Samstag, 28. September 2019

Kapitel 77

Kapitel 77


Kapitel 77: Nachtflug – Teil Zwei
Bösartigkeit maximieren

In der Vergangenheit hatten ihn immer nur andere gefragt, was sie nun tun sollten. Nun aber war er derjenige, der andere fragte, was er tun sollte, und niemand konnte ihm eine Antwort geben.

Plötzlich fühlte Wei WuXian einen schwachen Schmerz an der Seite seines Halses, als wäre er von einer scharfen Nadel gestochen worden. Er fühlte, wie sein Körper überall taub wurde. Nachdem er durch seine momentane Verwirrtheit unvorsichtig geworden war, erkannte er erst nach wenigen Augenblicken, was gerade geschah. Ungewollt war er bereits auf dem Steinbett zusammengebrochen. Zuerst konnte er seinen Arm noch heben, aber bald fiel sogar sein Arm bewegungslos auf das Bett zurück. Er konnte sich überhaupt nicht mehr bewegen.

Mit roten Augen zog Wen Qing langsam ihre rechte Hand zurück, „....es tut mir leid.“

Sie hätte mit ihrer Geschwindigkeit normalerweise keinen Angriff auf Wei WuXian landen können, aber Wei WuXian war überhaupt nicht in Alarmbereitschaft gewesen. Mit dem verblassenden Schmerz fühlte Wei WuXian, dass sich auch sein Geist ein wenig beruhigte. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, ehe er seinen Mund öffnen konnte: „Was machst du da?“

Wen Qing und Wen Ning tauschten einen Blick aus. Sie standen unisono vor ihm und verbeugten sich in ernster Haltung vor ihm. Als er das sah, stieg ein ungutes Gefühl der Vorahnung in Wei WuXian auf: „Was habt ihr vor? Was genau wollt ihr machen?“

Wen Qing, „Als du aufgewacht bist, waren wir gerade dabei, darüber zu diskutieren. Ich glaube, wir sind zu einem Entschluss gekommen.“

Wei WuXian, „Über was habt ihr diskutiert? Hört auf, Unsinn zu reden. Nimm die Nadel heraus - lasst mich gehen!“

Wen Ning stand langsam vom Boden auf. Sein Kopf hing noch tief nach unten gebeugt, „Schwester und ich sind zu einem Entschluss gekommen. Wir gehen zum Karpfenturm, um uns zu ergeben.“

„Euch ergeben?“

Wei WuXian war schockiert: „Wie habt ihr euch das vorgestellt? Euch entschuldigen? Euch ausliefern?“

Wen Qing rieb sich die Augen, ihr Ausdruck schien ruhig zu sein: „Ja, mehr oder weniger. In den Tagen, während du bewusstlos warst, hat die LanlingJin-Sekte einige Leute hergeschickt, um ein paar Worte an den Grabhügel gerichtet zu sagen.“

Wei WuXian, „Was für Worte? Lass dir nicht alles aus der Nase herausziehen! Sag es deutlich! Beende deine Erklärung!“

Wen Qing, „Die LanlingJin-Sekte wollte, dass du ihnen eine Antwort gibst. Die Antwort wäre, ihnen die beiden Führer der verbleibenden Wen-Sekten-Mitglieder, insbesondere den Geistergeneral, zu übergeben.“

„…“

Wei WuXian, „Ich warne euch. Nimm die Nadel sofort aus mir heraus.“

Wen Qing fuhr fort: „Die Führer der verbleibenden Mitglieder der Wen-Sekte - das sind wir. Laut ihrer Aussage, wenn wir beide uns ergeben, dann würde das bei diesem Vorfall vorübergehend auch berücksichtigt werden. Wir werden dich noch ein paar Tage auf dem Bett liegen lassen. Die Wirkung der Nadel würde in etwa drei Tagen nachlassen. Ich habe bereits mit dem Vierten Onkel darüber gesprochen. Er wird auf dich aufpassen und dich rauslassen, falls innerhalb dieser drei Tage ein Notfall eintritt.“

Wei WuXian wütete: „Du kannst verdammt nochmal die Klappe halten, verdammt! Es herrscht bereits genug Chaos, so wie es im Moment läuft! Ihr zwei könnt aufhören, noch mehr Ärger auf meine Platte zu bringen. Euch ausliefern am Arsch! Habe ich euch gesagt, ihr sollt das tun? Nimm die Nadel raus!“

Wen Qing und Wen Ning standen nur still da, die Arme hingen schlaff herunter. Sie schwiegen gemeinsam. Wei WuXian hatte keine Kraft in seinem Körper. Seine Kämpfe nützten nichts, und auch niemand hörte hier auf ihn. Auf einmal schien auch in seinem Herzen keine Kraft mehr zu sein.

