Mittwoch, 21. August 2019

Kapitel 59

Kapitel 59

Kapitel 59: Gift – Teil Vier

Wen Ning


Wei WuXian fühlte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte, Hat er uns gesehen? Sollten wir weglaufen? Oder hat er uns nicht gesehen?

Plötzlich kam eine leise, weinerliche Stimme von der anderen Seite der Wand. Neben dem Klang von Schritten sprach ein Mann mit sanfter Stimme: „Weine nicht. Dein Gesicht ist schon ganz verschmiert.“

Diese Stimme war sowohl Jiang Cheng als auch Wei WuXian bekannt - es war Wen Chao!

Bald darauf schniefte Wang LingJiao: „Magst du mich dann nicht mehr, wenn mein Gesicht verschmiert ist?“

Wen Chao, „Wie kannst du so etwas denken? Egal wie JiaoJiao aussieht, ich werde sie immer mögen.“

Wang LingJiao sprach emotional: „Ich war wirklich so, so verängstigt.... Heute war ich wirklich... Ich war so nah dran zu glauben, dass ich von dieser Schlampe getötet werden würde und ich dich nie wieder sehen werde.... Junger Meister Wen... Ich...“

Wen Chao schien sie tröstlich zu umarmen: „Hör auf zu reden, JiaoJiao. Jetzt ist alles in Ordnung. Was für ein Glück, dass dich Wen ZhuLiu beschützt hat.“

Wang LingJiao beschwerte sich: „Du erwähnst ihn immer noch?! Wen ZhuLiu, ich hasse ihn. Wenn er heute nicht erst so spät gekommen wäre, hätte ich nicht so viel leiden müssen. Auch jetzt tut mir mein Gesicht noch so sehr weh, so sehr....“


Sie war eindeutig diejenige gewesen, die Wen ZhuLiu befohlen hatte, sich nicht vor ihren Augen blicken zu lassen und so selbst zu verantworten hatte, dass sie verprügelt worden war. Nun aber stellte sie die Sache wieder in einem anderen Licht dar. Wen Chao hörte ihr gerne auf so mitleidige Weise zu: „Es wird nicht wehtun. Hier, lass es mich anfassen.... Du magst es nicht, wie langsam er war, aber du darfst sein Limit nicht herausfordern. Sein Kultivierungsgrad ist wirklich hoch. Mein Vater hat oft gesagt, dass er ein seltenes Talent ist. Ich hoffe immer noch, dass ich ihn noch ein paar Jahre gebrauchen kann.“

Wang LingJiao war nicht überzeugt: „Na und... Na und? Und wenn er ein Talent ist? Es gibt so viele bekannte Kultivierende, so viele Talente unter Sektenführer Wen, mindestens Tausende. Was soll schon passieren, wenn er weg ist?“

Diese Aussage deutete Wen Chao an, dass er Wen ZhuLiu bestrafen sollte, damit sie sich besser fühlen würde. Wen Chao kicherte. Obwohl er Wang LingJiao so sehr schätzte, war es noch nicht so weit, dass er seine persönliche Garde um einer Frau willen bestrafen würde. Schließlich hatte Wen ZhuLiu viele Attentate auf ihn gestoppt. Er sprach auch nicht zu viel. Mit so einem loyalen Charakter würde er definitiv niemals seinen Vater verraten, was bedeutete, dass er ihn definitiv auch nicht verraten würde. Eine starke, aber loyale Wache wie diese war wirklich selten.

Als sie sah, dass er sich nicht allzu große Sorgen um sie machte, fügte Wang LingJiao hinzu: „Sieh ihn dir an. Er ist eindeutig nur ein einfacher Untergebener unter deinem Kommando, aber er ist so arrogant. Ich wollte dieser Yu-Schlampe ins Gesicht schlagen, und er ließ mich nicht einmal. Sie ist doch schon tot - sie ist nur eine Leiche! Er hat auf mich herabgesehen, also bedeutet das, dass er auch auf dich herabsieht, nicht wahr?“

Jiang Cheng konnte sich nicht mehr richtig an der Wand festhalten, und so rutschte er nach unten. Wei WuXian packte ihn schnell an der Rückseite seines Revers. Beide hatten tränenreiche Augen. Die Tränen rollten entlang ihrer Wangen herunter und fielen auf ihre Handrücken und schließlich auf den Boden.

Wei WuXian erinnerte sich, dass er heute Morgen, als Jiang FengMian gegangen war, dieser einen Streit mit Herrin Yu gehabt hatte. Die letzten Worte, die zwischen ihnen ausgetauscht worden waren, waren nichts Nettes oder Sanftes gewesen. Er fragte sich, ob sie sich ein letztes Mal hatten ansehen können, ob Jiang FengMian die Chance gehabt hatte, mit Herrin Yu noch einen weiteren Satz zu reden.

Wen Chao interessierte sich nicht für diese Angelegenheit: „So ist seine Persönlichkeit nun einmal, ziemlich seltsam. Er sagte so etwas wie 'die Toten nicht noch demütigen'. Er war derjenige, der sie getötet hat, also was sollte da der Grund gewesen sein, über solche Dinge noch zu reden?“

Wang LingJiao stimmte zu: „Das ist richtig. Was für eine Heuchelei!“

Wen Chao liebte es zu hören, wie sie ihm zustimmte. Er lachte. Wang LingJiao freute sich, „Diese Schlampe Yu, sie hatte es verdient. Damals zwang sie den Mann, sie mit der Macht ihrer Sekte zu heiraten. Und am Ende? Was nützte ihre Ehe? Er mochte sie immer noch nicht. Sie war jahrelang eine verlassene Frau, und jeder lachte sie hinter ihrem Rücken aus. Schon damals wusste sie nicht, wie man sich zurückhält und war immer wieder so arrogant. Ihr Ende war in der Tat Karma.“

