Kapitel
78: Nachtflug - Teil Drei
Sterbt
mit ihr.... Ihr alle!
Diese Leute hatten
gedacht, dass sie definitiv einen schrecklichen Tod durch den
YiLing-Patriarchen sterben würden, bevor sie zu wandelnden Leichen
unter seiner Kontrolle werden würden. Alle von ihnen schienen Angst
zu haben. Wei WuXian war jedoch nicht mehr daran interessiert, sich
mit ihnen zu beschäftigen. Nachdem er mit dem Lesen der Ankündigung
fertig war, ließ er die Gruppe auf dem Boden liegend zurück und
ging mit den Händen auf dem Rücken weg.
Er hatte nicht alle diese
dunklen Geister zurückgerufen. Auf dem Boden stöhnen diejenigen
weiter, die zuvor schon gestöhnt hatten, und es wanden sich
diejenigen weiter, die sich zuvor schon gewunden hatten. Niemand von
ihnen war in der Lage aufzustehen.
Einige Zeit später sahen
sie plötzlich einen blauen Schwertblick vorbeiziehen. Sie spürten
sofort, wie sich die Last auf ihren Rücken entfernte. Jemand rief
aus: „Ich kann mich bewegen!“
Einige von ihnen standen
auf und sahen, wie das Schwert in die Scheide einer Person
zurückkehrte. Es war ein gutaussehender Mann in sehr jungen Jahren.
Er trug weiße Gewänder und ein Stirnband und der Ausdruck auf
seinem Gesicht war ernst, auch wenn es einen unterdrückten Zug der
Sorge darin zu geben schien. Er war mit hoher Geschwindigkeit
gekommen, aber es wirkte, als schien er sich überhaupt nicht beeilt
zu haben. Nicht einmal die Ecken seiner Gewänder schwankten.
Der Kultivierende, der
sich die Beine gebrochen hatte, sprach: „Han-.... HanGuang-Jun!“
Lan WangJi stand neben
ihm, beugte sich nach unten und drückte auf seine Beine, um seine
Wunden zu untersuchen. Seine Verletzungen waren nicht zu schwer. Er
stand auf, aber bevor er etwas sagen konnte, fuhr der Kultivierende
fort: „HanGuang-Jun, du bist zu spät gekommen. Wei WuXian ist
einfach gegangen!“
Viele Leute wussten, dass
HanGuang-Jun von der GusuLan-Sekte in den letzten Tagen überall nach
dem Aufenthaltsort von Wei WuXian gesucht hatte, wahrscheinlich
wollte er die Dinge mit ihm regeln und ihn für die Dutzenden von
Leben bezahlen lassen, die die GusuLan-Sekte verloren hatte.
Jemand rief eilig: „Ja,
er ist seit weniger als einer Stunde weg!“
Lan WangJi, „Was hat er
getan? Wohin ist er gegangen?“
Die Leute fingen sofort
an, sich zu beschweren: „Er kämpfte ohne Rücksicht auf
irgendetwas mit uns und tötete uns fast alle auf der Stelle!“
Lan WangJis Finger,
versteckt innerhalb der schneeweißen Ärmel, zuckten leicht, als
wollte er sie zu Fäusten ballen. Er lockerte sie jedoch schnell.
Der Kultivierende fügte
schnell hinzu: „Aber er sagte bereits, dass er in die 'Nachtlose
Stadt' gehen würde, um die Dinge mit den vier großen Sekten zu
klären!“
Nachdem die
QishanWen-Sekte zerstört worden war, waren die Hauptpaläste der
'Nachtlosen Stadt' zu einem prächtigen, aber leeren Ruinenhaufen
geworden.
Vor dem höchsten Ort der
ganzen 'Nachtlosen Stadt', dem Palast der Sonne, befand sich ein
breiter Platz. Drei hohe Fahnen hatten aufrecht gen Himmel an der
Vorderseite des Platzes gestanden, aber jetzt waren zwei von ihnen
gebrochen. Die letzte, die übrig geblieben war, war eine Fahne mit
dem Motiv der Sonne und der Flammen, obwohl sie zerfetzt und mit Blut
bespritzt war.