Er konnte weder schreien noch sich bewegen und raunte: „Warum geht ihr zum Karpfenturm? Ich war doch nicht diejenige, die ihn mit 'Hundert Löchern' verflucht hat....“

Wen Qing, „Aber sie haben entschieden, dass du es warst.“

Wei WuXian versuchte sein Bestes, um über Möglichkeiten nachzudenken, wie er damit umgehen sollte. Plötzlich dachte er an etwas: „Dann finde ich die echte Person, die den Fluch gesetzt hat! Jin ZiXun ist definitiv zu Experten für Flüche gegangen. Der häufigste Weg, mit diesen Flüchen umzugehen, ist, sie zurückzuschlagen, die Effekte auf denjenigen zurückprallen zu lassen, der den Fluch gelegt hat. Selbst, wenn man nicht die gesamte Kraft zurückwerfen kann, dann zumindest einen großen Teil davon. Wir könnten einfach nach jemandem suchen, der die gleichen Fluchzeichen auf sich hat!“

Wen Qing, „Das ergibt keinen Sinn.“

Wei WuXian, „Warum nicht?“

Wen Qing, „Es gibt so viele Menschen - wo sollen wir da anfangen, zu suchen? Einen Kontrollpunkt in jeder Straße in jeder Stadt einrichten und jeden dazu bringen, sich auszuziehen, damit wir nachsehen können?“

Wei WuXian protestierte: „Warum nicht?“

Wen Qing, „Wer wäre schon bereit, diese Kontrollpunkte für dich einzurichten? Und wie lange willst du suchen? Wir könnten denjenigen vielleicht nach acht oder zehn Jahren finden, aber wären diese Leute bereit so lange zu warten?“

Wei WuXian, „Aber es gibt doch keine abgeprallten Fluchspuren auf mir!“

Wen Qing, „Haben sie dich während des Vorfalls danach gefragt?“

Wei WuXian, „Nein.“

Wen Qing, „Das ist richtig. Sie haben nicht gefragt. Sie bereiteten sich geradewegs darauf vor, dich zu töten. Verstehst du jetzt? Sie brauchen keine Beweise. Sie brauchen dich auch nicht, um die Wahrheit zu finden. Ob du Fluchspuren an deinem Körper hast oder nicht, spielt für sie keine Rolle. Du bist der YiLing-Patriarch, der König des dämonischen Pfades. Du bist auf dunkle Flüche spezialisiert, so dass es nicht einmal seltsam wäre, wenn du keine Fluchspuren auf dir hättest. Außerdem hättest du es nicht selbst tun müssen. Du hättest Wen-Hunde, deine Sklaven, dazu bringen können, es für dich zu tun. Du bist es für sie, egal was passiert. Du wirst es nicht leugnen können.“

Wei WuXian fluchte.

Wen Qing wartete stillschweigend darauf, dass er mit dem Fluchen aufhörte: „Und so, siehst du? Es hat keinen Zweck. So wie die Dinge liegen, ist die Identität desjenigen, der den Fluch von 'Hundert Löchern' gelegt hat, nicht mehr wichtig. Was wichtig ist, ist die Tatsache, dass Hunderte von Menschen auf dem Qiongqi Pfad und... Jin ZiXuan tatsächlich von A-Ning getötet worden sind.“

Wei WuXian, „.... Aber, aber....“

Aber was? Nicht einmal er selbst wusste, was er an dieses 'Aber' hängen sollte. Er konnte sich keinen Grund benennen, oder eine Ausrede benutzen.

