Mittwoch, 21. August 2019

Kapitel 62

Kapitel 62


Kapitel 62: Böse – Teil Zwei
Weiterer Aufstieg des Bösen und charmante Boshaftigkeit

Seine Lippen zitterten und flüsterten etwas in die Stille. Jiang Cheng stand augenblicklich sofort auf.

Es war Wei WuXian!

Doch abgesehen von dem Gesicht, so war die Person von oben nach unten betrachtet absolut nicht vergleichbar mit dem Wei WuXian aus der Vergangenheit.

Wei WuXian war eindeutig ein aufgeweckter, temperamentvoller Junge gewesen. Die Spitzen seiner Augen und Augenbrauen hatten immer den Hauch eines Grinsens beibehalten und er hatte sich immer geweigert, richtig zu gehen. Doch diese Person war vollständig von einer kalten, dunklen Energie umgeben. Er war gutaussehend, aber sein Gesicht wirkte blass, und sein Lächeln war unheimlich.

Der Anblick vor ihren Augen war zu überraschend. Die Situation war noch unklar, und sie konnten nicht voreilig handeln. Obwohl die beiden auf dem Dach verblüfft waren, eilten sie beide nicht hinein. Sie zwangen ihre Köpfe nur tiefer und näher an den Schlitz zwischen den Dachziegeln heran.

Im Inneren des Raumes drehte sich Wei WuXian, schwarz gekleidet, langsam um. Wen Chao bedeckte sein eigenes Gesicht. Nun war nur noch der raue Atem in seiner Stimme zu hören: „Wen ZhuLiu... Wen ZhuLiu!“

Als Wei WuXian das hörte, zogen sich seine Augenwinkel und seine Lippen amüsiert zusammen: „Selbst jetzt denkst du immer noch, dass es von Nutzen wäre, nach ihm zu rufen?“

Er ging ein paar Schritte näher heran und trat mit seinem Fuß auf ein helles Objekt. Er sah nach unten. Es war das Fleischbrötchen, das Wen Chao weggeworfen hatte. Wei WuXian hob eine Augenbraue: „Was denn... bist du etwa ein wählerischer Esser?“

Wen Chao fiel kreischend von seinem Hocker und sagte: „Ich esse es nicht! Ich werde es nicht essen! Ich werde es nicht essen!“

Während er heulte, kroch er mit seinen fingerlosen Händen über den Boden. Der lange schwarze Umhang rutschte ihm über die untere Hälfte seines Körpers und enthüllte seine Beine. Die beiden Beine baumelten an seinem Oberkörper, als wären sie zu schwere Accessoires. Sogar in Verbände verpackt, wirkten sie immer noch ungewöhnlich dünn. Durch seine heftigen Bewegungen dehnten sich in den Verbänden immer größer werdende Lücken aus. Darunter schimmerten grässliche weiße Knochen hindurch, purpurrotes Blut und noch an den Knochen hängende Fleischreste.

Das ganze Fleisch an seinen Beinen war Stück für Stück abgetrennt worden. Und wahrscheinlich.... war das ganze Fleisch von ihm selbst gegessen worden!



Wen Chaos schrill-scharfe Schreie hallten durch die leere Kurierstation. Wei WuXian sah aus, als hätte er nichts gehört. Er hob den Saum seines Gewandes an und setzte sich an einen anderen Tisch. Die zweite Öllampe leuchtete auf. Durch das leuchtende Gelb der Flammen lag die eine Hälfte von Wei WuXians Gesicht im Licht, die andere Hälfte im Dunkel. Er ließ seine Hände sinken. Ein aschgraues Gesicht erschien aus der Dunkelheit heraus unter dem Tisch. Bald kamen knirschende Kaugeräusche.

Ein blasshäutiges Kind hockte zu seinen Füßen. Wie ein junges, fleischfressendes Tier nagte es auf etwas, das Wei WuXian ihm gegeben hatte.