In dieser Nacht füllten
quadratisch angeordnete Reihen von Sekten, sowohl große als auch
kleine, den gesamten Platz. Die mit Wappen bestickten Flaggen einer
jeden Sekte flatterte im Nachtwind. Vor den zerbrochenen Fahnenmasten
befand sich ein temporärer Altar. Vor ihrer jeweiligen Gruppe
stehend, wurde jedem Sektenführer von Jin GuangYao ein Becher Wein
überreicht. Nachdem sie den Wein erhalten hatten, hoben die
Sektenführer ihre Becher hoch und gossen den Inhalt auf den Boden.
Nachdem der Wein in den
Dreck gesickert war, sagte Jin GuangShan: „Egal welche Sekte, egal
welcher Nachname - dieser Becher Wein ist für die Soldaten, die
gestorben sind.“
Nie MingJue, „Mögen
ihre Seelen weiterleben.“
Lan XiChen, „Ruhet in
Frieden.“
Jiang Cheng hatte einen
finsteren Ausdruck auf dem Gesicht. Er sagte nichts, auch nicht,
nachdem er den Wein vergossen hatte.
Danach ging Jin GuangYao
aus dem Bereich der LanlingJin-Sekte heraus und präsentierte mit
beiden Händen eine quadratische Box aus schwarzem Eisen. Jin
GuangShan nahm die Schachtel mit einer Hand entgegen und hob sie hoch
in die Luft und rief: „Hier drin befindet sich die Asche der
Überreste der Wen-Sekte!“
Nachdem er gesprochen
hatte, sandte er seine spirituelle Energie aus und zerschmetterte die
Kiste mit seiner bloßen Hand. Die Eisenbox brach in Stücke, und
weißer Staub verteilte sich im kalten Wind.
Die Verteilung der Asche!
Eine Reihe von Jubelrufen
schien förmlich in der Menge zu explodieren. Jin GuangShan hob die
Hände und signalisierte den Leuten, ruhig zu sein und ihm beim Reden
zuzuhören. Als die Jubelrufe langsam nachließen, fuhr er fort und
erhob seine Stimme: „Heute Abend waren es die Überreste der beiden
Führer der Wen-Sekte, deren Asche wir verstreut haben. Und morgen!
Morgen werden es die Reste der Wen-Hunde und des YiLing-Patriarchen
Wei Ying sein!“
Plötzlich unterbrach ein
leises Lachen seine große Rede. Das Lachen war zu unangebracht, es
klang sowohl hart als auch ruckartig. Im Gleichklang drehte sich die
Menge um, um zu sehen, woher dieser Klang kam.
Der Palast der Sonne war
ein ziemlich prächtiger Palast. Insgesamt zwölf Firste bildeten ihr
Dach, und am Ende jedes Firstes befanden sich acht himmlische Tiere.
Doch im Moment erkannten die Leute, dass es auf einem dieser Firste
neun waren. Das Lachen von vorhin kam von da drüben!
Das zusätzliche Tier
bewegte sich leicht. Im nächsten Moment baumelten ein Stiefel und
der Saum von schwarzer Kleidung vom Dach herunter und schwangen
leicht hin und her.
Jeder legte seine Hand
auf seinen Schwertgriff. Jiang Chengs Pupillen schrumpften zusammen.
Blaue Adern erschienen auf seinem Handrücken. Jin GuangShan wurde
von Schock und Hass überwältigt: „Wei Ying! Wie kannst du es
wagen, dich hier zu zeigen!“
Die Person öffnete ihren
Mund, um zu sprechen. Was dabei herauskam, war zwar die Stimme von
Wei WuXian, aber er sprach in einem seltsamen Tonfall: „Warum
sollte ich es wagen, mich nicht hier zu zeigen? Seid ihr hier
überhaupt über dreitausend Leute? Vergiss nicht, dass ich damals in
der Sunshot-Kampagne, nicht nur dreitausend, sondern alleine gegen
fünftausend gekämpft habe. Und damit, dass ich hier erschienen bin,
kann doch nur euren Wünschen entsprechen, nicht wahr? Es ist nicht
nötig, dass ihr morgen den ganzen Weg zu mir nach Hause kommst, um
meine Asche zu verstreuen.“
Einige der Schüler der
QingheNie-Sekte waren ebenfalls durch die Hände von Wen Ning
gestorben, daher sprach Nie MingJue kalt: „Welche Arroganz.“
Wei WuXian, „War ich
nicht schon immer arrogant? Sektenführer Jin, wie fühlt es sich an,
sich selbst ins Gesicht geschlagen zu haben? Wer war derjenige, der
sagte, er würde die Sache auf sich beruhen lassen, wenn die
Wen-Geschwister zum Karpfenturm kommen und sich ergeben würden? Und
wer war derjenige, der gerade gesagt hat, dass er morgen meine Asche
und die Asche der Überreste der Wen-Sekte verstreuen würde?“
Jin GuangShan,
„Betrachten wir doch die Dinge einmal so, wie sie gerade stehen!