Er sprach: „.... Aber selbst dann sollte ich derjenige sein, der geht. Ich war derjenige, der die Leichen dazu gebracht hat, die Menschen zu töten. Warum sollte sich das Messer anstelle des Mörders ergeben?“

Wen Qing, „Ist es nicht besser so?“

Wei WuXian, „Besser als was?!“

Wen Qings Stimme war ruhig: „Wei Ying, wir beide wissen es. Wen Ning ist das Messer, ein Messer, das ihnen Angst macht, aber auch ein Messer, das sie als Vorwand benutzen, um dich anzugreifen. Wenn wir gehen, und du kein Messer mehr hast, dann haben sie keine Ausrede mehr. Diese ganze Sache könnte endlich vorbei sein.“

Wei WuXian starrte sie schockiert an. Er ließ plötzlich ein bedeutungsloses Gebrüll heraus.

Er verstand schließlich, warum Jiang Cheng immer extreme Wut auf bestimmte Dinge, die er getan hatte, äußerte, warum er immer sagte, dass er einen Heldenkomplex hatte, warum er immer so aussah, als würde er ihn verprügeln wollen. Zu sehen, wie andere die Verantwortung auf ihre Schultern nahmen, egal was passierte; das sie darauf bestanden, alle negativen Folgen zu tragen, und man selbst unfähig war, sie überhaupt zu stoppen - dieses Gefühl war das Abscheulichste!

Wei WuXian, „Versteht ihr beide es oder nicht? Indem ihr euch dem Karpfenturm ausliefern wollt - was würde dann wohl mit euch beiden passieren, besonders mit Wen Ning? Bist du denn nicht diejenige, die ihren Bruder über alles liebt?“

Wen Qing, „Was auch immer mit ihm passiert, es wäre das, was er verdient hat.“

Nein. Wen Ning hatte dies alles hier überhaupt nicht verdient. Er wäre derjenige, der es verdient hätte.

Wen Qing, „Wie auch immer, wir hätten schon vor langer Zeit sterben sollen. Diese letzten Tage waren für uns ein Glücksfall.“

Wen Ning nickte.

Er war schon immer so, nickte, was auch immer andere sagten, stimmte zu und erhob nie Einwände. Wei WuXian hatte noch nie so sehr sein Nicken und seine Fügsamkeit verabscheut. Wen Qing hockte am Bett. Als sie auf sein Gesicht starrte, streckte sie plötzlich die Hand aus und schnippte mit ihrem Finger gegen Wei WuXians Stirn.



Sie hatte viel Kraft in ihren Schnipser gesteckt. Wei WuXian runzelte die Stirn wegen dem Schmerz. Wen Qing schien bei diesem Anblick viel besser gelaunt zu sein: „Ich habe dir gesagt, was ich zu sagen hatte, dir Dinge erklärt, die ich zu erklären hatte, und Abschied genommen. Also dann, auf Wiedersehen.“

Wei WuXian, „Nein....“

Wen Qing unterbrach ihn: „Ich habe noch nie solche Dinge zuvor zu dir gesagt. Aber jetzt, wo es soweit ist, gibt es in der Tat ein paar Dinge, die ich sagen sollte. Ich werde sonst wirklich keine Chance mehr haben, sie später zu sagen.“

Wei WuXian flüsterte, „.... Halt die Klappe... Lass mich gehen....“

Wen Qing, „Es tut mir leid. Und, danke.“


Wei WuXian lag wirklich ganze drei Tage da.

Die Berechnungen von Wen Qing waren in der Tat korrekt. Drei Tage. Nicht einen Moment früher, nicht einen Moment später. Er konnte sich gleich nach Ablauf dieser drei Tage wieder bewegen.

Zuerst seine Finger, dann seine Gliedmaßen, dann seinen Hals.... Als das fast gefrorene Blut wieder in ihm zu fließen begann, sprang Wei WuXian vom Steinbett auf und eilte aus der Dämonenschlachthöhle heraus.

Die Leute der Wen-Sekte schienen innerhalb dieser drei Tage auch keine Augen zu gemacht zu haben. Sie saßen still in der großen Hütte, um die Tische herum. Wei WuXian schenkte ihnen nicht einmal einen einzigen Blick. Er sprintete so schnell er konnte und stürzte den Grabhügel hinunter.