Wei WuXian nahm seine Hand weg, nachdem er den spärlich behaarten Kopf des Ghulkindes getätschelt hatte. Es behielt das, was es von ihm bekommen hatte, in seinem Mund, drehte sich um und setzte sich. Es umarmte sein Bein und kaute heftig, während es Wen ZhuLiu mit kalten, glitzernden Augen anstarrte.

Was es kaute, waren zwei menschliche Finger.

Es war unnötig zu sagen, dass es Wen Chaos Finger sein mussten!

Lan WangJi starrte dieses grässliche Ghulkind zusammen mit einem grässlichen Wei WuXian an. Seine Händen krampften sich um Bichens Griff zusammen. Wen ZhuLiu stand noch vor Wen Chao. Wei WuXians Kopf war nach unten gerichtet, sein Gesichtsausdruck war nicht zu sehen: „Wen ZhuLiu, glaubst du wirklich, dass du sein Hundeleben vor meinen Händen schützen kannst?“



Wen ZhuLiu, „Ich sterbe lieber bei dem Versuch.“

Wei WuXian lachte kalt: „Was für ein treuer Wen-Hund.“

Wen ZhuLiu, „Ich kann nicht umhin, die Schulden zurückzuzahlen, die ich ihnen dank ihrer Großzügigkeit schulde.“

Der Ausdruck von Wei WuXian verdunkelte sich sofort. Auch seine Stimme klang hart: „Was für ein Scherz! Warum muss die Schuld, die du schuldest, auf Kosten anderer zurückgezahlt werden?“

Noch bevor er mit dem Sprechen fertig war, drangen hinter Wen ZhuLiu die durchdringenden Klagen von Wen Chao zu ihnen. Wen Chao war in eine Ecke gekrochen und versuchte so intensiv wie möglich, sich in die Holzplatten zu drücken, als ob er sich zwischen ihnen herausdrücken könnte. Doch plötzlich fiel ein roter Schatten von der Decke. Eine langhaarige Frau in roter Kleidung, ihr Gesicht bläulich, fiel schwer auf ihn drauf. Das dunkle Gesicht, die leuchtend rote Kleidung und die schwarzen Haare bildeten einen kühlen Kontrast. Ihre Finger wickelten sich um die Verbände um Wen Chaos Kopf und zerrissen diese!

Die Verbände waren gerade erst wieder angelegt worden, nachdem Wen ZhuLiu Salbe auf Wen Chaos Gesicht aufgetragen hatte. Die Salbe, die Haut und die Verbände klebten noch aneinander. Verbrannte Haut war von Natur aus nicht widerstandsfähig. Mit dem heftigen Zug rissen die noch nicht getrockneten Krusten zusammen mit einer dünnen Fleischschicht ab. Sogar seine Lippen waren abgerissen worden. Der unebene, kahle Kopf wurde so sofort zu einem blutigen, kahlen Schädel.

Wen Chao war sofort ohnmächtig. Sobald er den Schrei gehört hatte, hatte sich Wen ZhuLiu umgedreht, um ihm zu helfen. Auf dem Dach drängten sich Lan WangJi und Jiang Cheng mit ihren Schwertern noch näher heran, bereit zum Angriff. Doch sie hörten einen weiteren Schrei. Das Ghulkind zu Wei WuXians Füßen hatte sich selbst nach vorne geworfen. Wen ZhuLius rechte Hand hatte auf die Stirn des Ghuls geschlagen, bevor er einen starken Schmerz auf seiner Handfläche spürte. Das Ghulkind hatte seine beiden Reihen scharfer Zähne weit geöffnet und in seine Hand gebissen.

Wen ZhuLiu konnte es nicht abschütteln, also ignorierte er es und ging direkt zu Wen Chao hinüber. Das Ghulkind hatte jedoch einen ganzen Teil des Fleisches aus seiner Hand herausgebissen und wieder ausgespuckt. Es fuhr damit fort, auch weiterhin seine Hand zu verschlingen. Wen ZhuLiu packte den Kopf des Kindes mit der linken Hand, während er dabei so viel Kraft auf den kleinen, kalten Kopf ausübte, dass dieser darunter explodieren könnte. Die blauhäutige Frau warf die blutbefleckten Verbände auf den Boden und kroch wie ein Vierbeiner sofort an Wen ZhuLius Seite.