Auf dem Qiongqi Pfad hast du über hundert der Schüler der
LanlingJin-Sekte abgeschlachtet - das ist eine Sache. Du hast Wen
Ning am Karpfenturm töten lassen - das ist eine weitere....“
Wei WuXian, „Dann lass
mich dich fragen, Sektenführer Jin, auf dem Qiongqi Pfad, wer war
derjenige, der überfallen wurde? Und wer war derjenige, der getötet
wurde? Wer war da der Initiator? Und wer war derjenige, gegen den man
intrigiert hat? Wer war am Ende derjenige, der mich zuerst provoziert
hat?“
Versteckt in einer so
großen Menge fühlten sich die Jünger in ihren Bereichen alle
ziemlich sicher. Tapfer riefen sie: „Auch wenn Jin ZiXun derjenige
war, der dich zuerst in den Hinterhalt gelockt hat, hättest du nicht
so herzlos sein und so viele Leben nehmen sollen!“
„Oh,“ half Wei WuXian
ihnen beim analysieren, „Wenn er mich töten wollte, müsste er
nicht darüber nachdenken, ob es ein tödlicher Schlag wäre oder
nicht, und wenn ich sterben würde, dann wäre es mein eigenes Pech.
Wenn ich mich aber schützen will, dann muss ich zuvor darüber
nachdenken, dass ich diesem und jenen keinen Schaden zufüge, und
dabei auch bloß niemandem ein Haar krümme? Abschließend möchte
ich sagen, dass ihr alle mich belagern könntet, aber ich darf dann
nicht zurückschlagen, oder wie?“
Sektenführer Yao erhob
seine Stimme, „Dich wehren? Die über hundert Leute und die dreißig
auf dem Karpfenturm waren alle unschuldig. Wenn du dich nur gewehrt
hättest, warum hast du sie dann mit einbezogen?“
Wei WuXian, „Die
fünfzig Kultivierenden auf dem Grabhügel sind auch unschuldig, also
warum müsst ihr sie mit einbeziehen?“
Jemand anderes spuckte:
„Welche große Güte haben dir denn die Wen-Hunde zuteil werden
lassen, dass du so auf der Seite dieses Abschaums bist.“
„Meiner Meinung nach
gibt es überhaupt keine große Güte. Es ist nur so, dass er denkt,
dass er ein Held ist, der gegen die ganze Welt kämpfen muss. Er
denkt, dass er einen Akt der Gerechtigkeit vollbringt, dass er selbst
ein ziemlich beeindruckender Mensch ist, der die Verdammung aller
riskiert!“
Als Wei WuXian das hörte,
schwieg er.
Die Menge verstand sein
Schweigen als Rückzug: „Wenn wir es darauf reduzieren, dann wärst
du der Erste, der Jin ZiXun mit einem so dunklen Fluch belegt hätte!“
Wei WuXian, „Darf ich
euch fragen, welche Beweise ihr dafür vorbringt, dass ich derjenige
war, der den Fluch gelegt hat?“
Derjenige, der die Frage
gestellt hatte, war sprachlos. Er sprach einem Moment später: „Hast
du dann Beweise dafür, dass du nicht derjenige warst, der diesen
Fluch verhängt hat?“
Wei WuXian lächelte:
„Dann lass mich dich noch einmal fragen - warum könntest du es
nicht gewesen sein? Du hast auch keine Beweise dafür, dass du nicht
derjenige warst, der den Fluch verhängt hat, oder?“
Die Person war schockiert
und wütend zugleich: „Ich? Wie könnte ich so sein wie du?
