzudenken, was Lan WangJi denken würde, nachdem er so beschämt worden war. Die Wut in seinem Herzen stieg ihm zu Kopf, als er einen Talisman auswarf: „Bist du jetzt fertig?“
Der Talisman war sowohl schnell als auch mächtig. Er explodierte an Jiang Chengs rechter Schulter und ließ ihn taumeln. Jiang Cheng hatte nicht erwartet, dass Wei WuXian so plötzlich angreifen würde. Auch seine geistigen Kräfte hatten sich noch nicht vollständig erholt, und so hatte der Talisman sein Ziel treffen können. Blut sickerte aus seiner Schulter, während Unglaube über sein Gesicht zog. Zidian entwirrte sich sofort von seinen Fingern und schlug mit knisterndem Licht aus.
Lan WangJi hatte Bichen ausgezogen, um den Angriff zu blockieren. Die drei begannen, in der Ahnenhalle zu kämpfen.
Jiang Chengs Stimme war so hässlich wie der Blick aus seinen Augen: „Sehr schön! Dann lasst uns kämpfen! Denkt ihr, ich habe Angst?!“
Doch während er ein paar Angriffe abwehrte, erinnerte sich Wei WuXian plötzlich daran. Dies war die Ahnenhalle der YunmengJiang-Sekte. Erst vor kurzem hatte er hier niedergekniet und um den Segen des Paares Jiang gebeten, doch jetzt war er gerade dabei, ihren Sohn zusammen mit Lan WangJi anzugreifen, direkt vor ihren Augen!
Wie von einem eisigen Wasserfall übergossen, spürte er, wie das Licht in seinen Augen zwischen Hell und Dunkel hin und her flackerte. Lan WangJi blickte ihn an, bevor er herumwirbelte und ihn an seinen Schultern packte. Auch der Ausdruck von Jiang Cheng änderte sich. Er stoppte seine Peitsche, während seine Augen vor Wachsamkeit schimmerten.
Lan WangJi, „Wei Ying?!“
Seine tiefe Stimme erklang in Wei WuXians Ohren und hallte endlos wider.
Wei WuXian begann zu zweifeln, ob auch alles mit seinen Ohren in Ordnung war: „Was ist los?“
Er fühlte, wie etwas über sein Gesicht strich, doch als er noch oben griff, um es zu fassen, kehrte seine Hand nur in einem Scharlachrot zurück. Begleitet von Schwindelanfällen tropfte ihm das Blut weiter über seine Nase und seinen Mund auf den Boden.
Diesmal täuschte er es wirklich nicht mehr vor.
Wei WuXian konnte kaum noch stehen und hielt sich an Lan WangJis Arm fest. Als er sah, dass die weißen Kleider, die sich Lan WangJi gerade erst angezogen hatte, wieder durch sein Blut rot verfärbt wurden, konnte er nicht anders, als sie abzuwischen, besorgt und zu diesem Zeitpunkt völlig unangebracht, Ich mache seine Kleider wieder schmutzig.
Lan WangJi, „Wie fühlst du dich?!“
Wei WuXian beantwortete die Frage nicht: „Lan Zhan... Lass uns gehen.“
'Geht. Geht jetzt!
Kommt nie wieder zurück.'
Lan WangJi, „Ja.“
Er hatte vollkommen die Absicht verloren, den Kampf mit Jiang Cheng fortzusetzen. Ohne etwas zu sagen, hob er Wei WuXian auf und drehte sich um, um zu gehen. Jiang Cheng war voller Schock und Zweifel. Er war schockiert darüber, dass Wei WuXian plötzlich in einem so schrecklichen Zustand war, bezweifelte aber, dass dies eine Täuschung sein konnte, die Wei WuXian erfand, um dieser Situation zu entkommen. Schließlich hatte Wei WuXian dies in der Vergangenheit oft genutzt, um ihm Streiche zu spielen.
Als er sah, dass die beiden gleich gehen würden, rief er: „Halt!“
Lan WangJi sah auf, „Wir gehen!“
Was auch kam, war Bichen, das eine ungeheure Kraft ausstieß. Zidian schlug ebenfalls zu, und die beiden prallten aufeinander und verstrickten sich in einem ohrenbetäubenden Kampf.
Beeinflusst durch diese lauten Geräusche hatte Wei WuXian das Gefühl, dass sich sein Kopf in zwei Teile spalten würde. Wie ein sterbendes Kerzenlicht, das schließlich ausgeblasen wurde, schloss er die Augen, und sein Kopf sackte nach unten. Lan WangJi fühlte das Gewicht auf seiner Schulter und zog sich aus dem Kampf zurück, um seine Atmung zu kontrollieren. Ohne die Hilfe seines Besitzers wurde Bichen langsam von der sich nähernden Zidian überwältigt. Jiang Cheng wollte Lan WangJi nicht wirklich treffen und zog sofort seine Peitsche zurück, aber es war schon zu spät. Doch gerade in diesem Moment sprang eine Gestalt von der Seite her nach unten und blockierte den Weg zwischen den beiden.