Mit einem Schwingen ihres Armes hinterließ sie auf ihm zehn blutige Striemen. Die beiden dunklen Wesen, ein großes und ein kleines, stritten unaufhörlich mit ihm. Wen ZhuLiu konnte sich nicht gleichzeitig um beide Seiten kümmern und stolperte inmitten des Chaos. Als er zur Seite schaute und Wei WuXians kaltes Lächeln sah, warf er sich ihm entgegen.

Beide auf dem Dach runzelten die Stirn. Lan WangJi schlug nach unten. Die Ziegel zerbrachen und das Dach brach unter ihnen zusammen. Durch das Dach sprang er in den zweiten Stock der Kurierstation hinunter und blockierte Wen ZhuLius Weg zu Wei WuXian. Wen ZhuLiu Überraschung darüber ausnutzend flackerte eine Peitsche aus violettem Licht über ihn hinweg und legte sich dreimal um seinen Hals, bevor sie ihn nach oben zog. Wen ZhuLius großer, schwerer Körper war von der wogenden Peitsche angehoben worden und baumelte nun in der Luft.

Sofort erklangen die knirschenden Geräusche seines Halsknochen, die nun gebrochen waren. Gleichzeitig schrumpften die Pupillen von Wei WuXian. Er nahm eine Flöte neben seiner Taille heraus, drehte sie und stand auf. Das Ghulkind und die blauhäutige Frau, die Wen ZhuLiu angegriffen hatten, wichen schnell an seine Seite zurück und starrten die beiden Fremden mit Wachsamkeit an.

Hinter ihnen war Wen ZhuLiu noch nicht gestorben. Sein Gesicht war errötet und sein ganzer Körper zuckte und krampfte gegen seinen Willen. Seine Augen waren so weit geöffnet, dass es schien, als würden sie aus ihren Höhlen springen. Das Ghulkind knurrte Lan WangJi und Jiang Cheng an und verbarg seine Feindschaft keineswegs. Wei WuXian hob seine Hand leicht an, damit es seine Reißzähne zurückzog. Sein Blick schweifte zwischen Lan WangJi und Jiang Cheng hin und her. Unter den dreien hatte bislang noch niemand gesprochen.

Wenige Augenblicke später winkte Jiang Cheng mit dem Arm und warf etwas in seine Richtung. Wei WuXian fing es ohne zu überlegen auf. Jiang Cheng, „Dein Schwert!“

Wei WuXians Hand senkte sich langsam.

Er blickte auf Suibian herab und reagierte erst nach einer Pause, „....Danke.“

Wieder verging eine kurze Zeit, bevor irgendwelche Worte gesprochen wurden. Plötzlich ging Jiang Cheng hinüber und schlug ihn sachte auf die Schulter: „Du Mistkerl! Wo hast du bitte in den letzten drei Monaten gesteckt?“

Obwohl der Satz selbst ihn wohl schimpfen sollte, so war sein Ton voller Freude. Und obwohl Lan WangJi nicht nach vorne trat, war sein Blick die ganze Zeit immer auf Wei WuXian gerichtet. Mit diesem Klaps hielt Wei WuXian verblüfft inne. Wenige Augenblicke später schlug er auch zu: „Haha, das ist eine lange Geschichte, eine wirklich lange Geschichte!“

Die kalte Luft, die ihn umgeben hatte, war durch diese beiden Schläge in gewisser Weise irgendwie verwässert worden. In Jiang Chengs Freude lag auch Wut. Er umarmte ihn fest, bevor er ihn zurückschob und schrie: „Haben wir uns nicht darauf geeinigt, uns in dieser lausigen Stadt unten am Berg zu treffen? Ich habe fast sechs Tage gewartet und nicht einmal einen Schatten von dir gesehen! Wenn du gestorben wärst, wäre es nicht einmal vor meinen Augen gewesen! In den letzten drei Monaten war ich so beschäftigt, dass mir der Kopf schwillt!“