Vermische hier nicht Schwarz mit Weiß! Du bist hier der
Verdächtigste. Glaubst du, das wissen wir nicht? Du und Jin ZiXun,
ihr begegnet euch seit einem Jahr feindselig!“
Wei WuXians Stimme
klirrte wie Eis: „Wer ist derjenige, der das Schwarze mit dem
Weißen vermischt? Das ist richtig. Wenn ich ihn töten wollte, hätte
ich es vor einem Jahr getan. Das hätte ich mir nicht bis heute
aufgehoben. Ansonsten vergesse ich einen solchen Menschen nämlich in
weniger als drei Tagen, geschweige denn, dass ich mich noch in einem
Jahr an ihn erinnere.“
Sektenführer Yao war
schockiert, „.... Wei WuXian, Wei WuXian, heute bin ich dank dir
endlich zu einer Erkenntnis gekommen. Ich habe noch nie einen Gegner
gesehen, der so unvernünftig ist wie du.... Sogar nachdem du die
Menschen getötet hast, musst du sie noch mit Worten beschämen. Hast
du kein Mitgefühl, keine Schuldgefühle?“
Die Menge warf Flüche
auf ihn, aber Wei WuXian akzeptierte sie alle.
Wut war das Einzige, was
die anderen Gefühle in seinem Herzen unterdrücken konnte.
Einer der Kultivierenden,
der in einer der ersten Reihen in seinem Bereich stand, kommentierte
bitter: „Wei Ying, du enttäuschst mich so sehr. Es gab eine Zeit,
in der ich dich bewunderte und sagte, dass du zumindest jemand seist,
der eine eigene Sekte gegründet hat. Wenn ich jetzt darüber
nachdenke, ist es fast abstoßend. Von diesem Moment an werde ich für
immer auf der dir gegenüberstehenden Seite stehen!“
Als Wei WuXian das hörte,
hielt er zunächst inne, explodierte aber dann bald vor Lachen,
„Hahahahaha....“
Er lachte so heftig, dass
er fast nicht mehr atmen konnte: „Du hast mich bewundert? Du
sagtest, du bewunderst mich, aber warum habe ich dich dann nie dabei
gesehen, wie du mich bewundert hast? Und sobald ich von allen
verabscheut werde, springst du heraus aus deinem Loch und schwenkst
deine kleine Flagge?“
Tränen des Lachens
traten aus den Augenwinkeln von Wei WuXian: „Deine Bewunderung ist
ein bisschen zu billig, nicht wahr? Du hast gesagt, dass du für
immer auf der anderen Seite von mir stehen wirst. Sehr gut. Denkst
du, das Wissen, dass du auf der anderen Seite stehst beeinflusst mich
überhaupt? Sowohl deine Bewunderung als auch dein Hass sind so, so
unbedeutend. Wie konntest du nur so schamlos sein, sie vor anderen so
deutlich zu zeigen?“
Bevor er fertig werden
konnte, spürte er plötzlich etwas an seiner Kehle. Ein stumpfer
Schmerz stieg aus seiner Brust empor. Er blickte nach unten, um einen
befiederten Pfeil in der Mitte seiner Brust zu sehen. Die Spitze des
Pfeils hatte sich zwischen zwei seiner Rippen vergraben.
Er blickte auf die
Richtung, aus der der Pfeil gekommen war. Derjenige, der den Pfeil
abgeschossen hatte, war ein junger Kultivierender mit zarten
Gesichtszügen. Er stand vor der Schutz-Anordnung einer kleinen Sekte
und behielt immer noch die Pose, seine Bogensehne vibrierte noch.
Wei WuXian konnte
erkennen, dass die Pfeilspitze ursprünglich auf sein Herz, seine
Lebensregion abzielt hatte. Doch da der Bogenschütze nicht geschickt
genug gewesen war, hatte die Pfeilspitze noch in der Luft an Kraft
verloren, sein Herz verfehlt und hatte ihn stattdessen in den
Brustkorb getroffen.
Jeder um diese Person
herum, die den Pfeil abgeschossen hatte, hatte die Augen weit
aufgerissen und starrte vor Schreck und sogar Angst auf den Schüler,
der so etwas getan hatte. Wei WuXian blickte auf. Die Dunkelheit
verschleierte sein Gesicht. Er zog den Pfeil heraus und warf ihn hart
zurück. Mit einem Aufschrei wurde der junge Kultivierende, der einen
Angriff auf ihn unternommen hatte, mit dem Pfeil, den er
zurückgeworfen hatte, direkt in die Brust getroffen!
