Freitag, 16. August 2019

Kapitel 51

Kapitel 51

Der Beginn des wohl traurigsten Aktes. Ich sag nur: Lotus Pier....




Kapitel 51: Mut – Teil Eins
Vorheriges Leben

Yunmeng war reich an Seen. Der Lotus Pier der YunmengJiang-Sekte, die Residenz der größten Sekte hier in dieser Region, wurde ebenfalls in der Nähe eines Sees erbaut.

Wenn man vom Ende des Lotus Piers aus einer Weile paddelte, dann sah man einen großen Lotussee, der mehr als hundert Kilometer lang war. Die breiten, grünen Blätter und die glatten, rosa Blüten wuchsen dicht an dicht aneinander. Wenn eine Brise wehte, schwangen die Blütenblätter und die Blätter, als ob sie mit dem Kopf nicken würden. Inmitten dieser Reinheit und Anmut konnte man auch ein naives Gefühl der Schwerfälligkeit spüren.

Der Lotus Pier war nicht so weltlich wie die Residenzen der anderen Sekten, hatte seine Türen fest verschlossen und weigerte sich, fremde Bürger innerhalb der einen Kilometer entfernten Grenze hereinkommen zu lassen. Die Docks direkt vor dem Eingang des Lotus Piers waren oft vollgepackt mit Verkäufern, die Samenkapseln, Wasserkastanien und alle Arten von Gebäck verkauften. Laufende Kinder aus nahegelegenen Häusern konnten sich auch auf die Felder des Lotus Pier schleichen, um den Kultivierenden beim Üben mit ihren Schwerter zuzusehen. Sie würden auch nicht geschimpft werden, wenn sie erwischt würden. Sie konnten manchmal sogar mit den Schülern der Jiang-Sekte herumspielen.

Als Wei WuXian noch jung war, schoss er oft Flugdrachen vom Ufer des Lotussees aus.

Jiang Cheng fixierte seinen eigenen Drachen und starrte ab und zu auf Wei WuXians. Wei WuXians Drachen war bereits hoch in den Himmel aufgestiegen, aber er hatte immer noch nicht die Absicht, seinen Bogen zu spannen. Mit der rechten Hand an der Stirn grinste er, während er aufblickte, als ob er spürte, dass er immer noch nicht weit genug entfernt war.

Als er sah, dass der Drachen fast aus dem Bereich herausgetrieben wurde, in dem er sich sicher sein konnte, dass es ihm gelingen würde, ihn abzuschießen, knirschte Jiang Cheng mit den Zähnen. Er positionierte seinen Pfeil und zog den Bogen. Der weiß gefiederte Pfeil schoss heraus. Der Drachen, der wie ein einäugiges Monster bemalt war, wurde direkt durch das Auge getroffen und fiel nach unten. Jiang Chengs Augenbrauen hoben sich, „Treffer!“

Gleich danach fragte er: „Deiner ist schon ziemlich weit geflogen. Bist du sicher, dass du ihn noch treffen kannst?“

Wei WuXian, „Willst du wetten?“

Er zog schließlich einen Pfeil heraus und zielte. Als der Bogen bis zum Äußersten gespannt war, ließ er ihn schnell los.

Ein Treffer!

Jiang Chengs Augenbrauen zogen sich wieder zusammen. Ein Brummen entkam durch seine Nase. Alle Jungen legten ihre Bögen weg und gingen ihre Drachen abholen, damit sie die Entfernungen einordnen konnten. Der nächstgelegene Drache erhielt die niedrigste Platzierung. Jedes Mal war der Letzte der sechs-älteste Shidi. Wie üblich verbrachten sie einige Zeit damit, über ihn zu lachen. Sein Gesicht war jedoch ziemlich dick, so dass es ihm egal war. Wei WuXians war am weitesten entfernt. Der ihm am nächsten gelegene, der Zweitplatzierte, war Jiang Chengs Drachen. Sowohl Wei WuXian als auch Jiang Cheng fühlten sich zu faul, um ihre Drachen zu holen. Die Jungen eilten über die gewundenen Holzstege, die über die Wasseroberfläche gebaut worden waren. Sie spielten herum, sprangen auf und ab, als plötzlich zwei junge, schlanke Frauen vor ihnen erschienen.