Nachdem er den Berg hinuntergegangen war, stand er umgeben inmitten des Unterholzes und holte tief Luft. Vorn über gebeugt, stützte er seine Hände lange Zeit auf den Knien ab, bevor er sich wieder gerade aufrichtete. Doch als er die wilden Gräser betrachtete, die auf dem Bergpfad wucherten, wusste er nicht, wohin er gehen sollte.

Der Grabhügel - er war gerade von dort heruntergegangen.

Lotus Pier - er war seit über einem Jahr nicht mehr da gewesen.

Karpfenturm? Drei Tage waren bereits vergangen. Wenn er jetzt ging, war es wahrscheinlich, dass Wen Qings Leiche und Wen Nings Asche die einzigen Dinge wären, die von ihnen noch übrig waren.

Er stand wie gelähmt da. Plötzlich spürte er, dass die Welt keinen Platz mehr für ihn hatte, egal, wie groß sie war. Er wusste auch nicht, was er tun sollte.

Aus heiterem Himmel tauchte ein erschreckender Gedanke aus den Tiefen seines Herzens auf. Innerhalb der drei Tage hatte er diesen Gedanken immer wieder geleugnet, aber er tauchte immer wieder auf, unfähig, fortgewischt zu werden.

Wen Qing und Wen Ning waren von sich selbst aus gegangen. Irgendwo, tief in sich drin, erleichterte ihn das. Aus diesem Grund hatte man ihm das Treffen von Entscheidungen erspart. Sie hatten bereits die Wahl für ihn getroffen und sich mit den Schwierigkeiten auseinandergesetzt.

Wei WuXian hob die Hand und schlug sich auf das Gesicht. Mit leiser Stimme schimpfte er: „Was denkst du da nur?!“

Seine Wange brannte. Er war endlich in der Lage, den erschreckenden Gedanken zu unterdrücken. Stattdessen dachte er sich, dass er auf jeden Fall die Asche der Geschwister Wen zurückbringen musste.

Und so lief er am Ende doch noch in Richtung Karpfenturm.

Es war nicht schwer für Wei WuXian, sich an einen Ort zu schleichen, wenn er es wollte. Es war sehr ruhig am Karpfenturm. Überraschenderweise gab es keine schweren Verteidigungslinien, die er hier eigentlich erwartet hatte. Obwohl er überall suchte fand er nichts, was er für verdächtig hielt.

Wie ein Geist wanderte er durch die Paläste im Karpfenturm. Er versteckte sich, wenn Menschen seinen Weg kreuzten; er ging weiter, wenn niemand zu sehen war. Er wusste auch nicht, wonach er suchte oder wie man danach suchte. Als er jedoch die Schreie eines Säuglings vernahm, erstarrten seine Schritte plötzlich. In ihm war eine Stimme, die seinen Körper dazu drängte, in die Richtung zu gehen, aus der der Klang kam.

Die Schreie kamen aus einem großen, unbeleuchteten Palast.

Wei WuXian schlich sich zu den Haupttüren, ohne Lärm zu machen. Er blickte durch die zarten Schnitzereien der Holzfenster hinein.

Ein schwarzer Sarg stand in der Halle. Vor dem Sarg knieten zwei Frauen in Weiß.

Die Frau auf der linken Seite hatte eine etwas kleinere Statur. Es war eine Silhouette, die er niemals verwechseln würde. Während seiner Kindheit war er von dieser Figur viele, viele Male getragen worden.

Es war Jiang YanLi.


Jiang YanLi kniete auf einem Futon und starrte ausdruckslos auf den Sarg, der so schwarz war, dass er zu leuchten schien. Das Kind lag in ihren Armen und weinte immer noch leise.

Die Frau zu ihrer rechten Seite flüsterte, „.... A-Li, du kannst aufhören, hier zu sitzen. Mach eine Pause.“

Jiang YanLi schüttelte den Kopf. Herrin Jin seufzte.

Sie war eine Frau, die eine ähnliche Persönlichkeit hatte wie ihre beste Freundin, Herrin Yu. Sie war extrem durchsetzungsfähig, ihre Stimme klang immer hoch. Doch die wenigen Worte, die sie gerade gesprochen hatte, klangen so leise und so rau, dass sie den Anschein erweckte, drastisch gealtert zu sein.