Ein Junge neben ihm warf
sich auf ihn, „Bruder! Bruder!“
Die Ordnung der Sekte
wurde sofort ins Chaos gestürzt. Der Sektenführer zeigte mit einem
zitternden Finger auf Wei WuXian: „Du... du... du bist so grausam!“
Wei WuXian drückte mit
der rechten Hand in aller Ruhe die Wunde auf seiner Brust ab und
stoppte vorübergehend den Blutfluss. Seine Stimme klang
gleichgültig: „Was bedeutet schon Grausamkeit? Als er es wagte,
den Pfeil auf mich zu schießen, während ich unvorbereitet war,
hätte er wissen müssen, was ihm bevorsteht, wenn er versagt. Man
nennt mich sowieso den Kultivierenden des dunklen Weges, also kannst
du dich unmöglich darauf verlassen, dass ich großzügig bin und
mich nicht um ihn kümmere, oder?“
Jin GuangShan befahl:
„Errichtet eine Kampfanordnung, errichtet eine Kampfanordnung! Wir
werden ihn hier nicht mehr lebendig weglassen, egal was passiert!“
Mit diesem Befehl wurde
die Pattsituation endgültig überwunden. Viele Jünger trugen
Schwerter und Pfeile und zielten damit auf die Decke des Palastes.
Sie griffen schließlich
zuerst an!
Mit einem bitteren
Lächeln nahm Wei WuXian Chenqing von seiner Taille und legte sie an
seine Lippen. Mit dem scharfen Aufheulen der Flöte durchbrachen
blasse Hände nacheinander den Dreck des Platzes der Nachtlosen
Stadt!
Leiche um Leiche
zerrissen die auf dem Boden liegenden weißen Ziegelsteine und sie
krochen aus den Tiefen des Bodens heraus. Einige von denen, die
bereits ihre Schwerter gezogen hatten, schlugen auf die ein, die
gerade den Boden verließen. Wei WuXian stand auf dem First des
Palastes der Sonne und seine Augen strahlten ein kaltes Licht
inmitten der Noten der Flöte und des Nachthimmels aus. Beim Blick
nach unten schienen die Uniformen der verschiedenen Sekten ein
kochendes Gemisch aus buntem Wasser zu sein, das sich herumwarf und
drehte, sich manchmal trennte und sich dann anderen anschloss. Bis
auf die YunmengJiang-Sekte waren alle Sekten ein einziges
durcheinander. Jeder Sektenführer eilte, um seine eigenen Jünger zu
beschützen, und hatte keine freien Moment, um Wei WuXian
anzugreifen.
Plötzlich unterbrachen
die klaren Noten einer Zither die Chenqing.
Wei WuXian legte Chenqing
nieder und drehte sich um, um eine Person zu sehen, die auf einem
anderen First saß und eine Guqin auf seinem Schoß liegen hatte.
Seine schneeweißen Gewänder schienen sich inmitten der Dunkelheit
der Nacht ins Auge zu brennen.
Wei WuXian sprach mit
kalter Stimme, „Lan Zhan.“
Nachdem er ihn begrüßt
hatte, legte er sich wieder seine Flöte an die Lippen: „Du hättest
es schon längst wissen müssen – der Klang der Klarheit ist
wirkungslos bei mir!“
Lan WangJi warf sich die
Guqin auf den Rücken. Stattdessen zog er nun Bichen heraus und griff
direkt Chenqing an, als ob er die Flöte durchtrennen wollte, die
solche falschen Töne spielte.
Wei WuXian drehte sich
um, um dem Angriff auszuweichen, und lachte: „Gut, gut. Ich wusste
von Anfang an, dass wir früher oder später einen echten Kampf wie
diesen hier führen müssen. Du hast mich immer als unangenehm
empfunden, egal was passiert. Komm schon!“
Als Lan WangJi das hörte,
hielten die Bewegungen inne, „Wei Ying!“
Obwohl er die Worte
schrie, konnte jeder vernünftige Mensch erkennen, dass Lan WangJis
Stimme deutlich zitterte. Doch Wei WuXian hatte im Moment bereits
sein Urteilsvermögen verloren. Er war bereits halb verrückt, halb
ohne Verstand. Alles Böse schien sich in seinem Körper zu sammeln
und zu verstärken. Er fühlte, dass alle ihn hassten, und er hasste
sie auch alle. Er würde keine Angst haben, egal, wer ihn angriff. Es
würde keine Rolle spielen, egal, wer auf ihn zukam. Es war sowieso
alles das Gleiche.