Wen Chao, „Wirklich? Ihr Aussehen ist nicht allzu schlecht. Warum mochte Jiang FengMian sie nicht?“
Solange eine Frau gut aussah, gab es nach seinem Wissen keinen Grund für einen Mann, sie nicht zu mögen. Diejenigen, die beiseite geschoben werden sollten, waren entweder Frauen, die durchschnittlich aussahen oder Frauen, die nicht ihr Bett mit ihm teilen wollten. Wang LingJiao antwortete: „Es ist wirklich ganz offensichtlich, wenn man darüber nachdenkt. Diese Schlampe Yu war so aggressiv. Sie war eindeutig eine Frau, aber sie schwang ihre Peitsche und schlug die ganze Zeit andere. Sie hatte überhaupt keine Manieren. Jiang FengMian war dadurch so sehr belastet, selbst nachdem er sie geheiratet hatte. Er war der unglücklichste Mann aller Zeiten.“

Wen Chao, „Das ist richtig! Frauen sollten alle wie meine JiaoJiao sein, gehorsam und sanftmütig, und sich nur um mich kümmern.“

Wang LingJiao kicherte. Solche unerträglich vulgären Worte zu hören, ließ Wei WuXian sich sowohl trostlos als auch wütend fühlen, sein ganzer Körper zitterte. Er befürchtete, dass Jiang Cheng sich vergessen könnte und ausbrechen würde, aber vielleicht war er aufgrund der extremen Trauer so bewegungslos, dass er ohnmächtig zu sein schien. Wang LingJiao sprach leise: „Natürlich interessiere ich mich für niemanden außer für dich.... Für wen sonst sollte ich mich interessieren?“

Plötzlich stürmte eine weitere Stimme herbei, „Junger Meister Wen! Alle Häuser wurden bereits durchsucht. Über zweitausend vierhundert Schätze wurden gezählt. Sie werden im Moment kategorisiert.“

Die gehörten dem Lotus Pier, die gehörten der Jiang-Sekte!

Wen Chao lachte: „Gut gemacht, gut gemacht! Zu einem solchen Zeitpunkt sollten wir ein großes Fest feiern. Warum veranstalten wir hier heute Abend nicht ein Bankett? Nutzt alles optimal aus!“

Wang LingJiao sprach mit zärtlicher Stimme: „Junger Meister Wen, Glückwunsch zum Einzug in den Lotus Pier.“

Wen Chao, „Welcher Lotus Pier? Ändern wir den Namen. Reißt jede Tür, die mit dem neunblättrigen Lotus beschnitzt ist, heraus und ersetzt sie durch die mit dem Sonnenmotiv der QishanWen-Sekte! JiaoJiao, komm und tanz für mich zu deinem besten Lied!“

Wei WuXian und Jiang Cheng konnten sich das nicht mehr länger anhören. Sie kletterten wieder die Wand hinunter. Stolpernd taumelten sie aus dem Lotus Pier. Auch nach langem Laufen konnte das Lachen der Menge auf dem Trainingsplatz nicht einfach weggewischt werden. Die kokette Stimme einer Frau sang fröhlich über dem Lotus Pier. Wie eine mit Gift übergossene Klinge schnitt sie sich immer wieder in ihre Ohren und Herzen.

Sie waren über einen Kilometer weit gelaufen, bevor Jiang Cheng abrupt anhielt. Wei WuXian stoppte ebenfalls. Als Jiang Cheng sich umdrehte, packte Wei WuXian ihn: „Jiang Cheng, was machst du da?! Geh nicht zurück!“

Jiang Cheng schüttelte die Hand weg, „Geh nicht zurück?! Ist das dein Ernst? Du sagst mir, ich soll nicht dorthin zurückgehen? Die Körper meiner Eltern sind noch im Lotus Pier, kann ich da einfach so gehen? Wo könnte ich denn sonst hingehen, wenn ich nicht zurückkehre?!“

Wei WuXians Griff straffte sich: „Was könntest du schon ausrichten, wenn du jetzt zurückgehen würdest? Sie haben sogar Onkel Jiang und Herrin Yu getötet. Alles, was dich dort erwartet, ist der Tod!“

Jiang Cheng rief: „Dann erwartet mich halt der Tod! Wenn du Angst vor dem Tod hast, dann verschwinde - steh mir nicht im Weg!“

Wei WuXian stürzte sich auf ihn, „Für Rache ist es nie zu spät. Wir müssen die Leichen zurückbringen, aber nicht jetzt!“

Jiang Cheng wich vor dem Angriff zur Seite aus: „Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich habe genug von dir – verschwinde auf der Stelle!“

Wei WuXian rief: „Onkel Jiang und Herrin Yu sagten, ich solle mich um dich kümmern, damit es dir gut geht!“


„Halt die Klappe!“ Jiang Cheng schob ihn hart weg und brüllte: „Warum?“

Wei WuXian wurde in die Büsche geschoben. Jiang Cheng warf sich auf ihn drauf. Er packte Wei WuXians Kragen und schüttelte ihn: „Warum? Warum?! Warum nur?! Bist du glücklich?! Bist du zufrieden?!“

Er drückte Wei WuXians Kehle zusammen, seine Augen waren blutunterlaufen, „Warum hast du Lan WangJi gerettet?!“

Unter der Trauer und der Wut hatte Jiang Cheng den Verstand verloren. Er konnte die Kraft, die er benutzte, überhaupt nicht kontrollieren. Wei WuXian zog an seinem Handgelenk, „Jiang Cheng....“

Jiang Cheng hielt ihn auf dem Boden fest und brüllte weiter: „Warum hast du Lan WangJi gerettet?! Warum musstest du laut sprechen?! Wie oft habe ich dir gesagt, dass du keinen Ärger machen sollst! Nicht zuschlagen! Willst du wirklich so sehr den Helden spielen?! Hast du gesehen, was passiert ist, als du den Helden gespielt hast?! Huh?! Bist du jetzt glücklich?! Lan WangJi und Jin ZiXuan und diese Leute hätten einfach sterben sollen! Lass sie einfach sterben! Was hat ihr Tod mit uns zu tun?! Mit unserer Sekte zu tun?! Warum musste das passieren?! Warum?! Stirb einfach! Stirb einfach! Ihr sollt alle sterben! Alle!!“


Wei WuXians Gesicht war rot geworden. Er rief: „Jiang Cheng!“

Die Hand um seinen Hals lockerte sich plötzlich.