Herrin Jin bestand darauf: „Ich werde hier bleiben. Du solltest nicht mehr sitzen. Du wirst nicht mehr lange durchhalten können.“

Jiang YanLi sprach leise: „Mutter, es geht mir gut. Ich würde gerne noch eine Weile sitzen bleiben.“

Einen Moment später stand Herrin Jin langsam auf: „Du wirst nicht durchhalten können, wenn du so weitermachst. Ich hole dir etwas zu essen.“

Sie hatte wahrscheinlich auch schon lange hier gesessen. Die Beine taub, schwankte ihr Körper leicht, während sie aufstand, aber sie beruhigte sich schnell. Sie drehte sich um. Ihr Erscheinungsbild hatte sich in der Tat etwas verhärtet.

In den Erinnerungen von Wei WuXian war Herrin Jin immer energisch und entschlossen gewesen. Sie trug immer einen arroganten Ausdruck auf ihrem Gesicht, umgeben von goldener Pracht. Sie hatte ihre Jugend ziemlich gut erhalten und wirkte ziemlich jung, wahrscheinlich sogar noch in der Lage, für zwanzig gehalten zu werden. Aber gerade jetzt, vor Wei WuXian, stand eine Frau mittleren Alters, weiß gekleidet, ihre Schläfen angegraut. Sie trug kein Make-up. Inmitten ihres aschgrauen Gesichts befanden sich ein Paar rissige Lippen.

Als sie sich näherte und kurz davor war, herauszukommen, versteckte sich Wei WuXian sofort. Mit einem leichten Abstoßen seines Fußes sprang er auf das Dach des Flurs, gerade als Herrin Jin hinausging. Sie schloss die Tür hinter sich. Mit einem kalten Gesichtsausdruck atmete sie tief durch und passte die Muskeln ihrem nun aufgelegten Gesichtsausdruck an, als wollte sie ihren gewohnten stattlichen Ausdruck wieder aufleben lassen.

Doch noch bevor sie zu Ende ausgeatmet hatte, hatten sich ihre Augen wieder gerötet. Im Raum, vor Jiang YanLi, hatte sie nie ein Zeichen von Trauer gezeigt. Als sie jedoch heraustrat, verzogen sich ihre Lippenwinkel sofort nach unten. Ihre Gesichtszüge schienen zu zerknittern, und sie fing an zu zittern.

Es war das zweite Mal, dass Wei WuXian einen so unschönen, aber verzweifelten Ausdruck auf dem Gesicht einer Frau sah.

Er wollte einen solchen Ausdruck wirklich nicht mehr sehen.

Unbewusst drückte Wei WuXian seine Fäuste zusammen, aber seine Knöchel gaben ein knackendes Geräusch von sich. Als Herrin Jin das hörte, erstarrte sie: „Wer ist da?!“

Gerade als sie aufblickte, sah sie Wei WuXian, der sich hinter einer der Dachdekorationen versteckt hatte. Herrin Jin hatte eine gute Sicht. Sie erkannte die Gesichtszüge in der Dunkelheit, und sie drehte sich sofort herum. Sie schrie mit schriller Stimme: „An alle! Kommt alle her! Wei Ying - er ist hier! Er schleicht sich durch den Karpfenturm!“

Wei WuXian sprang vom Dach. Plötzlich hörte er eine Reihe von beschleunigten Schritten. Jemand eilte aus dem Palast. Er konnte nur weglaufen.

Zu diesem Zeitpunkt wagte er es nicht, Jiang YanLi anzusehen, nicht einmal für einen einzigen Augenblick und nicht einmal für ein einziges Wort!

Nachdem er aus dem Karpfenturm geflohen war und die Stadt Lanling verlassen hatte, verlor Wei WuXian wieder einmal die Orientierung. Er streift desorientiert herum, sein Verstand war getrübt. Er hatte nicht ein einziges Mal Rast gemacht. Er wusste nicht, wie viele Städte er passiert hatte, als er plötzlich sah, wie sich eine Gruppe von Menschen um ein Stadttor drängten. Sie führten eine hitzige, leidenschaftliche Diskussion.