Plötzlich, inmitten der
Kampfgeräusche, hörte Wei WuXian eine schwache Stimme.
Die Stimme schrie:
„A-Xian!“
Wie ein Eimer eiskaltes
Wasser übergoss die Stimme die abscheulichen Flammen, die in seinem
Inneren tobten.
Jiang YanLi?
Wann war sie zur
'Eidverkündung' gekommen?!
Wei WuXian war sofort
halb zu Tode erschrocken. Er konnte sich nicht mehr um den Kampf mit
Lan WangJi kümmern und senkte Chenqing, „Shijie?!“
Jiang Cheng hörte auch
die Stimme. In diesem Augenblick war sein Gesicht komplett weiß
geworden, „Schwester? Schwester! Wo bist du denn? Wo bist du?“
Wei WuXian sprang vom
Dach des Palastes hinunter und schrie mit ebenso viel Kraft wie Jiang
Cheng: „Shijie? Shijie? Wo bist du denn? Ich kann dich nicht
sehen!“
Er konnte sich nicht
weniger um die Schwerter und Pfeile kümmern, die auf ihn zukamen.
Mit bloßen Händen kämpfte er sich durch die wilde Menge, während
er so schnell wie möglich ging. Plötzlich sah er Jiang YanLis weiße
Gestalt in der Menschenmasse versinken, Wei WuXian ging hinaus und
versuchte, diejenigen wegzustoßen, die seinen Weg blockierten, aber
es war schwierig für ihn, sich zu bewegen. Es gab noch eine große
Distanz zwischen ihnen, die von unzähligen Menschen gebildet wurde.
Im Moment war es für Wei WuXian unmöglich, hinüber zu eilen, und
für Jiang Cheng war es dasselbe. Zu diesem Zeitpunkt erkannten
beide, dass hinter Jiang YanLis Rücken eine wilde Leiche auf
wackeligen Beinen aufgestanden war.
Der Körper der Leiche
war bereits halb verrottet. Sie zog ein rostiges Schwert mit ihrer
Hand mit sich, während sie sich langsam Jiang YanLi näherte.
Als Wei WuXian sah, wie
sich der Schrecken vor seinen Augen entfaltete, war seine Stimme
hart: „Verschwinde! Verschwinde sofort! Fass sie nicht an!“
Jiang Cheng brüllte
auch: „Lass es verschwinden!“
Er warf Sandu aus.
Purpurrotes Licht flog auf die Leiche zu, aber in der Mitte des Weges
wurde der Blick des Schwertes durch andere Kultivierende behindert,
die von ihrer ursprünglichen Richtung abwichen. Je mehr Wei WuXian
in Panik geriet, desto weniger Kontrolle hatte er. Die Leiche
ignorierte seinen Befehl und hob stattdessen das Schwert in der Hand
hoch und schlug es über Jiang YanLi nieder!
Wei WuXian hatte die
Kontrolle über diese Leiche verloren und hastete weiter , während
er schrie: „Hör auf, hör auf, hör auf, sofort, hör auf!“
Alle waren damit
beschäftigt, mit den Leichen um sie herum umzugehen. Niemand hatte
auch nur einen freien Augenblick Zeit, um zu sehen, ob das Leben
eines anderen in Gefahr war. Das Schwert in der Hand der Leiche
schwang nach unten und traf Jiang YanLi am Rücken!
Jiang YanLi fiel zu
Boden.
Die Leiche stand hinter
ihrem Rücken und hob erneut ihr Schwert wieder hoch. Plötzlich
zerschnitt ein greller Schwertblick den Körper der Leiche in zwei
Hälften!