Wei WuXian hob den Saum seines Gewandes an, setzte sich wieder hin und winkte mit der Hand ab: „Ich habe dir doch bereits gesagt, dass es eine lange Geschichte ist. Damals suchten auch ein paar Wen-Hunde überall nach mir. Sie warteten auf mich, erwischten mich genau dort und warfen mich an einen höllischen Ort, an dem ich leiden sollte.“

Während er sprach, kroch die blauhäutige Frau auf ihn zu, indem sie sowohl ihre Arme als auch ihre Beine dazu benutzte. Während sie gekämpft hatte, war ihr Gesicht fast als hässlich zu bezeichnen gewesen, aber jetzt, mit ihrem dunklen Gesicht gegen Wei WuXians Schoß gelehnt, schien sie irgendwie eine charmante Konkubine zu sein, die ihrem Meister gehorsam gefallen wollte. Das kichernde Lachen kam auch aus ihrem Mund. Wei WuXian saß zur Seite gelehnt, seine rechte Hand streichelte ihr weiches, langes Haar immer wieder.



Während er seine Bewegungen beobachtete, wurde Lan WangJis Gesicht noch kälter. Obwohl sich Jiang Cheng in der Szene etwas unwohl fühlte, war er im Moment mehr als alles andere schockiert: „Was für ein höllischer Ort? Ich habe die Leute in der Stadt sorgfältig befragt, also wie konnte es sein, dass sie alle sagten, sie hätten dich nicht gesehen?“

Wei WuXian, „Du hast die Leute in der Stadt befragt? Sie sind alle ein Haufen naiver Bauern, die Angst davor haben, sich selbst Ärger zu machen, also wer würde es wagen, dir die Wahrheit zu sagen? Und die Wen-Hunde haben definitiv etwas getan, um sie zum Schweigen zu bringen. Natürlich haben sie dann alle gesagt, dass sie mich nicht gesehen hätten.“

Jiang Cheng fluchte: „Diese alten Idioten!"

Er fügte schnell hinzu: „Was für ein höllischer Ort? Qishan? Die 'Nachtlose Stadt'? Wie bist du dann da wieder raus gekommen? Und dann bist du so geworden. Was sind.... diese beiden Dinge da von dir? Sie hören tatsächlich auf dein Kommando. Vor einiger Zeit haben der zweite junger Meister Lan und ich die Aufgabe übernommen, nachts Attentate auf Wen Chao und Wen ZhuLiu zu verüben, aber jemand war immer vor uns dort. Ich kann nicht glauben, dass du es warst! Du warst derjenige, der auch diese Talismane verändert hat, nicht wahr?“

Aus dem Augenwinkel heraus sah Wei WuXian, dass Lan WangJi sie die ganze Zeit angeschaut hatte. Er lächelte: „So ungefähr. Wenn ich dir sagen würde, dass ich irgendwo eine mysteriöse Höhle gefunden hätte und es dort ein mysteriöses Buch gegeben hätte, das ein mysteriöser Experte dort gelassen hat, und als ich dann, als ich wieder von dort herauskommen war, so mächtig geworden bin, würdest du mir dann glauben?“


Jiang Cheng spuckte, „Wach auf. Du hast zu viele Legenden in diesen Bilderbüchern gelesen, nicht wahr? Wie könnte es so viele Experten auf dieser Welt geben? Mit geheimen Höhlen und Büchern überall!“

Wei WuXian drehte seine Handflächen nach oben, „Siehst du? Du glaubst mir nicht, auch wenn ich es sage. Ich werde dir davon erzählen, wenn ich jemals die Chance dazu bekomme.“