Jiang Cheng sah auf, nur um festzustellen, dass der ungebetene Gast Wen Ning war. Sofort wütete er: „Wer hat dich in den Lotus Pier gelassen?! Wie kannst du es wagen!“
Er hätte es schaffen können, jeden anderen zu tolerieren, aber definitiv nicht Wen Ning, den Wen-Hund, der seine Hand durch Jin ZiXuans Brust gejagt hatte und sowohl das Glück seiner Schwester als auch ihr Leben damit beendet hatte. Nur ein Blick auf ihn, und er verspürte den Drang, ihn gleich hier und jetzt zu töten. Wie hatte er es auch nur wagen können, einen Fuß auf die Erde des Lotus Piers zu setzen - er schien wirklich nach seinem Tod zu suchen!
Wegen der beiden Leben und aus vielen anderen Gründen hatte sich Wen Ning immer schuldig gefühlt, und so hatte er immer etwas Angst vor Jiang Cheng gehabt, indem er ihn bewusst die ganze Zeit gemieden hatte. Im Moment jedoch blockierte er ihm seine Sicht auf Wei WuXian und Lan WangJi, als er sich ihm stellte und die harte Peitsche festhielt. Eine grausame Verbrennung kletterte über seine Brust, aber er zuckte nicht zurück.
Nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass Wei WuXian sich aufgrund extremer Müdigkeit und Wut nur vorübergehend in einem Zustand der Bewusstlosigkeit befand, riss Lan WangJi schließlich seinen Blick von ihm weg. Er sah, dass Wen Ning etwas in seinen Händen hielt und es in Jiang Cheng Richtung hielt. Zidian, in Jiang Chengs rechter Hand, leuchtete so hell, dass er fast weiß war, sein Licht wogte neben der Tötungsabsicht in ihm. Er lachte vor Wut: „Was willst du?“
Das Objekt war Wei WuXians Schwert, Suibian. Auf dem Weg hier her hatte es Wei WuXian überall liegen lassen, weil es ihn zu sehr störte. Am Ende hatte er es Wen Ning in seine Obhut gegeben. Wen Ning hielt es weiterhin, während er sprach: „Zieh es raus.“
Sein Ton war fest, und seine Augen zeigten Entschlossenheit. Er hatte nichts mehr von seinem bisher leeren Blick übrig.
Jiang Cheng, „Ich warne dich. Wenn du nicht noch einmal in Asche verwandelt werden willst, dann beweg deine Füße sofort vom Boden des Lotus Piers. Verschwinde!“
Wen Ning stieß sich fast die Schwerthülle in seine Brust. Seine Stimme ertönte: „Tu es. Zieh es raus!“
Der Ärger schwoll in Jiang Cheng an. Sein Herz schlug ohne Grund. Aus welchem Grund auch immer, tat er nun wirklich das, was Wen Ning gesagt hatte. Er nahm Suibians Griff mit der linken Hand und zog fest daran.
Eine weiße, grelle Klinge wurde aus ihrer schlichten Ummantelung genommen!
Jiang Cheng starrte auf das schimmernde Schwert in seiner Hand. Er erkannte es erst nach wenigen Augenblicken.
Das Schwert war Suibian, Wei WuXians Schwert. Nach der Belagerung der Grabhügel war es von den Leuten der LanlingJin-Sekte als Kampftrophäe eingesammelt worden. Es hatte sich längst von selbst versiegelt. Von denjenigen, die es später versucht hatten, konnte es nicht ein einziger herausziehen.
Aber warum sollte er es tun können? Hatte das Schwert sein Siegel aufgehoben?
Wen Ning, „Es liegt nicht daran, dass das Schwert sein Siegel gehoben hat! Selbst jetzt ist es noch versiegelt. Wenn du es wieder in die Scheide steckst und jemand anderen bittest, es herauszuziehen, dann wird ihm das nicht gelingen.“
Die totale Verwirrung in Jiang Cheng war auf seinem Gesicht zu erkennen: „Warum konnte ich es dann herausziehen?“
Wen Ning, „Weil das Schwert dich für den jungen Meister Wei hält.“
Lan WangJi legte sich den bewusstlosen Wei WuXian auf dem Rücken und stand auf.
Jiang Cheng rief aus: „Was meinst du damit, das Schwert hält mich für Wei WuXian? Wie?! Warum sollte ich es sein?!“
Wen Nings Stimme wurde nun noch viel härter: „Weil der goldene Kern, der sich gerade in dir befindet, seiner ist!“
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