Jiang Cheng starrte ihn an. Tränen rollten über seine Wangen. Aus den Tiefen seiner Kehle entkam der Schrei eines Sterbenden, ein schmerzhaftes Schluchzen.

Er sprach unter Tränen, „.... Ich will meine Eltern wiederhaben, meine Eltern....“

Er fragte Wei WuXian nach seinem Vater und seiner Mutter. Doch egal, wen er fragen würde, er würde sie nicht wiederhaben können. Wei WuXian weinte auch. Die beiden saßen zusammengesunken inmitten der Grasbüsche und beobachteten sich gegenseitig beim Weinen.

In seinem Herzen wusste Jiang Cheng genau, dass damals in der Höhle des Xuanwu des Gemetzels am Berg Muxi, auch wenn Wei WuXian Lan WangJi nicht gerettet hätte, die Wen-Sekte einen Grund gefunden hätte, früher oder später zu kommen. Aber er hatte immer das Gefühl gehabt, dass, wenn die ganze Sache mit Wei WuXian nicht passiert wäre, es vielleicht nicht so früh gewesen wäre, es vielleicht einen Weg gegeben hätte, die Dinge zu ändern.

Es war dieser quälende Gedanke, der sein Herz mit Hass und Zorn erfüllte. Da sie nicht raus gelassen werden konnten, zerstückelten sie seine Innereien.

Als der Tag sich zu erhellen begann, war Jiang Cheng immer noch wie betäubt. Die ganze Nacht über hatte er es irgendwie geschafft, ein paar Mal zu schlafen. Der erste Grund war, dass er, nachdem er zu müde war, weil er bis zur Erschöpfung geweint hatte, nicht anders konnte als ohnmächtig zu werden. Der zweite Grund war, dass er immer noch die Hoffnung hatte, dass dies ein Alptraum sein könnte. Er konnte es kaum erwarten, nach einer Pause aufzuwachen und die Augen zu öffnen, um in seinem Zimmer im Lotus Pier zu liegen. Sein Vater würde sein Schwert in der Haupthalle polieren. Seine Mutter würde wieder wütend sein und sich beschweren, Wei WuXian schimpfen, der auf eine lustige Weise zwinkerte. Seine Schwester wäre in der Küche und würde intensiv darüber nachdenken, was sie kochen sollte. Seine Shidi würden sich weigern, ihren Morgenunterricht richtig zu machen und herumalbern.

Er wollte nicht in einem Busch aus Unkraut aufwachen, mit einem Kopf, der fast auseinander platzte, nachdem er eine ganze Nacht lang im kalten Wind gelegen hatte, immer noch zusammengerollt hinter einem kargen kleinen Hügel.

Der erste, der sich bewegte, war Wei WuXian. Mit seinen Händen auf den Beinen abgestützt, schaffte er es, sich zu erheben. Er sprach mit heiser Stimme: „Lass uns gehen.“

Jiang Cheng bewegte sich überhaupt nicht. Wei WuXian zog an ihm und wiederholte: „Lass uns gehen.“

Jiang Cheng, „...wohin gehen?“

Auch seine Kehle war trocken. Wei WuXian antwortete: „Zur MeishanYu-Sekte. Um Shijie zu finden.“

Jiang Cheng schlug seine ausgestreckte Hand weg. Wenige Augenblicke später setzte er sich endlich alleine auf und erhob sich. Die beiden machten sich auf den Weg in Richtung Meishan. Sie gingen zu Fuß. Unterwegs versuchten sie beide, alles an Energie aufzurufen, die ihnen noch übrig geblieben war. Ihre Schritte waren schwer, als ob sie Tausende von Pfund mit sich schleppten.

Jiang Chengs Kopf blieb die ganze Zeit über gesenkt. Er umarmte seine rechte Hand und drückte Zidian an seine Brust, wo sein Herz war, und fühlte immer wieder den einzigen Überrest seiner Familie, der noch übrig geblieben war. Er schaute auch oft zurück, dorthin, wo sich der Lotus Pier befand, und starrte auf das, was früher seine Heimat war und nun zu einer Höhle der Dämonen geworden war. Immer wieder war es, als würde er nie genug davon bekommen, als würde er den letzten Funken Hoffnung doch noch nicht verlieren. Aber auch die Tränen in seinen Augen kamen nie zum Stillstand.

Sie waren in Eile geflohen, ohne etwas zu essen mitzunehmen. Von vorgestern bis heute hatten sie auch ziemlich viel Kraft aufgewendet. Nachdem sie einen halben Tag lang gelaufen waren, wurde ihnen beiden schwindlig. Sie verließen die kargen Felder und betraten eine kleine Stadt. Wei WuXian sah Jiang Cheng an. Als er sah, wie müde und unwillig er war, sich noch weiter zu bewegen, sprach er: „Du kannst dich setzen. Ich werde uns etwas zu essen suchen.“

Jiang Cheng antwortete ihm nicht und nickte nicht. Auf dem Weg hierher hatte er nur ein paar Worte zu Wei WuXian gesagt. Wei WuXian sagte ihm mehrmals, er solle sich nicht bewegen, bevor er schließlich wegging. Er hatte oft überschüssiges Geld in die Ecken seiner Kleidung versteckt, und jetzt würde es von Nutzen sein - zumindest hatte er Geld, um Dinge zu kaufen. Als er herumging, kaufte er einen Haufen Lebensmittel, vor allem getrocknete, um diese unterwegs essen zu können.

In weniger als dreißig Minuten war er wieder dorthin zurückgekehrt, wo sich ihre Wege getrennt hatten. Aber Jiang Cheng war weg.

Wei WuXian hielt gedünstete Brötchen, Fladenbrote und Früchte in den Händen und fühlte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Er zwang sich, sich zu beruhigen. Selbst nachdem er die benachbarten Straßen abgesucht hatte, sah er Jiang Cheng immer noch nicht. Schließlich geriet er in Panik.