Lan WangJi landete
inmitten des Platzes und fing Bichen ein, das er zurückgerufen
hatte. Wei WuXian und Jiang Cheng gelang es endlich, weiter in ihre
Richtung zu eilen. Sie schafften es nicht einmal, Lan WangJi zu
danken. Jiang Cheng hob zuerst Jiang YanLi auf, während Lan WangJi
Wei WuXian stoppte.
Er packte ihn an seinem
Kragen und zog Wei WuXian vor sich her, seine Stimme hart, „Wei
Ying! Halte diese Leichen auf!“
Im Moment konnte sich Wei
WuXian um nichts anderes kümmern. In seinen Augen spiegelte sich
nicht Lan WangJis Gesicht wider, geschweige denn die Blutadern in Lan
WangJis Augen oder die Rötung, die seine Augen umgab. Er wollte nur
sehen, ob es Jiang YanLi gut ging. Mit roten Augen schob er ihn weg
und eilte zu Boden. Durch den Druck taumelte Lan WangJi ein wenig und
starrte ihn an, nachdem er sich beruhigt hatte. Bevor er etwas
anderes tun konnte, hörte er plötzlich einen weiteren Hilfeschrei
in der Ferne. Er unterdrückte alles, was in seinen Augen war, und
ging, um Hilfe zu leisten.
Jiang YanLis Rücken war
mit Blut getränkt. Ihre Augen waren geschlossen, aber zum Glück
atmete sie noch. Zitternd nahm Jiang Cheng die Hand zurück, mit der
er zuvor nach ihrem Puls gefühlt hatte, und ließ einen Seufzer der
Erleichterung aus. Er schlug Wei WuXian plötzlich ins Gesicht und
schrie: „Was ist passiert?! Hast du nicht gesagt, dass du es
kontrollieren kannst?! Hast du nicht gesagt, dass alles in Ordnung
sein wird?!“
Wei WuXian saß
zusammengesunken auf dem Boden, sein Gesicht war ausdruckslos,
„....ich weiß es auch nicht.“
In seiner Verzweiflung
fuhr er fort: „.. Ich kann es nicht kontrollieren, ich kann es
einfach nicht kontrollieren.…“
Plötzlich bewegte sich
Jiang YanLi. Jiang Cheng hielt sie fest und haspelte, wenn auch
zusammenhanglos, „Schwester! Es ist in Ordnung! Es ist in Ordnung,
wie fühlst du dich? Es ist nicht so schlimm, nur eine einzige Wunde,
nicht so schlimm. Ich bringe dich sofort hier weg...“
Während er sprach, war
er dabei, Jiang YanLi hochzuheben, als sie sagte: „....A-Xian.“
Wei WuXian fühlte, wie
ihm ein eisiger Schauer über die Wirbelsäule ging, „Shijie,
ich.... ich bin hier.“
Langsam öffnete Jiang
YanLi ihre dunklen Augen. Wei WuXian fühlte, wie die Angst in ihm
rumorte. Jiang YanLi schaffte es, „.... A-Xian. Vorhin... warum
bist du so schnell weggelaufen... Ich hatte nicht einmal die Chance,
dich anzusehen oder etwas zu dir zu sagen....“
Als Wei WuXian das hörte,
schlug sein Herz schneller.
Er wagte es immer noch
nicht, Jiang YanLis Gesicht anzusehen. Damals hatte das Gesicht von
Jin ZiXuan genauso ausgesehen, bedeckt mit Staub und Blut. Er hatte
noch mehr Angst, die Worte zu hören, die sie gleich sagen würde.
Jiang YanLi, „Ich
bin... Ich bin hier, um dir zu sagen....“
Um ihm was zu sagen?
Dass es in Ordnung war?
Dass sie ihn nicht
hasste?
Dass jetzt alles in
Ordnung ist?
Dass sie es ihm nicht
Übel nahm, dass er Jin ZiXuan getötet hatte?
Es war unmöglich.
Aber sie konnte auch
nichts sagen, was das Gegenteil war. Und so wusste sie nicht, was sie
unter solchen Umständen noch zu Wei WuXian sagen sollte. Es war nur
so, dass sie das Gefühl gehabt hatte, dass sie ihren Bruder noch
einmal sehen musste.