Wei WuXian wollte diese Menschen ignorieren, aber als er vorbeikam, hörte er zufällig die Worte 'Geistergeneral'. Er hielt sofort in seinem Schritt inne und konzentrierte sich auf das Gespräch.

„Der Geistergeneral war wirklich heftig.... Er sagte, er sei da, um sich zu ergeben, aber dann flippte er plötzlich aus. Er hat wieder gewütet, diesmal im Karpfenturm!“

„Gut, dass ich an diesem Tag nicht mitgegangen bin!“

„Er war ein Hund, der von Wei WuXian ausgebildet wurde. Kein Wunder, dass er jeden auf seinem Weg beißt.“

„Obwohl, Wei Ying, hätte ihn nicht machen sollen, wenn er ihn nicht kontrollieren kann. Er hat einen verrückten Hund erschaffen und er hat ihn nicht angeleint. Früher oder später wird er mit einer Qi-Abweichung konfrontiert werden. So wie die Dinge derzeit laufen, bezweifle ich, dass der Tag noch allzu fern sein wird.“

Wei WuXian hörte leise zu. Die Muskeln auf seinem Gesicht und seinen Fingern zuckten leicht.

„Wie unglücklich für die LanlingJin-Sekte.“

„Es war doch noch viel schlimmer für die GusuLan-Sekte! Über die Hälfte der etwa dreißig Menschen stammten aus ihrer Sekte. Sie waren eindeutig nur da gewesen, um die Dinge dort zu beruhigen.“

„Gut, dass der Geistergeneral endlich verbrannt wurde. Ansonsten würde es schon ausreichen, nur daran zu denken, wie so etwas da draußen herumläuft und ab und zu ausflippt, um mir Alpträume zu verschaffen!“

Jemand spuckte: „Das ist das Ende, das alle Wen-Hunde treffen sollte!“

„Der Geistergeneral wurde fast zu Staub verbrannt. Diesmal sollte selbst Wei WuXian wissen, was los ist, was? Ich habe gehört, dass viele der Sektenführer, die zur Sondertagung gehen, bereits zugesagt haben. Wie fantastisch!“

Je länger Wei WuXian lauschte, desto kälter wurde sein Ausdruck. Er hätte es schon vor langer Zeit verstehen sollen. Egal, was er tat, kein einziges gutes Wort würde aus dem Mund dieser Leute kommen. Wenn er gewann, fürchteten andere sich; wenn er verlor, freuten andere sich.

„Er hat diesen dunklen Weg auf irgendeine Art und Weise kultiviert, warum hat man ihn all die Jahre damit weitermachen lassen? Wofür genau war das gut?“

Doch je kälter seine Augen wurden, desto heller brannte das wütende Feuer in seinem Herzen.

Einer aus der Gruppe freute sich, als hätte er einen großen Beitrag dazu geleistet: „Ja, fantastisch! Es wäre in Ordnung, wenn er sich von nun an gehorsam auf diesen verdammten Berg drängen lassen würde. Wenn er es dann wagt, sein Gesicht wieder hier draußen zu zeigen... Ha, sobald er sich das wagt, werde ich....“

„Was wirst du tun?“

Die Menschen, die inmitten ihres erhitzten Gespräches waren, hielten unisono inne. Sie drehten sich alle herum. Sie sahen einen blassen, schwarz gekleideten jungen Mann hinter sich stehen, zwei dunkle Kreise unter seinen Augen, seine Stimme kalt: „Wenn er es dann wagt, herauszukommen, was wirst du dann tun?“

Diejenigen mit scharfen Augen sahen die Flöte mit der leuchtend roten Quaste an der Taille des Mannes hängen. Sie sprangen sofort auf und riefen: „Chenqing, es ist Chenqing!“

Der YiLing-Patriarch, Wei WuXian, war wirklich herausgekommen!

Innerhalb kürzester Zeit hatte sich ein großer Kreis um sie gebildet, in dessen Zentrum Wei WuXian stand. Die Menschen waren überall hin geflohen. Als Wei WuXian ein schrilles Pfeifen ausstieß, spürten die Menschen plötzlich, wie ihre Körper zusammensackten. Sie fielen alle auf den Boden. Als sie sich wackelig herumdrehten, erkannten sie, dass jeder von ihnen, einschließlich sie selbst, verschiedene dunkle, blutige Geister auf ihren Rücken sitzen hatten!