Jiang Cheng blickte auf Lan WangJi. Er wusste, dass es wahrscheinlich etwas war, das nicht vor Jüngern aus anderen Sekten gesagt werden sollte, und wischte sich die Freude aus dem Gesicht, „In Ordnung, dann eben so. Du kannst es mir später erzählen. Es ist alles gut, solange du nur wieder zurück bist.“

Wei WuXian, „Ja. Solange ich zurück bin.“

Jiang Cheng murmelte die Worte 'solange du nur wieder zurück bist' noch einige Male, ehe er ihn wieder schlug: „Du bist wirklich....! Du lebst immer noch, obwohl du von Wen-Hunden gefangen genommen wurdest!“

Wei WuXian strahlte, „Natürlich. Was hast du erwartet?!“

Jiang Cheng konnte nicht anders, als ihn zu schimpfen: „Worauf bist du stolz?!! Du lebst und bist dennoch nicht früher zurückgekommen!“

Wei WuXian, „Ich bin doch gerade erst da raus gekommen, hey?! Als ich hörte, dass es sowohl Shijie als auch dir gut geht, und du die YunmengJiang-Sekte wieder aufgebaut und ein Bündnis gegründet hast, bin ich zuerst losgegangen, um ein paar Wen-Hunde zu töten, um deine Last zu erleichtern und einige eigene Beiträge zu leisten. In diesen drei Monaten hast du schließlich sehr hart gearbeitet.“

Als Jiang Cheng den letzten Teil hörte, erinnerte er sich an die letzten drei Monate, in denen er Tag und Nacht herumgereist und gearbeitet hatte. Er fühlte sich etwas geschmeichelt, aber schnell legte er wieder sein hartes Gesicht auf: „Steck dein schäbiges Schwert weg! Ich habe darauf gewartet, dass du es mir wegnimmst. Ich will nicht die ganze Zeit zwei Schwerter tragen und deswegen so viele Fragen gestellt bekommen!“

Lan WangJi sagte plötzlich: „Wei Ying.“

Er hatte die ganze Zeit ruhig an der Seite gestanden. Während er sprach, hatten sich sowohl Wei WuXian als auch Jiang Cheng an ihn gewandt. Es war, als ob Wei WuXian sich endlich daran erinnerte, ihn auch zu begrüßen. Er nickte leicht, „HanGuang-Jun.“

Lan WangJi, „Warst du derjenige, der all die Jünger der Wen-Sekte getötet hat?“

Wei WuXian, „Natürlich.“

Jiang Cheng, „Ich wusste, dass du es bist. Warum hast du sie einzeln getötet? So war es doch ein viel zu großer Aufwand.“

Wei WuXian, „Um herumzuspielen. Um mit ihnen zu spielen, bis sie sterben. Es wäre zu einfach für sie gewesen, sie alle auf einmal zu töten. Viel besser ist es, sie nacheinander voreinander zu töten, einen nach dem anderen. Natürlich habe ich Wen Chao noch nicht genug gefoltert. Wen ZhuLiu hat jedoch einen leitenden Posten von Wen RuoHan erhalten und sich der Wen-Sekte angeschlossen, wobei er seinen Nachnamen geändert hat, um unter Wen RuoHans Befehl seinen kostbaren Sohn zu schützen.“

Er lachte kalt: „Er wollte ihn beschützen, aber ich wollte ihn zusehen lassen, wie sich Wen Chao unter seinen Händen immer mehr selbst verzehrt, nicht mehr ganz Mensch, aber auch nicht ganz Monster.“

Das Lächeln war irgendwo zwischen kalt, grausam und zufrieden einzuordnen. Lan WangJi beobachtete ihn mit Klarheit in seinem Ausdruck. Er ging einen Schritt vorwärts: „Was genau gibt dir das Recht, solche dunklen Kreaturen zu kontrollieren und für deine Zwecke zu benutzen?“