Als er einen Schuster am Straßenrand traf, fragte er: „Werter Herr, es gab einen jungen Meister etwa im gleichen Alter wie ich, der hier saß. Hast du gesehen, wo er hingegangen ist?“

Der Schuster leckte am dicken Ende eines Fadens, „Derjenige, der bei dir war?“

Wei WuXian, „Ja!“

Der Schuster, „Ich war gerade beschäftigt, also habe ich es nicht wirklich gesehen. Aber er blieb auf Abstand und starrte die Leute auf der Straße an. Und als ich dann wieder aufblickte, und dort hinsah wo er war, war er plötzlich verschwunden. Vielleicht ist er gegangen.“

Wei WuXian murmelte, „.... Er ist gegangen... Er ist gegangen....“

Er ist wahrscheinlich zum Lotus Pier gegangen, um die Leichen zu stehlen!
Als ob er verrückt geworden wäre, sprintete Wei WuXian sofort in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Er hielt in seinen Händen das Essen, das er gerade gekauft hatte, und das Gewicht verlangsamte ihn. Eine Weile später ließ er es zurück. Nachdem er jedoch einige Zeit lang gelaufen war, begann er sich immer schwächer und schwächer zu fühlen, zusätzlich zu dem, dass er immer mehr in Panik geriet. Als seine Beine nachgaben, brach er auf den Boden zusammen.

Als er zusammenbrach, fiel er mit seinem Gesicht voran in den Dreck. Er konnte Erde in seinem Mund schmecken. Eine überwältigende Mischung aus Hass und Hilflosigkeit entstand in Wei WuXians Brust. Er knallte seine Faust hart auf den Boden und schrie, bevor er schließlich wieder hochkam. Er drehte sich um und rannte in die andere Richtung. Nachdem er eines der gedämpften Brötchen, die er fallen gelassen hatte, aufgehoben hatte, wischte er es an seiner Kleidung ab, bevor er es in nur wenigen Bissen schluckte. Er kaute, als würde er mit den Zähnen Fleisch zerreißen. Als er schluckte, fühlte er, wie es an seiner Kehle kratzte und einen dumpfen Schmerz verursachte. Er hob noch ein paar mehr auf und stopfte sie in sein Revers. Er hielt eines in der Hand und aß, während er rannte, in der Hoffnung, dass er Jiang Cheng auf halbem Weg stoppen würde.

Doch bis er am Lotus Pier ankam, als der Mond und die Sterne bereits am Nachthimmel schienen, hatte er Jiang Cheng auf seiner Reise noch nicht gesehen. Wei WuXian starrte aus der Ferne auf den hell erleuchteten Lotus Pier. Mit den Händen abgestützt auf den Knien, keuchte er unaufhaltsam. Der Geschmack von Blut kletterte über seine Brust hoch in seinen Hals, die Art, die nach einer längeren Zeit des Laufens auftrat. Der Mund voll vom rostigen Geschmack, fühlte er, wie ihm schwarz vor Augen wurde.

Er dachte bei sich selbst: Warum habe ich Jiang Cheng nicht eingeholt? Selbst nachdem ich etwas gegessen hatte, war ich so schnell, wie ich überhaupt laufen konnte. Er war müder als ich und er hat etwas Schlimmeres durchgemacht. Wie konnte er schneller sein als ich? Ist er wirklich zum Lotus Pier zurückgekommen? Aber wenn er nicht hierher zurückgekommen sein sollte, wo würde er denn dann sonst hingehen? Alleine, ohne mich nach Meishan?

Nach einer Weile der Ruhe entschied er sich dennoch, zum Lotus Pier zu gehen, um ihn auszukundschaften. Während er an der Mauer entlang schlich, ertönte eine Stimme in Wei WuXians Herzen und betete mit allem, was der Verzweiflung nahe war. Lass diesmal niemanden über Jiang Chengs Leiche auf dem Trainingsplatz sprechen. Oder sonst, oder sonst werde ich....

Oder sonst?

Oder was sollte er sonst tun?

Er konnte nichts tun. Er war machtlos. Der Lotus Pier war zerstört worden, sowohl Jiang FengMian als auch Herrin Yu waren weg, und auch Jiang Cheng war verschwunden. Er war der einzige, der noch übrig war, allein, mit nicht einmal einem Schwert in der Hand. Er wusste nicht, was und wie er etwas tun sollte!

Zum ersten Mal bemerkte er, wie klein seine Macht war. Vor etwas so Großem wie der QishanWen-Sekte war es dasselbe wie eine Gottesanbeterin, die versuchte, einen Wagen zu stoppen.

Wei WuXians Augen fühlten sich so warm an, dass er im Begriff war, wieder zu weinen. Er ging um die Ecke, als plötzlich ein Schatten in den Sonnen- und Flammengewändern auf ihn zukam. Mit der Geschwindigkeit eines Blitzes schnappte sich Wei WuXian die Person und hielt sie fest.

Seine linke Hand hielt die beiden Hände der Person eisern fest, während sich seine rechte um deren Hals schloss. Er senkte seine Stimme und drohte mit dem rücksichtslosesten Ton, den er beschwören konnte: „Mach keinen Lärm! Sonst kann ich dir sofort das Genick brechen!“

Von ihm festgehalten, beeilte sich die Person zu sagen: „Junger Meister Wei, ich bin's!“

Es war die Stimme eines Jungen. Als Wei WuXian sie hörte, war seine erste Reaktion: Vielleicht ist es einer von den Leuten, die ich kenne, der jetzt die Gewänder der Wen-Sekte trägt, um unter ihnen zu spionieren?

Aber die Stimme war ihm völlig unbekannt. Er lehnte den Gedanken sofort ab und sein Griff erhärtete sich: „Spiel hier keine Tricks!“

Der Junge, „Ich.... Ich spiele keine Tricks. Junger Meister Wei, du kannst dir mein Gesicht ansehen.“

Wei WuXian, Mir sein Gesicht ansehen? Vielleicht hat er etwas in seinem Mund versteckt und ist bereit, es auszuspucken?