Unter den verstreuten, festgesetzten Menschen ging Wei WuXian geduldig auf und ab und sprach: „Huh, was ist los? Wart ihr gerade nicht alle noch Kultivierende, die hinter meinem Rücken über mich gesprochen habt? Warum könnt ihr jetzt, wo ihr vor mir steht, nichts anderes tun, als auf dem Boden zu liegen?“

Er positionierte sich neben die Person, deren Worte am Härtesten gewesen waren, und stellte seinen Fuß auf dem Gesicht der Person ab und lachte: „Sprich. Warum redest du nicht mehr? Herr Held, was willst du mit mir machen?“

Der Nasenknochen der Person wurde durch die Krafteinwirkung gebrochen, er schrie und blutete unkontrollierbar. Viele Kultivierende beobachteten alles von oben vom Stadttor aus. Sie wollten helfen, aber sie wagten es nicht, sich dieser Szene zu nähern.

Einer von ihnen schrie aus der Ferne: „Wei.... Wei Ying! Wenn du wirklich so stark bist, warum gehst du dann nicht hin und findest diese Sektenführer, die an der Tagung teilnehmen? Was beweist du denn damit, wenn du gegen uns niedere Kultivierende, die keine Macht haben, vorgehst?“

Wei WuXian gab noch einen kurzen Pfiff von sich. Der Kultivierende, der geschrien hatte, fühlte, wie eine Hand ihn plötzlich herunterzog. Er fiel vom Stadttor, brach sich beide Beine und begann zu schreien.

Inmitten des Gejammers änderte sich der Ausdruck von Wei WuXian überhaupt nicht: „Kultivierende auf niedriger Ebene? Muss ich dich tolerieren, nur weil du ein niederer Kultivierender bist? Wenn du es wagst, diese Dinge zu sagen, musst du es auch wagen, die Konsequenzen dafür zu tragen. Wenn du wusstest, dass du ein unbedeutender, schmutziger Dreckskerl bist, warum wusstest du dann nicht, dass du erst nachdenken musst, bevor du sprichst?!“

Alle wurden so blass wie Asche und gaben keinen einzigen Ton mehr von sich. Einen Moment später, als Wei WuXian kein Geschwätz mehr hörte, fuhr er zufrieden fort: „Ja, das ist die richtige Einstellung!“

Gerade als er fertig war, trat er wieder zu und schlug der Person, die die erfundenen Geschichten am meisten verbreitet hatte, den halben Mund voller Zähne aus!

Das Blut spritzte über den ganzen Boden. Alle erschauderten, während sie zusahen, wie die Person bereits vor Schmerz ohnmächtig geworden war. Wei WuXian blickte nach unten, drückte seinen Fuß auf den Boden und hinterließ ein paar blutige Fußspuren.

Er dachte eine Weile nach, bevor er wieder sprach, seine Stimme gefühllos: „Aber ihr Abschaum hattet Recht mit einer Sache. Es hat nicht wirklich viel Sinn, Zeit mit euch Leuten zu verschwenden. Du wolltest, dass ich diese größeren Sekten finde? Gut. Ich werde mich gleich auf den Weg zu ihnen machen, um ein paar Dinge mit ihnen zu klären.“

Er blickte auf und sah eine große Ankündigung über dem Stadttor hängen. Die Menge hatte sich um diese Ankündigung herum versammelt gehabt und sich deswegen unterhalten.

Oberhalb dieser Ankündigung standen die Worte 'Eidverkündung'. Der Inhalt erzählte, dass die vier führenden Sekten - die LanlingJin-Sekte, die QingheNie-Sekte, die YunmengJiang-Sekte und die GusuLan-Sekte - die Asche der Überreste der Wen-Sekte auf den Ruinen der verlassenen Residenz der QishanWen-Sekte – in der Nachtlosen Stadt - verstreuen würden. Gleichzeitig würden sie gemeinsam einen Eid ablegen, dass sie sich für immer dem YiLing-Patriarchen widersetzen würden, der den Grabhügel besetzt hatte.

Eine 'Eidverkündung' in der Nachtlosen Stadt?






























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