Jiang YanLi seufzte,
„A-Xian, du.... du solltest zuerst aufhören. Nicht, nicht....“
Wei WuXian beeilte sich:
„Ja, ich höre auf.“
Er hob Chenqing auf,
legte sie an seine Lippen und begann zu spielen. Er schaffte es nur
mit großer Mühe, seinen Verstand zu beruhigen. Diesmal hörten die
Leichen endlich auf, seine Befehle zu ignorieren. Nach und nach
hallten seltsame Gurgelgeräusche aus ihren Kehlen, als ob sie sich
beschweren würden. Langsam beugten sie sich nach unten.
Lan WangJi hielt leicht
inne und sah aus der Ferne zu ihnen hinüber. Unmittelbar danach
griff er weiter an und half denen, die noch im Kampf waren, ob sie
nun aus seiner eigenen Sekte stammten oder nicht.
Plötzlich öffneten sich
Jiang YanLis Augen weit. Ihre Hände schienen einen explosiven
Kraftstrom aus dem Nichts herbeigezaubert zu haben und sie schubste
Wei WuXian hart zur Seite!
Wei WuXian wurde durch
die Kraft wieder auf den Boden gedrückt. Als er das nächste Mal
aufblickte, sah er, wie sich die glänzende Klinge eines Schwertes
durch ihre Kehle gebohrt hatte.
Der Junge, der das
Schwert hielt, war der junge Kultivierende, der über den Schüler
geweint hatte, der den Pfeil abgeschossen hatte. Er weinte immer
noch, seine Augen waren durch Tränen geflutet, „Du Dieb! Das ist
für meinen Bruder!“
Wei WuXian saß auf dem
schmutzigen Boden und starrte ungläubig auf Jiang YanLi, deren Kopf
bereits herabgesunken war, und das Blut tropfte unaufhörlich aus
ihrem Hals.
Er wartete immer noch
darauf, dass sie sprach, um ihm sein endgültiges Urteil zu geben.
Auch Jiang Cheng war
ratlos, seine Arme waren immer noch um den Körper seiner Schwester
gewickelt. Er hatte noch nicht ganz verstanden, was gerade passiert
war.
Einen Moment später gab
Wei WuXian schließlich einen bitteren Schrei von sich.
Lan WangJi beendete
seinen Angriff, bevor er sich herumdrehte.
Der Junge erkannte
schließlich, dass er die falsche Person getötet hatte. Er zog das
Schwert heraus, zusammen mit einer Reihe von blutigen Spritzern. Mit
Schrecken taumelte er zurück, murmelte, „.... Das war nicht ich,
es war nicht... Ich wollte Wei WuXian töten, ich wollte meinen
Bruder rächen... Sie war diejenige, die sich selbst dazwischen
geworfen hat!“
Wei WuXian schoss auf ihn
zu und drückte seinen Hals zusammen. Sektenführer Yao winkte mit
seinem Schwert: „Dämon, lass ihn sofort gehen!“
Lan WangJi konnte sich
nicht mehr um Aussehen oder Manieren kümmern.
Einem nach dem anderen
schob er diejenigen, die ihm den Weg versperrten, zur Seite und
sprintete auf Wei WuXian zu. Aber noch bevor er auf halbem Weg dort
war, unter den Augen aller, brach Wei WuXian dem Jungen mit bloßen
Händen den Hals.
Ein weißhaariger
Sektenführer wütete: „Du! Damals.... hast du den Tod von Jiang
FengMian und seiner Frau verursacht, und jetzt hast du den Tod deiner
Shijie verursacht. Du hast unter deinen eigenen Taten gelitten, und
doch hast du es gewagt, deine Wut auf andere loszulassen! Anstatt dem
hier Einhalt zu gebieten, hast du nun noch ein weiteres Leben
genommen. Wei WuXian, deine Verbrechen werden dir nie vergeben
werden!“
Doch unabhängig von der
Kritik, der Schuld, konnte Wei WuXian keinen von ihnen mehr hören.
Wie von einer anderen Macht kontrolliert, streckte er die Hand aus
und nahm zwei Objekte aus seinen Ärmeln. Vor aller Augen steckte er
sie zusammen. Eine Hälfte oben und die andere unten, schnappten die
beiden Objekte sich ineinander und stießen ein mitschwingendes
Klingen aus.
Wei WuXian legte es auf
seine Handfläche und hob es hoch in die Luft.
Es
war das 'Stygianische Tiger-Amulett'!
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