Beide von ihnen waren gekleidet als bewaffnete Dienerinnen und trugen kurze Schwerter. Das größere Dienstmädchen, das einen Drachen und einen Pfeil hielt, blockierte ihren Weg. Sie fragte kalt: „Wem gehören die?“

Alle Jungen verfluchten schweigend ihr Glück, als sie die beiden Frauen sahen. Wei WuXian berührte sein Kinn und trat nach vorne: „Sie gehören mir.“

Die andere Magd schnaubte: „Du gehörst zur ehrlichen Sorte, nicht wahr?“

Sie traten auseinander und offenbarten zwischen ihnen eine lila gekleidete Frau, die auch ein Schwert trug.

Die Frau hatte eine cremige Haut und war ziemlich schön, obwohl ihre zarten Gesichtszüge eine gewisse Ernsthaftigkeit zeigten. Die Lippenwinkel lagen zwischen Runzeln und Lächeln – es lag etwas spöttisches darin, genau wie bei Jiang Cheng. Ihre fließenden violetten Gewänder wickelten sich um ihre dünne Taille. Sowohl ihr Gesicht als auch ihre rechte Hand, die auf dem Griff ihres Schwertes lag, waren kühl wie ein Jadestein. Sie trug einen mit einem Amethyst veredelten Ring am Zeigefinger ihrer rechten Hand.

Jiang Cheng lächelte, als er sie sah, „Mutter!“

In der Zwischenzeit begrüßte der Rest der Jungen sie mit Respekt, „Herrin Yu.“


Herrin Yu war Jiang Chengs Mutter, Yu ZiYuan. Natürlich war sie die Frau von Jiang FengMian und hat sich auch mit ihm kultiviert. Natürlich sollte man sie Frau Jiang nennen. Aber aus irgendeinem Grund hatten alle sie immer Herrin Yu genannt. Einige Leute ahnten, dass es daran lag, dass sie aufgrund ihrer selbstbewussten Persönlichkeit nicht den Nachnamen ihres Mannes annehmen wollte. In dieser Angelegenheit hatten weder der Ehemann noch die fragliche Ehefrau jemals dagegen argumentiert.

Herrin Yu kam aus der bekannten MeishanYu-Sekte. Sie wurde in ihrem Clan auf Platz drei geführt, daher wurde sie auch Dritte Herrin Yu genannt. In der Kultivierungswelt nannte sie sich 'Violette Spinne'. Schon die Erwähnung des Namens konnte einige Leute abschrecken. Seit ihrer Jugend hatte sie eine kalte Persönlichkeit und war im Gespräch mit anderen nie so sympathisch. Auch nach ihrer Heirat mit Jiang FengMian war sie immer auf Nachtjagd gewesen und war nicht allzu erpicht darauf gewesen, im Lotus Pier bei der Jiang-Sekte zu leben. Außerdem war es anders, seitdem sie am Lotus Pier lebte, als wenn Jiang FengMian es allein getan hatte. Sie hatte ihren eigenen Bereich, in dem nur sie und einige der Familienmitglieder, die sie aus der Yu-Sekte mitgebracht hatte, lebten. Die beiden jungen Frauen, JinZhu und YinZhu, waren beide ihre vertrauten Dienstmädchen. Sie verließen nie ihre Seite.

Herrin Yu schenkte Jiang Cheng einen Seitenblick: „Faulenzt du wieder herum? Komm, lass mich dich ansehen.“

Jiang Cheng trat an ihre Seite. Herrin Yu drückte seinen Arm mit ihren schlanken Fingern, dann schlug sie ihm laut auf die Schulter und schimpfte: „Es gibt keine Verbesserung bei deiner Kultivierung. Du bist schon siebzehn, aber du bist immer noch wie ein ignorantes Kind, das die ganze Zeit mit anderen herumalbert. Bist du im gleichen Stand wie die anderen? Wer weiß, in welcher Kanalisation diese anderen Leute eines Tages sitzen werden, aber du wirst der Anführer der Jiang-Sekte sein!“

Jiang Cheng stolperte wegen des Klapses, sein Kopf senkte sich und er wagte nicht, zu protestieren. Wei WuXian verstand - es war selbstverständlich, dass sie ihn wieder schimpfte, ob offensichtlich oder nicht. Auf der anderen Seite streckte einer seiner Shidi heimlich seine Zunge in seine Richtung raus. Wei WuXian hob eine Braue und sah zum Shidi. Herrin Yu, „Wei Ying, welchen Ärger hast du diesmal vor, wieder zu verursachen?“

