Montag, 5. August 2019

Kapitel 47



Kapitel 47



Passend zu den heutigen und morgigen "The Untamed" Folgen (Folgen 39-42) das dazu passende Kapitel!




Kapitel 47: List – Teil Zwei
Geheimes Zimmer; Kopf


Die Zeitpunkt der Diskussionskonferenz am Karpfenturm kam im Handumdrehen.

Die meisten Residenzen der prominenten Sekten waren in Gebieten mit wunderschöner Landschaft gebaut worden, aber der Karpfenturm der LanlingJin Sekte befand sich im blühendsten Teil der Stadt Lanling. Die Hauptstraße, die man auf dem Weg zum Turm beschreiten musste, war eine mehr als einen halben Kilometer lange ausgebaute Fahrbahn. Sie wurde nur für wichtige Veranstaltungen wie Bankette oder die Diskussionskonferenzen geöffnet. Nach den Regeln der LanlingJin-Sekte dürfte man hier nicht zu schnell gehen. Beide Seiten des Weges waren mit Wandmalereien und Reliefs bedeckt, die Geschichten von den Führern des Jin-Clans und anderen bedeutenden Kultivierenden erzählten. Während der Reise fungierten die Anhänger der LanlingJin-Sekte als Führer, während sie die Wagen fuhren.

Von allen waren die vier berühmtesten Abschnitte die über den derzeitigen Sektenführer - Jin GuangYao - jeweils 'Offenbarung', 'Ermordung', 'Eid' und 'freundliche Strenge'. Natürlich zeigten die Szenen, wie sich Jin GuangYao während der Sunshot-Kampagne in der QishanWen-Sekte versteckt hatte und von dort aus wichtige Informationen nach außen schmuggelte, wie er den Führer der Wen-Sekte, Wen RuoHan, ermordete, wie er mit dem Rest der Verehrten Triade zu vereidigten Brüdern geworden war und wie er zum Hauptkultivierenden aufgestiegen war.

Der Künstler war wirklich sehr geschickt darin, den Ausdruck der Menschen zu malen. Obwohl nichts auf den ersten Blick besonders gut aussah, würde ein detaillierterer Blick zeigen, dass Jin GuangYao selbst dann, wenn seine Figur den Mord vollzog, mit Wangen, von denen das Blut tropfte, noch den Hauch eines Lächelns auf seinem Gesicht hatte. Man konnte regelrecht spüren, wie einem die Haare standen, wenn man es ansah.
Unmittelbar danach kamen die Wandmalereien von Jin ZiXuan. Normalerweise, um ihre absolute Macht zu symbolisieren, würden Sektenführer absichtlich die Anzahl der Wandmalereien für Kultivierende ihrer eigenen Generation verringern oder vielleicht zu einem minderwertigen Künstler wechseln, so dass sie nicht in deren Schatten stehen würden. Zu dieser Vorgehensweise gaben alle stillschweigend ihre Zustimmung und zeigten ihr Verständnis. Allerdings hatte Jin ZiXuan auch vier Wandmalereien, die unglaublich gleichberechtigt neben denen von Jin GuangYao waren. Der stattliche Mann auf den Gemälden zeigte sowohl Stolz als auch Kraft.

Wei WuXian sprang aus dem Wagen und hielt vor den Wandmalereien an, um sie sich eine Weile lang anzusehen. Auch Lan WangJi blieb stehen und wartete auf ihn. Von nicht weiter weg erklärte ein Schüler: „Sekte Lan von Gusu, bitte tretet hier ein.“

Lan WangJi, „Lass uns gehen.“

Wei WuXian antwortete nicht. Die beiden gingen zusammen.

Wenn man den Stufen der Treppe zum Karpfenturm hinauf folgte, kam zunächst ein breiter, gemauerter Platz, der von Menschen bevölkert war. Die LanlingJin-Sekte hatte sich offensichtlich in den letzten Jahren vergrößert und dementsprechend aufpoliert. Die Extravaganz war größer als das, was Wei WuXian damals gesehen hatte. Auf der anderen Seite des Platzes befand sich eine Alabasterbasis über einer Treppe mit neun Stufen im Ruyi-Stil. Auf dem Sockel thronte ein prächtiger Palast mit einem Giebel- und Hüftdach über einem Meer der 'Funken inmitten von Schnee'. 'Funken inmitten von Schnee' war das Wappensymbol des LanlingJin-Clans, eine exquisite Art der weißen Pfingstrose. Nicht nur die Blume war schön, auch ihr Name war ebenso schön. Es gab zwei Schichten von Blütenblättern und die größeren Blütenblätter auf der Außenseite wuchsen Schicht für Schicht und wurden zu Wellen aus wirbelndem Schnee. Die kleineren Blütenblätter auf der Innenseite waren dünn und zart und umfassten goldene Stränge des Blütenstaubs, als wären sie Sterne. Wenn nur eine Blüte jenseits von Pracht war, wie könnte man dann jemals die Größe der Pracht von Tausenden auf einmal beschreiben?

Vor dem Platz befanden sich mehrere Wege. Sekten trafen unaufhörlich, aber organisiert ein.