Er hielt seine Deckung aufrecht und drehte das Gesicht der Person um. Die Gesichtszüge des Jungen waren zart. Eine jugendliche Schönheit umgab ihn. Dies war der junge Meister der QishanWen-Sekte, den sie gestern beim Beobachten gesehen hatte.

Wei WuXian war das gleichgültig, Ich kenne ihn nicht.

Er drehte das Gesicht des Jungen wieder zurück, hielt ihn weiterhin an seinem Hals fest und befahl mit leiser Stimme: „Wer bist du?!“

Der Junge schien ein wenig enttäuscht zu sein: „Ich... ich bin Wen Ning.“

Wei WuXian runzelte die Stirn, „Wer ist Wen Ning?“


Doch schweigend dachte er: Wen interessiert es, wer er ist? Egal was passiert, er ist jemand mit einem Rang. Mit ihm in meinen Händen könnte ich vielleicht einen Tausch machen!

Wen Ning sprach langsam: „Ich.... Vor einigen Jahren, während der Diskussionskonferenz in Qishan, schoss ich.... Ich... Ich schoss Pfeile...“

Als er hörte, wie langsam er war, wurde Wei WuXian ungeduldig. Er kochte innerlich: „Du hast was?! Bist du ein Stotterer?!“

Wen Ning war so verängstigt, dass er in Wei WuXians Griff zuckte, als wollte er sich mit den Händen um den Kopf zu einem Ball zusammenrollen. Er flüsterte: „Ja.... Ja... Ja.“

Wei WuXian, „...“

Als Wei WuXian sah, wie ängstlich, erbärmlich und dazu noch stotternd er war, schien er sich endlich an etwas zu erinnern, Die Diskussionskonferenz in Qishan vor zwei Jahren... Die Diskussionskonferenz.... Pfeile schießen... Ah, es gab wirklich jemanden wie ihn!

Wei WuXian hörte ihn an: „Du bist das... Wen... Wen irgendwas, derjenige, der ziemlich gut im Bogenschießen ist?“

Wen Ning nickte schnell und strahlte: „D-das bin ich! Gestern.... Ich habe dich gesehen, junger Meister Wei, zusammen mit dem jungen Meister Jiang, also dachte ich, dass du vielleicht wieder da bist....“

Wei WuXian, „Du hast mich gestern gesehen?“

Wen Ning, „Das habe ich.“

Wei WuXian, „Du hast mich gesehen, aber niemandem etwas gesagt?“

Wen Ning, „Werde ich nicht! Ich werde es niemandem sagen!“

Das war einer der seltenen Sätze, in denen er nicht stotterte. Darüber hinaus war sein Ton so entschieden, dass es sich so anhörte, als würde er einen Eid leisten. Wei WuXian stand zwischen Schock und Zweifel. Wen Ning fügte hinzu: „Junger Meister Wei, du bist hier, um den jungen Meister Jiang zu finden, nicht wahr?“

Wei WuXian, „Ist Jiang Cheng da drin?!“

Wen Ning antwortete gehorsam: „Ist er...“

Als Wei WuXian das hörte, drehte sich sein Verstand rasend schnell: Da Jiang Cheng da drinnen ist, scheint es, dass ich wohl in den Lotus Pier gehen muss. Nur wie? Wen Ning als Geisel nehmen? Das würde nicht funktionieren. Es ist wahrscheinlich, dass Wen Chao Wen Ning nicht mag. Was ist, wenn es keinen Sinn macht, ihn als Geisel zu nehmen?! Und lügt er oder nicht? Ist er nicht jemand von der Wen-Sekte? Aber gestern hat er uns wirklich gesehen und uns nicht verraten. Wenn ich ihn gehen lasse, würde er mich dann nicht so schnell wie möglich verraten? Wie kann es unter diesen Wen-Hunden nur jemand so nettes geben?? Um sicherzustellen, dass ich auf der sicheren Seite bin, könnte ich nur.....

Die Tötungsabsicht blitzte vor Wei WuXians inneren Auge aus. Er war noch nie jemand mit Blutgier gewesen. Aber nachdem seine Sekte zerstört worden war, hatten sich in den letzten Tagen Zorn und Hass in ihm vereinigt. Das Extremität der Situation erlaubte es ihm nicht, irgendwo Freundlichkeit zuzulassen. Wenn er seine rechte Hand noch mehr zusammengedrückte, könnte er Wen Nings Hals auf einmal brechen!

Während er darüber nachdachte, sprach Wen Ning: „Junger Meister Wei, bist du hier, um den jungen Meister Jiang zu retten?“

Wei WuXians Finger zuckten leicht. Er sprach mit einer kalten Stimme: „Was denkst du denn?“

Aus irgendeinem Grund lächelte Wen Ning nervös: „Ich wusste es. Ich... ich kann dir helfen, ihn da rauszuholen.“

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Wei WuXian, dass er etwas falsch verstanden hätte. Er war schockiert, „....du? Du willst mir helfen, ihn rauszuholen?“

Wen Ning, „Ja. D-denn gerade j-jetzt kann ich ihn g-ganz schnell d-da rausholen. Wen Chao und die a-anderen sind zufällig ausgegangen!“

Wei WuXian zog ihn näher an sich heran, „Kannst du das wirklich?!“
Wen Ning, „Ich kann! Ich bin auch ein Clan-Schüler der Wen-Sekte. Es gibt auch eine Gruppe von Schülern, die meinen Befehlen folgen.“

Wei WuXians Stimme war hart: „Befolgen sie deine Befehle? Befolgen sie die Befehle und töten dabei Menschen?“

Wen Ning eilte, „N-N-N-Nein! Meine Jünger töten nie Menschen nach dem Zufallsprinzip. Ich habe keinen einzigen der Leute der Jiang-Sekte getötet. Ich bin erst her geeilt, nachdem ich gehört hatte, dass mit dem Lotus Pier etwas passiert sei. Es ist wahr!“

Wei WuXian starrte ihn an, Was genau will er? Lügt er? Ist er unaufrichtig? Aber diese Lüge ist wirklich zu lächerlich! Denkt er, dass ich ein Idiot bin?!!