Wei WuXian trat daran gewöhnt vor. Herrin Yu schimpfte: „Du bist schon wieder so! Wenn du selbst keinen Fortschritt suchst, dann zieh Jiang Cheng nicht immer mit, um mit dir herumzualbern. Du hast einen schlechten Einfluss auf ihn.“

Wei WuXian sah erschrocken aus: „Ich suche keinen Fortschritt? Bin ich denn nicht derjenige mit dem größten Fortschritt im gesamten Lotus Pier?“

Die jungen Leute waren selten geduldig. Sie wären mit sich nicht zufrieden, wenn sie nicht widersprechen würden. Als sie das hörte, erschien ein Hauch von Feindseligkeit über Herrin Yus Stirn. Jiang Cheng beeilte sich: „Wei WuXian, halt die Klappe!“

Er wandte sich an Herrin Yu: „Es ist ja nicht so, dass wir unbedingt Drachen im Lotus Pier schießen wollen, aber ist es im Moment nicht so, dass keiner von uns den Pier verlassen darf? Die Wen-Sekte hat sich selbst alle Nacht-Jagdgebiete zugewiesen. Selbst wenn ich auf Nachtjagd gehen wollte, kann ich nirgendwo hingehen. Nicht nach draußen zu gehen und zu Hause zu bleiben, um die Wen-Sekte nicht zu provozieren oder sich um die Beute mit ihnen zu streiten – ist dass nicht das, was du Vater selbst klar gemacht hast?"

Herrin Yu grinste bitterlich: „Ich fürchte, dass du diesmal, auch wenn du nicht gehen willst, trotzdem gehen musst.“

Jiang Cheng verstand nicht. Herrin Yu schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit mehr und ging über den Steg zurück und hielt ihr Kinn hoch. Die beiden Dienstmädchen hinter ihr schossen Wei WuXian heftige Blicke zu und folgten ihrer Herrin.

Als der Abend kam, verstanden sie endlich, was mit 'auch wenn du nicht gehen willst, trotzdem gehen musst' gemeint war.

Es stellte sich heraus, dass die QishanWen-Sekte befohlen hatte, dass Gesandte ihnen Botschaften übermitteln sollten. Aus dem Grund, dass andere Sekten schlecht lehrten und dadurch Talent vergeudeten, forderte die Wen-Sekte alle Sekten auf, innerhalb von drei Tagen mindestens jeweils zwanzig Jünger nach Qishan zu entsenden, damit diese sich von Experten unterrichten lassen konnten.

Jiang Cheng war schockiert: „Die Leute der Wen-Sekte haben das wirklich gesagt? Sie kennen keine Scham, oder?“

Wei WuXian, „Nun, sie denken, dass sie die Sonne sind, die über allen Sekten scheint. Es ist nicht das erste Mal, dass die Wen-Sekte so schamlos ist. Mit ihrer großen Sekte und ihrem starken Einfluss haben sie den anderen Sekten seit letztem Jahr die Nachtjagd verboten. Wie viel Beute, wie viel Land haben sie uns dadurch schon gestohlen?“

Jiang FengMian saß auf dem vordersten Platz, „Pass auf deine Wortwahl auf und iss.“

Es waren nur fünf Personen in der großen Halle. Vor allen stand ein kleiner, quadratischer Tisch, auf dem ein paar Teller mit Essen standen. Den Kopf gesenkt, hatte Wei WuXian nur ein paar Bissen genommen, als jemand an der Ecke seines Ärmels zerrte. Als er sich umdrehte, sah er Jiang YanLi, die ihm ein kleines Gericht herüberreichte. In der Schale befanden sich ein Dutzend geschälter Lotuskerne, weich und weiß, frisch und saftig.