Die amüsierte Schwung der Lippen von Wei WuXian fiel leicht ab, während er ihn ansah. Jiang Cheng hatte auch den dissonanten Ton gehört: „Zweiter junger Meister Lan, was meinst du damit?“

Lan WangJis Augen waren auf Wei WuXian gerichtet, „Antworte mir.“

Das Ghulkind und die blauhäutige Frau begannen sich zu bewegen. Wei WuXian drehte sich um und sah sie an. Sie wichen langsam zurück, zögerten und versanken dann wieder in der Dunkelheit. Wei WuXian wandte sich schließlich wieder an Lan WangJi und hob seine Augenbrauen an: „Wenn du meinst... was würde denn passieren, wenn ich nicht antworte?“

Schnell drückte er sich zur Seite und wich so Lan WangJis plötzlichem Angriff aus. Er ging drei Schritte zurück: „Lan Zhan, wir haben uns gerade erst nach so langer Zeit wieder getroffen und du versuchst bereits, mich zu fangen. Das ist nicht schön, oder?“

Lan WangJi bewegte sich, ohne etwas zu sagen. Wei WuXian blockierte jeden Angriff, der gegen ihn gerichtet war. Beide waren in ihren Bewegungen unglaublich schnell. Als er Lan WangJis Hand zum dritten Mal abblockte, sprach er: „Ich dachte, man könnte meinen, dass wir beide vertraut miteinander wären. Das du einen Streit mit mir beginnst, ohne etwas zu sagen, klingt ein wenig herzlos, nicht wahr?“

Lan WangJi, „Antworte mir!“

Jiang Cheng stellte sich schließlich zwischen die beiden, „Zweiter junger Meister Lan!“

Wei WuXian, „Zweiter junger Meister Lan, dass, was du mich wirklich fragst, kann nicht in so kurzer Zeit erklärt werden. Und es ist irgendwie seltsam. Wenn ich dich nach den Geheimtechniken der GusuLan-Sekte fragen würde, würdest du mir da antworten?“

Lan WangJi ging an Jiang Cheng vorbei und kam direkt auf ihn zu. Wei WuXian hob seine Flöte an und hielt ihn damit auf Abstand: „Das geht nun zu weit, nicht wahr? Warum so unfreundlich? Lan Zhan, was in aller Welt willst du nun tun?“

Lan WangJi sprach ein Wort nach dem anderen: „Komm mit mir zurück nach Gusu.“

Als sie das hörten, waren sowohl Wei WuXian als auch Jiang Cheng überrascht.

Kurz darauf lachte Wei WuXian: „Mit dir zurück nach Gusu gehen? In die Wolken-Schluchten? Warum sollte ich dorthin gehen?“

Doch plötzlich schien er es zu verstehen: „Oh. Ich vergaß. Dein Onkel Lan QiRen hasst solche freigeistigen Menschen wie mich. Du bist sein stolzester Schüler, also bist du natürlich genauso wie er, haha. Ich weigere mich.“

Jiang Cheng starrte Lan WangJi mit Vorsicht im Blick an: „Zweiter junger Meister Lan, wir alle verstehen die Wege der Lan-Sekte. Wie auch immer, Wei WuXian rettete dich in der Höhle des Xuanwu auf Berg Muxi, daraus resultierte deine Freundschaft, dass ihr zusammen gekämpft habt. Ihn nun sofort gnadenlos anzuprangern, wäre zu unvernünftig, nicht wahr?“

Wei WuXian, „Sieh dich nur an. Was für ein toller Sektenführer.“

Jiang Cheng, „Kannst du mal deine Klappe halten!“

Lan WangJi, „Es ist nicht so, dass ich ihn anprangern will.“


Jiang Cheng, „Warum willst du dann, dass er mit dir zurück nach Gusu geht? Zweiter junger Meister Lan, arbeitet die GusuLan-Sekte zu einem solchen Zeitpunkt nicht mit den anderen zusammen, um die Wen-Hunde zu töten, sondern um weiterhin an ihren unflexiblen Wegen festzuhalten?“