Das Beängstigende an der Sache war, dass ein verzweifelter Hoffnungsschimmer wirklich von irgendwo in den Tiefen seines Herzens sprießte. Er gab sich selbst einige harte Schimpfwörter im Stillen - er war dumm, nutzlos, lächerlich, es war bizarr, unvorstellbar. Doch er war allein, ohne Schwert und Werkzeug, und auf der anderen Seite der Mauer befanden sich Tausende von Kultivierenden der Wen-Sekte, vielleicht war auch Wen ZhuLiu unter ihnen.

Er hatte keine Angst vor dem Tod. Er hatte nur Angst, dass er nach seinem Tod nicht in der Lage sein würde, Jiang Cheng zu retten und das Vertrauen zu verraten, das Jiang FengMian und Herrin Yu ihm entgegengebracht hatten. Unter solchen Umständen konnte er nur auf eine Person in der Wen-Sekte hoffen, die er insgesamt nur dreimal getroffen hatte!

Wei WuXian leckte seine aufgesprungenen Lippen und sprach mit trockener Stimme, „.... Dann... Dann könntest du... könntest du mir helfen.... die Körper von Sektenführer Jiang und Herrin Yu.... mitzunehmen...“

Ohne dass er es bemerkte, hatte er auch angefangen zu stottern. Bevor er fertig war, erinnerte er sich daran, dass er Wen Ning immer noch in einer bedrohlichen Haltung festhielt. Er ließ ihn schnell los, aber er ließ sich selbst trotzdem noch einen Fluchtweg frei. Wenn Wen Ning anfing zu rennen oder zu schreien, sobald er ihn gehen ließ, würde er Wen Nings Schädel sofort einschlagen. Wen Ning drehte sich jedoch nur um, seine Stimme ernst, „Ich... Ich werde mein Bestes geben.“

Wei WuXian wartete, während in seinem Kopf die Gedanken rasten. Er ging an der gleichen Stelle auf und ab: Was ist los mit mir? Bin ich verrückt geworden? Warum sollte Wen Ning mir helfen? Warum sollte ich ihm vertrauen? Was, wenn er mich anlügt und Jiang Cheng überhaupt nicht drin ist? Nein, was wäre das für eine Erleichterung, wenn Jiang Cheng nicht dort drin ist!

Noch ehe eine halbe Stunde vergangen war, kam Wen Ning wirklich schweigend mit jemandem auf seinem Rücken nach draußen. Die Person war mit Blut bedeckt. Mit einem aschfahlen Gesicht und geschlossenen Augen hing er bewegungslos auf Wen Nings Rücken. Es war in der Tat Jiang Cheng. Wei WuXian flüsterte: „Jiang Cheng?!! Jiang Cheng?!“

Er berührte ihn vorsichtig. Jiang Cheng atmete noch. Wen Ning streckte seine Hand nach Wei WuXian aus und legte etwas in seine Handfläche: „J-junger Meister Jiangs Zidian. Ich habe ihn mitgebracht.“

Wei WuXian wusste nicht, was er sonst noch sagen konnte. Er erinnerte sich, dass ihm vor kurzem erst die Absicht in den Sinn gekommen war, Wen Ning zu töten, und sprach daher zögerlich, „.... Danke.“

Wen Ning, „Gern geschehen... Ich habe den Leuten bereits gesagt, dass sie Herrn Jiangs und Frau Jiangs Körper holen sollen. Ich werde sie dir danach direkt geben. Das hier ist kein guter Ort, um zu bleiben. Zuerst....“

Ohne dass er etwas anderes sagen musste, übernahm Wei WuXian Jiang Cheng und wollte ihn auf dem eigenen Rücken tragen. Doch nur ein Blick genügte und er sah die blutige Peitschenstriemen über Jiang Chengs Brust.

Wei WuXian, „War das eine Disziplinpeitsche?!“

Wen Ning, „Mhm. Wen Chao... er hat sich die Disziplinpeitsche der Jiang-Sekte angeeignet.... Es sollten sich auch noch andere Verletzungen am jungen Meister Jiang befinden...“

Wei WuXian tastete vorsichtig ein paar Mal den Körper ab. Mindestens drei von Jiang Chengs Rippen waren gebrochen. Er wusste nicht, wie viele Verletzungen es noch gab, die er gerade nicht sehen konnte. Wen Ning fuhr fort: „Sobald Wen Chao zurückgekehrt ist und das hier entdeckt hat, wird er definitiv anfangen, dich entlang des Yunmeng-Gebietes zu suchen.... Junger Meister Wen, wenn du mir vertraust, kann ich dich zuerst an einen sicheren Ort bringen, um dich zu verstecken.“

Im Moment war Jiang Cheng schwer verletzt. Er brauchte dringend Medizin und Ruhe, so dass sie definitiv so nicht in der Lage waren, dass sie herumlaufen konnten, so wie sie es zuvor getan hatten, ohne zu wissen, wann ihre nächste Mahlzeit sein würde. Die Situation, in der sie sich befanden, war fast unmöglich aussichtslos.

Sie konnten nirgendwo hingehen. Abgesehen davon, dass man sich auf Wen Ning verlassen musste, um Unterstützung zu erhalten, konnte Wei WuXian irgendwie keine andere Lösung finden!