Wei WuXians Stimme war leise, „Shijie, danke.“

Jiang YanLi lächelte. Diese etwas milden Gesichtszüge erstrahlen sofort in Farbe. Yu ZiYuan sprach kalt: „Essen? In ein paar Tagen, wenn sie in Qishan sind, werden wir nicht einmal mehr wissen, ob man ihnen etwas zu essen geben wird. Warum nicht ab sofort ein paar Mahlzeiten hungrig überspringen? Sollen sie sich daran gewöhnen!“

Diese Forderung der QishanWen-Sekte war eine, die sie nicht ablehnen konnten. Unzählige Präzedenzfälle konnten belegen, dass, wenn eine Sekte es wagte, sich ihren Befehlen zu widersetzen, sie der seltsamsten Dinge beschuldigt wurden, wie zum Beispiel zu rebellisch oder destruktiv zu sein. Und, aufgrund dieser Gründe war es dann nur rechtens, diese Sekte auszulöschen.

Jiang FengMian antwortete mit lauwarmer Stimme: „Warum sich darüber sorgen? Egal, was in der Zukunft kommt, das heutige Essen sollte immer noch gegessen werden.“

Herrin Yu hatte keine Geduld mehr. Sie knallte eine Hand auf die Tischplatte: „Ich mache mir Sorgen? Natürlich mache ich mir Sorgen! Wie kannst du noch so gleichgültig sein? Hast du nicht gehört, was die Person aus der Wen-Sekte gesagt hat? Eine einfache Dienstmagd wagt es, ihren Kopf über meinen zu halten! Zu den zwanzig gesandten Jüngern muss ein Jünger aus dem Clan gehören. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass entweder A-Cheng oder A-Li dabei sein müssen! Sie werden dorthin geschickt, um was zu tun? Um unterrichtet zu werden? Jede Sekte lehrt ihre eigenen Schüler - seit wann obliegt es der Wen-Sekte, sich da einzumischen?! Das sind Menschen, mit denen sie spielen können, die sie gegen uns aufbringen können!“

Jiang Cheng, „Mama, bitte sei nicht so wütend. Ich werde gehen.“

Herrin Yu schimpfte: „Natürlich wirst du gehen! Sonst würde deine Schwester gehen müssen. Sieh sie dir an, wie sie immer noch glücklich Lotuskerne schält. A-Li, hör auf, sie zu schälen. Für wen schälst du sie? Du bist eine künftige Herrin, nicht die Dienerin von jemandem!“

Das Wort 'Diener' zu hören störte Wei WuXian nicht wirklich. Er hatte alle Lotuskerne in der Schale auf einmal in seinen Mund gesteckt und kaute, als die weiche, erfrischende Süße seinen Mund füllte. Jiang FengMian hingegen hob den Kopf leicht an, „Meine Schöne!“

Herrin Yu, „Was, etwa, was ich gesagt habe? Diener? Du willst das Wort nicht hören? Jiang FengMian, lass mich dich diesmal fragen, hast du vor, ihn auch gehen zu lassen?“

Jiang FengMian, „Das liegt an ihm selbst. Er kann gehen, wenn er will.“

Wei WuXian hob seine Hand, „Ich will gehen.“

Herrin Yu lachte heftig: „Wie wunderbar. Er kann gehen, wenn er will. Wenn er nicht will, ist es ihm definitiv möglich zu bleiben. Warum muss A-Cheng gehen, egal was passiert? Das Kind eines anderen mit solcher Leidenschaft aufzuziehen, Sektenführer Jiang, du bist wirklich ein sehr netter Mensch!“

Da gab es tiefen Groll in ihrem Herzen. Sie wollte einfach nur ihre Wut auslassen, auch wenn es keinen Sinn ergab. Alle anderen waren ruhig, während sie ihr Temperament ertrugen. Jiang FengMian, „Meine Schöne, du bist müde. Warum gehst du nicht zurück und ruhst dich aus?“

Jiang Cheng saß still, als er zu ihr aufblickte, „Mutter.“

Herrin Yu stand auf und spottete: „Was soll ich deiner Meinung nach tun? Möchtest du wie dein Vater, dass ich meine Zunge im Zaun halte? Du bist wirklich ein Idiot. Ich habe dir vor langer Zeit gesagt, dass du nie in deinem ganzen Leben in der Lage sein wirst, denjenigen zu übertreffen, der neben dir sitzt. Nicht über die Kultivierung, nicht über die Nachtjagd, nicht einmal über die Drachenjagd, man kann ihn nicht übertreffen! Dem kann nicht geholfen werden. Denn wer könnte die Tatsache ändern, dass deine Mutter schlechter ist als die eines anderen? Schlimmer noch. Deine Mutter fühlt die Ungerechtigkeit gegen dich, sagt dir unzählige Male, du sollst nicht mit ihm herumalbern, aber du verteidigst ihn immer noch. Wie konnte ich nur einen Sohn wie dich zur Welt bringen?“

Sie ging allein hinaus und ließ Jiang Cheng dort sitzen, sein Teint wechselte zwischen lila und blass. Jiang YanLi stellte leise eine Schale mit bereits geschälten Lotuskernen auf seinen Tisch.