Obwohl einer gegen zwei stand, weigerte sich Lan WangJi immer noch, sich zurückzuziehen. Er blickte auf Wei WuXian, „Wei Ying, weil du den dunklen Weg der Kultivierung eingeschlagen hast, wirst du irgendwann schließlich dafür bezahlen müssen. In der Vergangenheit gab es keine einzige Ausnahme.“

Wei WuXian, „Ich kann bezahlen.“

Als er sah, wie unbesorgt er zu sein schien, senkte Lan WangJi seine Stimme: „Dieser Weg würde nicht nur deinem Körper, sondern auch deinem Herzen schaden.“

Wei WuXian, „Schaden oder nicht, wie viel Schaden genau, dass weiß ich am besten. Was mein Herz betrifft, so ist es doch mein Herz. Ich weiß, was ich tue.“


Lan WangJi, „Manche Dinge kannst du überhaupt nicht kontrollieren.“

Der Unmut blitzte über Wei WuXians Gesicht: „Natürlich kann ich es kontrollieren.“

Lan WangJi kam noch einen Schritt näher. Er schien im Begriff zu sein, wieder zu sprechen, als Wei WuXian die Augen schloss: „Schließlich, um auf mein Herz zu sprechen zu kommen, was könnten andere Leute schon darüber wissen? Warum sollten sich andere Leute darum kümmern wollen?“

Lan WangJi hielt inne. Er wurde plötzlich wütend, „.... Wei WuXian!“

Wei WuXian war ebenfalls verärgert, „Lan WangJi! Musst du das zu einem solchen Zeitpunkt wirklich so schwierig machen? Du willst, dass ich in die Wolken-Schluchten gehe, um eine Gefängnisstrafe der GusuLan-Sekte entgegenzunehmen? Was glaubst du, wer du bist? Was die GusuLan-Sekte ist?! Denkst du wirklich, dass ich mich da nicht widersetzen werde?!“

Zwischen den beiden bildete sich eine feindliche Energie. An Bichens Griff wurden Lan WangJis Knöchel weiß. Jiang Chengs Stimme war kalt: „Zweiter junger Meister Lan, im Moment ist das Chaos mit der Wen-Sekte noch nicht beendet. Dies ist die Zeit, in der wir dringend alle Kräfte brauchen. Die Menschen haben nicht einmal die Zeit, sich um sich selbst zu kümmern, warum sollte sich die GusuLan-Sekte um etwas kümmern, das so weit von all dem hier entfernt ist? Wei WuXian ist auf unserer Seite. Willst du unsere eigenen Verbündeten bestrafen?“

Wei WuXian fand zu seiner eigenen Gelassenheit zurück: „Das ist richtig. Es ist alles gut, solange die Wen-Hunde die Getöteten sind. Warum interessiert es dich, wie ich sie töte?“

Die beiden wussten schon seit Kindertagen, wie sie die Worte des anderen fortsetzten. Nun floss ein Satz in den anderen, und setzte ihre Argumentation nahtlos fort: „Entschuldige, dass ich nun etwas so frei heraus sage, aber selbst wenn wir der Sache hier auf den Grund gehen, ist Wei WuXian auch nicht Teil eurer Sekte. Es obliegt also nicht der GusuLan-Sekte, ihn zu bestrafen. Egal, mit wem er nun zurückkehrt, du wirst es nicht sein.“


Als er das hörte, erstarrte Lan WangJis Ausdruck. Er blickte zu Wei WuXian auf, sein Adamsapfel erzitterte, „Ich....“

Bevor er weitersprechen konnte, kam ein leiser Schrei von Wen Chao aus der Ecke. Wei WuXian und Jiang Cheng drehten sich sofort um. Gleichzeitig gingen die beiden um Lan WangJi herum und in Richtung Wen ZhuLiu und Wen Chao. Wen ZhuLiu hing an Zidian. Er kämpfte immer noch unter Qualen. Wen Chao war halb tot. Als er langsam seine Augenlider öffnete, sah er sofort die beiden Gesichter, die auf ihn herabblickten.