Am Tag zuvor hätte er definitiv nicht erwartet, dass er und Jiang Cheng die Hilfe eines Schülers der Wen-Sekte benötigen würden, um zu entkommen, möglicherweise wären sie sogar gestorben, weil sie nicht bereit dazu gewesen wären, zu kapitulieren. Im Moment konnte Wei WuXian jedoch nur sagen: „Danke!“

Wei Ning winkte mit den Händen ab, „Es gibt.... Es gibt keinen Grund, mir zu danken. Junger Meister Wei, komm hier lang. Ich habe ein Schiff....“

Wei WuXian fand mit Jiang Cheng auf dem Rücken das Schiff, das Wen Ning vorher versteckt hatte, und legte Jiang Cheng dort in der Kabine ab. Wen Ning reinigte zuerst die Wunden von Jiang Cheng und legte einfach Verbände über eine Salbe an. Wei WuXian, der seine vertrauten Bewegungen beobachtete, konnte nicht umhin, sich an die Diskussionskonferenz in Qishan zurück zu erinnern: Das war die Diskussionskonferenz in dem Jahr gewesen, in dem Lan WangJi, Lan XiChen, Jin ZiXuan und er die ersten vier Plätze im Bogenschießen belegt hatten.

An diesem Tag, bevor der Bogenschießwettbewerb begonnen hatte, war er allein durch die Nachtlose Stadt geschlendert. Während er so spazierte, ging er durch einen kleinen Garten und hörte plötzlich vor sich das Geräusch einer Bogensehne, die vibrierte.

Wei WuXian schlug sich leise einen Weg durch die Blätter und Zweige. Er sah einen Jungen dort stehen, gekleidet in weißem, weichem Stoff. Er zielte mit einem Bogen in Richtung eines Ziels vor sich und ließ los. Von der Seite aus betrachtet schien der Junge ziemlich hübsch zu sein. Seine zeichnerische Haltung war sowohl fest als auch anmutig. Auf dem Ziel steckten schon einige gefiederte Pfeile bereits in der roten Mitte. Und auch dieser Pfeil hatte die Mitte getroffen. Kein einziger Pfeil hatte bislang die Mitte verfehlt.


Wei WuXian rief aus: „Bravo!“

Nachdem der Junge den Pfeil abgeschossen hatte, hatte er einen neuen Pfeil aus dem Köcher hinter sich herausgenommen. Mit gesenktem Kopf war er gerade dabei gewesen, ihn auf seinen Bogen zu legen, als er plötzlich eine unbekannte Stimme von der Seite hörte. Überrascht erzitterten seine Hände und sein Pfeil fiel zu Boden. Wei WuXian trat aus dem hinteren Bereich des Gartens heraus und grinste: „Welcher der jungen Meister der Wen-Sekte bist du? Nun, nun, sehr schön, deine Schüsse sind erstaunlich. Ich habe bislang niemanden in deiner Sekte gesehen, der so gut ist....“

Bevor er fertig werden konnte, war der Junge bereits verschwunden und ließ seinen Bogen und seine Pfeile zurück. Wei WuXian war sprachlos. Er griff sich an sein Kinn, Bin ich wirklich so charmant? So charmant, dass ich ihn verschreckt habe?

Er nahm die Sache auch nicht allzu ernst. Er dachte nur, dass er etwas Tolles gesehen hätte, während er zum Platz zurückkehrte. Der Wettbewerb sollte bald beginnen. Auf der Seite der Wen-Sekte gab es viel Geschrei. Wei WuXian fragte Jiang Cheng: „Wie konnten sie sich so viele Sorgen um ihre Diskussionskonferenz machen? Sie haben jeden Tag irgendetwas anderes. Was ist heute wieder los?“

Jiang Cheng, „Was denkst du denn? Die Plätze sind begrenzt. Sie streiten sich, wer von ihnen in die Arena gelassen werden darf.“

Nach einer Pause fuhr er mit Verachtung fort: „Diese Wen-Sekte.... im Bogenschießen sind sie alle gleich schlecht. Wäre es da nicht egal, wer geht? Welchen Unterschied macht es, wenn man sich davor noch darum streiten muss?“

Wen Chao schrie von der Seite: „Noch einer! Noch einer und wir sind vollzählig! Der letzte!“

In der Menge neben ihm war auch der weiß gekleidete Junge anwesend. Mit Blick nach links und rechts hob er schließlich seine Hand. Aber seine Hand war nicht hoch genug erhoben. Er wagte es nicht, seinen Namen zu rufen, wie die anderen es auch nicht taten. Nach einer Weile des Herumschubsens bemerkte ihn endlich jemand und hinterfragte: „QiongLin? Willst du auch mitmachen?“

Der Junge namens 'QiongLin' nickte mit dem Kopf. Jemand anderes lachte: „Ich habe noch nie gesehen, wie du einen Bogen aufgehoben hast. Warum willst du teilnehmen?! Vergeude nicht die Stelle.“

Wen QiongLin schien, als wolle er für sich selbst protestieren. Die Person sagte: „In Ordnung, in Ordnung. Sei nicht so eigenartig. Es wird nach Rang vergeben. Wenn du da reingehst und dein eigenes Gesicht verlierst, ist das nicht mein Problem.“

Wei WuXian, Das Gesicht verlieren? Wenn jemand in der QishanWen-Sekte ein Gesicht für euch alle finden könnte, dann wäre er derjenige.

Die Verachtung in der Stimme der Person war natürlich auch eine Selbstverständlichkeit. Wei WuXian war nicht sehr zufrieden. Er erhob seine Stimme: „Wer sagt, dass er nie einen Bogen aufgehoben hat? Das hat er, und seine Bogenschießkünste sind ziemlich gut!“

Alle sahen ihn etwas überrascht an. Dann drehten sie sich um und sahen den Jungen an. Wen QiongLins Gesicht war von Anfang an ziemlich blass gewesen. Da sich die Augen aller auf ihn konzentrierten, wurde er sofort hellrot. Diese pechschwarzen Augen starrten Wei WuXian an. Wei WuXian ging mit den Händen auf dem Rücken zu ihm hinüber, „Eben, warst du da im Garten nicht wirklich sehr gut?“

Wen Chao drehte sich ebenfalls um und bezweifelte: „Wirklich? Du? Gut im Bogenschießen? Warum habe ich noch nie davon gehört?“

Wen QiongLins Stimme war leise, „... Ich... Ich habe erst kürzlich angefangen zu üben....“