Nachdem er eine Weile gesessen hatte, sagte Jiang FengMian: „Heute Abend werde ich achtzehn weitere Leute auswählen. Ihr werdet zusammen am nächsten Tag abreisen.“

Jiang Cheng nickte und zögerte, ob er noch etwas sagen sollte oder nicht. Er wusste nie, wie er sich mit seinem Vater unterhalten sollte, während Wei WuXian da kompetenter war.

Als er seine Suppe ausgetrunken hatte, antwortete er: „Onkel Jiang, willst du uns nicht noch etwas geben?“

Jiang FengMian lächelte: „Ich habe es euch schon vor langer Zeit gegeben. Eure Schwerter sind an eurer Seite, und das Sprichwort ist in euren Herzen.“

Wei WuXian, „Oh! 'Das Unmögliche versuchen', richtig?“

Jiang Cheng warnte sofort: „Das bedeutet aber nicht, dass du Ärger machen solltest, obwohl du weißt, dass du stets ein Chaos verursachen wirst!“

Die Stimmung unter ihnen besserte sich allmählich.

Am nächsten Tag, vor ihrer Abreise, sprach Jiang FengMian nur einen Satz, nachdem er sie über die Notwendigkeiten informiert hatte: „Die Jünger der YunmengJiang-Sekte sind nicht so schwach, dass sie unter den Wellen der Außenwelt zerbrechen könnten.“

Jiang YanLi begleitete sie noch ein Stück und folgte ihnen noch einige Straßenzüge lang. Sie füllte ihre Arme mit allerlei Snacks, aus Angst, dass sie in der QishanWen-Sekte sonst verhungern würden. Die zwanzig Jungen, die nun mit Essen übersät waren, machten sich vom Lotus Pier aus auf den Weg. Innerhalb der Zeit, die die Wen-Sekte festgelegt hatte, kamen sie zu dem genannten Sektor der Indoktrination in Qishan.

Aus jeder Sekte, ob groß oder klein, kamen eine Reihe von Schülern. Alle von ihnen waren Junioren. Unter den Hunderten von Menschen kannten sich etliche der Jungen. In Gruppen zwischen Drei- bis Sieben unterhielten sie sich alle leise, keines ihrer Gesichter wirkte glücklich. Es schien, dass sie alle hier mit nicht den angenehmsten Mitteln versammelt worden waren. Wei WuXian sah sich um und bemerkte: „Wie erwartet, die Leute aus Gusu sind auch gekommen.“

Er wusste nicht, warum, aber alle von der GusuLan-Sekte ausgesandten Jungen sahen etwas bleich aus. Lan WangJis Gesicht war besonders blass, aber sein Ausdruck war immer noch so frostig wie sonst und das distanzierte ihn von allen anderen. Mit seinem Schwert Bichen auf seinem Rücken, stand er allein, mit niemandem um ihn herum. Wei WuXian wollte zu ihm gehen und Hallo sagen, aber Jiang Cheng warnte ihn: „Mach keinen Ärger!“

Und so konnte er es nur vergessen.

Plötzlich rief eine Person ihnen Befehle von vorne zu und befahl allen Jüngern, sich vor einer hohen Plattform in Reihen aufzustellen. Einige der Jünger der Wen-Sekte kamen und tadelten: „Ruhe, ihr alle! Nicht reden!“

Die Person auf der Plattform war nicht viel älter als sie selbst und schien etwa achtzehn oder neunzehn Jahre alt zu sein. Mit aufgeblähter Brust, hatte er Gesichtszüge, die sich nur knapp mit dem Wort 'gutaussehend' kreuzten. An ihm fühlte sich, wie bei seinem Haar, aus irgendeinem Grund alles etwas schmierig an. Dies war das jüngste Kind der QishanWen-Sekte, Wen Chao.