Die Gesichter hatten das gleiche Alter und wirkten gleichsam vertraut. Sie hatten ihm beide schon Ausdrucksformen von Verzweiflung, Qual oder tiefem Hass gezeigt. Aber im Moment präsentierte sich ihm auf ihren Gesichtern das gleiche kalte Lächeln, die gleichen kalten Augen.

Wen Chao schrie nicht mehr. Er versuchte auch nicht mehr, wegzulaufen. Kraftlos hob er seine fingerlosen Hände hoch und begann zu sabbern. Wei WuXian trat ihn in eine Position des Kniens in Richtung Yunmeng. Die freigelegten Knochen und das Fleisch rieben sich aneinander. Wen Chao weinte heftig vor Schmerzen. Es hallte besonders laut rasselnd in der leeren Kurierstation wider.

Jiang Cheng fragte: „Warum klingt seine Stimme so schrill?“

Wei WuXian, „Natürlich klingt sie so wenn dir ein bestimmtes Ding fehlt.“

Jiang Cheng war angewidert: „Warst du etwa derjenige, der das getan hat?“

Wei WuXian, „Das ist wirklich widerlich, wenn du es so betrachtest. Natürlich war ich nicht derjenige, der es abgeschnitten hat. Es wurde ihm abgebissen, als seine Frau verrückt wurde.“

Lan WangJi stand noch hinter ihnen und beobachtete sie. Wei WuXian erinnerte sich plötzlich wieder an seine Anwesenheit. Er drehte sich um und lächelte: „Zweiter junger Meister Lan, die folgende Szene ist vielleicht nicht für deine Augen geeignet. Vielleicht täte es dir am besten, diesen Anblick zu vermeiden.“

Obwohl ‚vielleicht‘ verwendet worden war, so klang sein Ton nicht im Geringsten widerlegbar. Jiang Cheng sprach auch mit Respekt und Distanz: „Das ist richtig. Zweiter junger Meister Lan, Wen Chao und Wen ZhuLiu befinden sich bereits in unseren Händen. Die Aufgabe ist somit erledigt, und es ist Zeit für uns, dass sich unsere Wege hier trennen. Was nun hier geschieht ist eine persönliche Angelegenheit unserer Sekte. Es wäre am besten, wenn du zuerst zurückkehrst.“

Lan WangJis Blick war immer noch auf Wei WuXian gerichtet, während Wei WuXian die Aufmerksamkeit bereits wieder voll und ganz auf seinen sterbenden Feind gerichtet hatte. Die Augen, mit denen er Wen Chao und Wen ZhuLiu mit glänzendem Blick ansah, und sein Grinsen waren sowohl euphorisch als auch grausam. Jiang Cheng zeigte den gleichen Ausdruck. Beide waren in dem überwältigenden Gefühl der Rache versunken. Die Sorge, dass hier nun noch ein Außenstehender anwesend war, war nicht wirklich vorhanden.

Wenige Augenblicke später drehte sich Lan WangJi um und ging die Treppe hinunter.

Nachdem er die Kurierstation verlassen hatte, stand er noch eine lange Zeit vor der Tür, aber er ging nicht weg.

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als die stille Nacht durch schrilles Geschrei zerrissen wurde.

Lan WangJi blickte hinter sich, seine weißen Gewänder und das Stirnband flatterten im kalten Wind.

Die Nacht war vorbei. Die Sonne am Himmel war kurz davor, aufzugehen.
Und die Sonne hier auf Erden war dabei zu fallen.






2 Kommentare:

  1. Och man, das ist so traurig... bin grade fast am Heulen. Lan Zhan tut mir so leid. Er wollte doch nur das Beste für Wei T.T

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  2. Oh je... dann besorge dir bitte für einige nachfolgende Kapitel ein großes Paket Taschentücher... will ja nicht spoilern...

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