Seine Stimme war nicht nur leise, sondern auch atemberaubend. Es hörte sich an, als könnte er jeden Moment gestoppt werden, und er wurde tatsächlich oft gestoppt. Wen Chao unterbrach ihn ungeduldig: „In Ordnung, da drüben ist ein Ziel. Schieß schnell einen Pfeil, damit wir ihn sehen können. Wenn es gut ist, dann geh, wenn es nicht gut ist, dann gehst du nicht.“

Das Gebiet um Wen QiongLin leerte sich sofort. Die Hand, mit der er den Pfeil festhielt, verkrampfte sich, während er sich umblickte und scheinbar nach Hilfe suchte. Als Wei WuXian sah, wie unsicher er aussah, klopfte er ihm auf die Schulter: „Entspann dich. Mach einfach das, was du vorhin getan hast.“

Wen QiongLin sah ihn dankbar an. Mit einem tiefen Atemzug spannte er seinen Bogen. Unglücklicherweise schüttelte Wei WuXian heimlich den Kopf, als er sah wie er den Bogen aufzog, Oh-oh.


Es war sehr wahrscheinlich, dass Wen QiongLin noch nie zuvor einen Pfeil vor anderen Menschen abgeschossen hatte. Er zitterte den ganzen Weg von seinem Arm hinunter bis zu seinen Fingerspitzen. Der Pfeil flog heraus. Er war nicht einmal in die Nähe des Zieles gelandet. Die Leute der Wen-Sekte, die von der Seite zugesehen hatten, lachten alle spöttisch: „Wie kann das gut sein?!“

„Ich kann mit geschlossenen Augen besser schießen als der!“

„Okay, okay, hört auf, meine Zeit zu verschwenden. Lasst uns schnell jemanden finden, der die Arena betritt!“

Wen QiongLins Gesicht schillerte tiefrot bis auf den Grund seiner Ohren. Es gab keinen Grund für andere, ihn wegzuschicken; er floh unbewusst von alleine. Wei WuXian jagte ihm nach, „Hey, lauf nicht weg! Äh.... QiongLin-xiong, richtig? Warum rennst du weg?“

Als er seinen Namen von hinten hörte, stoppte Wen QiongLin endlich. Sein Kopf war tief gesenkt, als er sich herumdrehte. Es schien, als ob die Scham von seinem Kopf bis zu seinen Zehen reichen würde, während er stammelte: „....es tut mir leid.“

Wei WuXian grübelte: „Warum sagst du mir, dass es dir leid tut?“

Wen QiongLin antwortete schuldbewusst: „Du... Du hast mich empfohlen... aber ich habe dich dazu gebracht, das Gesicht zu verlieren....“

Wei WuXian, „Wie konnte ich dadurch mein Gesicht verlieren? Du hast noch nie wirklich vor anderen Leuten geschossen, oder? Warst du nervös?“

Wen QiongLin nickte. Wei WuXian fuhr fort: „Hab etwas mehr Selbstvertrauen. Lass mich dir die Wahrheit sagen - du schießt besser als jeder in deiner Sekte. Von allen Jüngern, die ich bislang gesehen habe, sind nicht mehr als drei Leute im Bogenschießen besser als du.“

Jiang Cheng ging hinüber: „Was machst du diesmal? Drei von was?“

Wei WuXian zeigte auf ihn: „Da, dieser zum Beispiel, er ist nicht so gut wie du.“

Jiang Cheng schnaubte wütend: „Willst du sterben?!“

Wei WuXian bekam einen Schlag von ihm. Doch mit unverändertem Ausdruck fuhr er fort: „Wirklich. Es gibt nichts, weshalb man nervös sein müsste, um ehrlich zu sein. Du wirst dich daran gewöhnen, nachdem du noch ein paar Mal vor anderen Leuten geübt hast. Nächstes Mal wirst du definitiv alle beeindrucken.“

Wen QiongLin war wahrscheinlich einer der Schüler vom Wen-Clan, die mit ihrer Blutlinie am weitesten entfernt waren. Sein Status war weder hoch noch niedrig, aber seine Persönlichkeit war schüchtern. Er wagte es nicht, etwas zu tun, und sogar seine Rede stotterte. Durch viel Übung hatte er schließlich den Mut zur Teilnahme am Wettbewerb gefunden, aber er hatte es versaut, weil er zu nervös war. Wenn er nicht die richtige Führung erhielt, würde der Junge vielleicht von nun an mehr und mehr sein wahres Selbst verbergen und es nie wieder wagen, vor anderen Menschen aufzutreten.


Wei WuXian ermutigte ihn ein paar Mal und berührte einige Wachstumsbereiche und korrigierte einige winzige Probleme, die er gehabt hatte, während er im Garten geübt hatte. Wen QiongLin hörte so aufmerksam zu, dass er nicht einmal den Blick abwandte und unkontrolliert nickte.

Jiang Cheng, „Wo hast du nur den ganzen Unsinn her? Der Wettbewerb beginnt in Kürze. Geh sofort in die Arena!“

Wei WuXian sprach mit Wen QiongLin in einem ernsten Ton: „Ich werde jetzt zur Konkurrenz gehen. Später kannst du sehen, wie ich schieße, wenn ich in der Arena bin....“

Jiang Cheng schleppte ihn ohne jede weitere Geduld weg. Er spuckte, während er ihn mit sich zog: „Zusehen, wie du schießt? Denkst du, dass du ein Paradebeispiel oder so etwas bist?“

Wei WuXian dachte einen Moment nach, bevor er antwortete: „Ja. Oder etwa nicht?“

„Wei WuXian! Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so schamlos ist wie du!“


Als er sich daran zurückerinnerte, wandte sich Wei WuXians Blick von Wen Ning ab zu Jiang Cheng, dessen Körper mit Blut bedeckt war und dessen Augen fest verschlossen waren. Seine Finger konnten nicht anders, als sich zu Fäusten zusammenzupressen.

Sie fuhren zuerst über die seitlichen Wasserwege und dann den Fluss hinunter. Als sie an Land ankamen, fuhren sie in einer Kutsche weiter, die Wen Ning bereits vorbereitet hatte. Am zweiten Tag kamen sie in Yiling an.





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