Wen Chao genoss es wirklich, sein Gesicht zu zeigen. Er hatte sich vor den anderen Sekten in einer ganzen Reihe von Veranstaltungen präsentiert, weshalb den Menschen sein Aussehen nicht fremd war. Hinter ihm standen zwei Personen, einer links und einer rechts. Auf der linken Seite war ein hübsches Mädchen mit schlanker Statur. Mit langen Brauen, großen Augen und feurig roten Lippen war der einzige Makel der schwarze Leberfleck über ihrer Oberlippe. Er saß auf einer unangenehmen Stelle, als ob er immer andere einladen wollte, ihn herauszuschneiden. Rechts war ein großer, breitschultriger Mann, der wie in seinen Zwanzigern aussah. Sein Gesicht zeigte nur Gleichgültigkeit, umgeben von einer Aura der Kälte.

Wen Chao stand auf der höheren Hälfte des Hügels und sah auf sie alle herab. Er sah sehr zufrieden mit sich selbst aus und winkte mit der Hand: „Von nun an, einer nach dem anderen, übergebt ihr eure Schwerter!“

In der Menge kam es zu einem Aufruhr. Jemand protestierte: „Schwerter sollten einen Kultivierenden immer begleiten. Warum willst du, dass wir unsere Schwerter übergeben?“

Wen Chao, „Wer war derjenige, der gesprochen hat? Aus welcher Sekte? Steh auf!“

Die Person, die gesprochen hatte, hatte sofort zu viel Angst, um weiterzusprechen. Die Menge unter der Plattform beruhigte sich schließlich, und Wen Chao war schließlich zufrieden: „Genau deshalb, weil es immer noch Schüler wie dich gibt, die nichts von Verhalten, von Befolgung und von Demut wissen, bin ich hier, um dich zu indoktrinieren, damit eure Kerne nicht verrotten. Du bist jetzt schon so ignorant kühn. Wenn euer Verhalten jetzt und in Zukunft nicht aufgeräumt wird, dann wird es natürlich diejenigen unter euch geben, die versuchen wollen, die Autorität in Frage zu stellen, um der Wen-Sekte auf den Kopf zu klettern!“

Obwohl jeder wusste, dass er mit bösen Absichten um ihre Schwerter bat, so war die QishanWen-Sekte wie die Sonne zur Mittagszeit und ihre Sekten bewegten sich allesamt auf dünnem Eis und wagten es nicht, sich ihr im Geringsten zu widersetzen. Alle hatten Angst, dass, wenn sie ihm Missfallen bereiten würden, ihnen zusammen mit ihrer Sekte eine Anschuldigung vorgeworfen werden könnte, und so konnten sie sich ihm nur unterwerfen.

Jiang Cheng hielt Wei WuXian fest. Wei WuXian fragte mit leiser Stimme: „Weshalb hältst du mich zurück?“

Jiang Cheng schnaubte: „Tu keine unnötigen Dinge.“

Wei WuXian, „Du denkst zu viel nach. Selbst wenn dieser hier so fettig ist, dass es schon ekelhaft ist, und egal wie sehr ich ihn verprügeln will, so werde ich mir nicht einen solchen Moment aussuchen und unserer Sekte Ärger bereiten. Keine Sorge.“

Jiang Cheng, „Du würdest ihn am liebsten in einen Sack stecken und ihn immer wieder verprügeln? Ich befürchte, das würde nicht funktionieren. Siehst du den Kerl neben Wen Chao?“

Wei WuXian, „Ja, seine Kultivierung ist hoch, aber er hat sich nicht gut gehalten. Sieht aus, als wäre er ein Spätzünder gewesen.“

Jiang Cheng, „Sein Name ist Wen ZhuLiu, auch bekannt als die 'Kernschmelz-Hand'. Er ist ein Diener, der speziell an Wen Chaos Seite gehalten wird, besonders um ihn zu beschützen. Provoziere ihn nicht.“

Wei WuXian, „Die 'Kernschmelz-Hand'?“

Jiang Cheng, „Das ist richtig. Seine Handflächen sind ziemlich beängstigend. Und er ist eine große Hilfe für den Tyrannen. Vorher hat er Wen...“

Die beiden blickten geradeaus, während sie miteinander flüsterten. Als sie sahen, wie sich einer der Diener der Wen-Sekte ihnen näherte, um ihnen ihre Schwerter wegzunehmen, schwiegen sie sofort. Selbstbewusst löste Wei WuXian sein Schwert vom Gürtel und übergab es. Gleichzeitig konnte er nicht umhin, auf die Seite der GusuLan-Sekte zu schauen. Er dachte ursprünglich, dass Lan WangJi sich definitiv weigern würde, es zu übergeben. Unerwartet, auch wenn Lan WangJis Gesicht erschreckend kalt war, überreichte er sein Schwert trotzdem.

Die Verhöhnung von Herrin Yu war zu einer Prophezeiung geworden. Während sie ihre 'Indoktrination' in Qishan erhielten, waren die täglichen Mahlzeiten wirklich fade. Alle Snacks, die Jiang YanLi um ihre Körper gehängt hatte, waren ihnen vor langer Zeit weggenommen worden. Darüber hinaus hatte sich unter den jüngeren Jüngern noch niemand in Inedia geübt. Niemand konnte behaupten, dass es nicht schwierig war.

Die so genannte 'Indoktrination' der QishanWen-Sekte beinhaltete die Ausgabe von Kopien der 'Quintessenz der Wen-Sekte', Broschüren mit den Geschichten und Zitaten der früheren Führer und der besten Kultivierenden der Wen-Sekte. Jeder hatte eine bekommen. Sie waren dazu auffordert worden, sie sich gut zu merken und sie immer im Hinterkopf zu behalten. Wen Chao hingegen stand jeden Tag über ihnen. Er hielt Reden vor allen und verlangte, dass man ihn anfeuerte, und ihn zum Vorbild für jedes Wort und jede Handlung machte. Bei Nachtjagden nahm er die Jünger mit und ließ sie ganz vorne mitlaufen. Sie erkundeten den Weg, lenkten die Dämonen und Bestien ab und kämpften mit aller Kraft, während er im letzten Moment erschien und die Beute, die bereits von anderen zu einem Brei geschlagen worden war, leicht niederschlug. Nachdem er ihm den Kopf abgeschnitten hatte, prahlte er damit, dass er diesen Sieg ganz alleine errungen hätte. Wenn es jemanden gab, mit dem er besonders unzufrieden war, dann zog er ihn heraus und beschimpfte ihn vor allen Leuten, als ob diese Person noch niedriger im Stand wäre als sogar die Schweine.

Letztes Jahr, als Wen Chao an der Diskussionskonferenz der QishanWen-Sekte teilgenommen hatte, hatte er zusammen mit Wei WuXian und den anderen auch das Gelände am Tag des Bogenschießens betreten. Er war sich absolut sicher, dass er den ersten Platz gewinnen würde, und dachte, dass es für andere Menschen nur natürlich sei, ihm in allem nachzugeben. Als Konsequenz aus den ersten drei Schüssen war der erste ein Treffer, der zweite verfehlte und der dritte schoss die falsche Papierpuppe ab. Er hätte das Gelände sofort verlassen müssen, aber er weigerte sich, und die anderen zögerten, ihn herauszurufen. Am Ende, nach den Berechnungen, waren die vier mit den besten Ergebnissen Wei WuXian, Lan XiChen, Jin ZiXuan und Lan WangJi. Ohne den vorzeitigen Ausstieg hätte Lan WangJi es noch besser machen können. Wen Chao fühlte sich stark gedemütigt, und so nahm er diesen vier am meisten übel. Lan XiChen konnte diesmal nicht kommen, also war er auf die anderen drei fixiert, schimpfte sie jeden Tag, demonstrierte seine Macht.

Derjenige, der am meisten darunter zu leiden hatte, war Jin ZiXuan. Er war unter den übervorsichtigen Händen seiner Eltern sehr behütet aufgewachsen. Er hatte noch nie zuvor eine solche Demütigung erlebt. Wenn ihn die anderen Anhänger der LanlingJin-Sekte nicht ein ums andere Mal aufgehalten hätten und auch wegen der Tatsache, dass Wen ZhuLiu nicht einfach zu handhaben war, dann hätte er sich bereitwillig zusammen mit Wen Chao am ersten Tag getötet.

Andererseits schien Lan WangJi in einem Zustand des inneren Friedens und der absoluten Gleichgültigkeit zu sein, als ob seine Seele bereits aus seinem Körper gestiegen wäre. Und Wei WuXian hatte jahrelang Herrin Yus verschiedene Methoden des Schimpfens erlebt, als er am Lotus Pier war. Er begann zu lachen, wann immer er vor die Plattform treten sollte, und blinzelte kaum in solchen Momenten.

Wie üblich wurde die Gruppe an diesem Tag wieder von den Schülern der Wen-Sekte wachgerüttelt. Wie eine Gruppe von Nutztieren wurden sie zum nächsten Ziel ihrer Nachtaktivitäten getrieben. Der Ort, an den sie diesmal gingen war als Berg Muxi bekannt.

Je tiefer sie in den Wald gingen, desto dicker wurden die Äste über ihren Köpfen, und desto größer wurden die Schatten unter ihnen. Abgesehen von den Geräuschen von Blättern und ihren Schritten konnten sie nichts anderes hören. Das Gezwitscher von Vögeln, die Geräusche der Tiere und Käfer wären inmitten dieser Stille ungewöhnlich wahrnehmbar gewesen.

Nach einer Weile traf die Gruppe auf einen Bach. Über das gurgelnde Wasser verteilt schwammen Ahornblätter. Die Harmonie des Klangs und des Anblicks schwächte unmerklich die trostlose Atmosphäre etwas ab. Unter ihnen war auch vereinzelt kicherndes Gelächter zu hören.

Während Wei WuXian und Jiang Cheng gingen, beleidigten sie die Wen-Hunde in jeder erdenklichen Weise. Versehentlich drehte Wei WuXian sich um, blickte hinüber und sah eine in Weiß gekleidete Gestalt. Lan WangJi war nicht weit von ihm entfernt.

Aufgrund seines langsamen Tempos war Lan WangJi am hinteren Ende ihrer Reihe. In den letzten Tagen wollte sich Wei WuXian ihm viele Male nähern und sich bei ihm erkundigen, was passiert war. Lan WangJi wandte sich jedoch ab, wann immer er ihn sah, und Jiang Cheng hatte auch in ihn hinein geprügelt, nicht mit ihm herumzuspielen. Jetzt, da sie einander näher waren, konnte er nicht anders, als ihm mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wei WuXian erkannte plötzlich, dass, obwohl Lan WangJi versuchte, so normal wie möglich zu gehen, man immer noch sehen konnte, dass sein rechtes Bein den Boden leichter berührte als sein linkes, als ob er keinen Druck auf ihm ausüben könnte.

Als Wei WuXian dies sah, verlangsamte er seinen Schritt, so dass er neben Lan WangJi war. Er ging Schulter an Schulter mit ihm und fragte: „Was ist mit deinem Bein passiert?“











Informationen
JinZhu und YinZhu: JinZhu bedeutet "goldene Perle", während YinZhu "silberne Perle" bedeutet.
Meine Schöne: Die wörtliche Übersetzung wäre hier einfach nur "Frau", im unschönsten Fall sogar „Weib“ oder höher angesehen "Dame". Später könnte man es auch noch als "Dritte Frau" oder "Dritte Dame" interpretieren. Schon beim Subben der Animationsserie hat mich dies ungemein gestört, da ich alle diese Bezeichnungen etwas seltsam finde. Bereits in der Serie habe ich mich für „Meine Schöne“ entschieden, da ich trotz des Charakters von Herrin Yu der Meinung bin, das Jiang FengMian seine Frau liebt und sie, als die Herrin über das Lotus Pier, nicht als Weib oder bei dem Titel, den sie in ihrem Heimatclan getragen hatte, bezeichnen würde. Anderssprachige Übersetzungen beschränken sich da auf die wörtliche Übersetzung oder verwenden „MyLady“, was mich jedoch zu sehr an alte englische Schlager erinnert und sich als „Meine Dame“ übersetzt auch nicht wirklich besser anhört. Zudem sollte man bedenken, dass Herrin Yu für ihr Alter (man müsste sie auf Mitte 40 einschätzen) wirklich eine sehr schöne Frau ist.
Wen Chao: Chao ist in der Regel ein Nachname ohne Bedeutung und kein Vorname. Allerdings ist das Schriftzeichen des Namens tatsächlich mit dem Symbol der Sonne verbunden.
Wen ZhuLiu: ZhuLiu bedeutet "dem Strom hinterherlaufen".













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