Sekte Su von Moling, bitte hier eintreten.“

Sekte Nie von Qinghe, bitte hier eintreten.“

Sekte Jiang von Yunmeng, bitte hier eintreten.“

Sobald er auftauchte, warf Jiang Cheng ihnen einen scharfen Blick zu. Als er zu ihnen hinüberging, sprach er in einem gleichgültigen Tonfall: „ZeWu-Jun. HanGuang-Jun.“

Lan XiChen nickte ebenfalls, „Sektenführer Jiang.“

Beide schienen beschäftigt zu sein. Nach ein paar Worten des Smalltalks fragte Jiang Cheng: „HanGuang-Jun, ich habe dich noch nie zuvor auf einer der Diskussionskonferenzen des Karpfenturms gesehen. Was hat dein plötzliches Interesse geweckt?“

Weder Lan XiChen noch Lan WangJi antworteten. Glücklicherweise schien Jiang Cheng dies auch nicht als eine ernsthaft gestellte Frage zu sehen. Er hatte sich bereits an Wei WuXian gewandt und sprach, als würde er ein Schwert ausspucken, um diesen jederzeit damit aufspießen zu können, sobald er es wünschte: „Wenn ich mich recht erinnere, war es nicht so, dass ihr beide nie unnötiges Personal mitgenommen habt, wenn ihr reist? Wie sieht es diesmal aus? Alle Jubeljahre einmal? Wer ist nun dieser berühmte Kultivierende? Könnte ihn mir bitte jemand einmal vorstellen?“

Plötzlich erschien eine lächelnde Stimme: „Bruder, warum hast du mir nicht vorher gesagt, dass WangJi auch kommen würde?“


Der Besitzer von Karpfenturm - LianFang-Zun, Jin GuangYao - war persönlich gekommen, um sie zu begrüßen. Lan XiChen erwiderte sein Lächeln, während Lan WangJi nickte. Wei WuXian hingegen beobachtete sorgfältig den Chefkultivator aller Sekten.

Jin GuangYao wurde mit einem recht vorteilhaften Gesicht geboren. Seine Haut war hell, und er hatte eine Markierung auf seiner Stirn. Seine Pupillen unterschieden sich vom Weiß der Augen und wirkten lebhaft, aber nicht leichtsinnig. Seine Gesichtszüge wirkten eher klar, attraktiv und doch raffiniert. Der Schatten eines Lächelns, das immer an den Winkeln seiner Lippen und seiner Augenbrauen zu zupfen schien, offenbarte seinen klugen Charakter. Ein solches Gesicht reichte aus, um die Liebe der Frauen zu verdienen, rief aber dennoch nicht die Wachsamkeit oder Abneigung der Männer hervor; die älteren Menschen hielten ihn für süß, während ihn die jungen für freundlich hielten. Auch wenn man ihn nicht mochte, würden sie ihn definitiv auch nicht hassen, weshalb sein Gesicht als 'vorteilhaft' zu bezeichnen war. Obwohl seine Figur ein wenig klein war, war sein ruhiges Auftreten mehr als ausreichend, um es wieder gutzumachen. Mit einem Hut aus schwarzem Gaze trug er die formelle Uniform der LanlingJin-Sekte, ein 'Funken inmitten von Schnee' war über die Vorderseite seines Rundkragengewandes gestickt worden. Mit einem Gürtel, bestehend aus neun Ringen an der Taille, Liuhe-Stiefeln an den Füßen und einer rechten Hand, die auf den Griff des an seiner Seite hängenden Schwertes drückte, strahlte er eine kraftvolle Aura der Unverletzlichkeit aus.

Jin Ling war Jin GuangYao gefolgt. Er wagte es immer noch nicht, Jiang Cheng allein zu treffen. Er versteckte sich hinter Jin GuangYaos Rücken und murmelte: „Onkel.“

Jiang Cheng antwortete hart: „Ach, du weißt also immer noch, das ich dein Onkel bin!“

Jin Ling zerrte schnell an den Hintersäumen von Jin GuangYaos Gewand. Jin GuangYao schien dafür geboren worden zu sein, Konflikte zu lösen: „Nun, Sektenführer Jiang, A-Ling hat seinen Fehler schon vor langer Zeit erkannt. In den letzten Tagen hatte er solche Angst, dass du ihn bestrafen würdest, dass er nicht einmal gut gegessen hat. Kinder machen gerne Unfug. Ich weiß, dass du ihn am meisten liebst. Lass ihn das nicht so lange bereuen.“

Jin Ling eilte: „Ja, ja. Onkel kann es bezeugen. Mein Appetit war in den letzten Tagen mehr als schlecht!“

Jiang Cheng, „Dein Appetit war schlecht? Wenn man bedenkt, wie gut dein Teint aussieht, würde ich nicht sagen, dass du zu viele Mahlzeiten verpasst hast!“

Als Jin Ling gerade wieder sprechen wollte, blickte er hinter Lan WangJi und sah schließlich Wei WuXian. Vorübergehend verblüfft blitzte er: „Warum bist du hier?!“

Wei WuXian, „Um eine kostenlose Mahlzeit zu bekommen.“

Jin Ling war etwas verärgert: „Wie kannst du es wagen, noch zu kommen? Habe ich dich nicht gewarnt....“

Jin GuangYao tätschelte Jin Lings Kopf, schob ihn hinter sich und lächelte: „Warum nicht? Du bist jetzt unser Gast, da du gekommen bist. Ich weiß nichts anderes, aber der Karpfenturm hat definitiv genug zu essen da.“

Er wandte sich an Lan XiChen, „Bruder, setz dich zuerst. Ich werde da drüben nachsehen und auch für WangJi sorgen.“

Lan XiChen nickte: „Es gibt keinen Grund für Unannehmlichkeiten.“

Jin GuangYao, „Wo sind das denn bitte Unannehmlichkeiten? Bruder, du musst nicht so höflich sein, jetzt, wo du bei mir zu Hause bist. Wirklich.“

Jin GuangYao konnte sich nach nur einer Begegnung an Name, Titel, Alter und Aussehen einer Person erinnern. Schon nach wenigen Malen konnte er sie alle fehlerfrei begrüßen und oft auch fürsorgliche Gespräche führen. Wenn er jemanden mehr als zweimal gesehen hatte, dann würde er sich an all seine Vorlieben und Abneigungen erinnern und somit in der Lage sein, auf seine Bedürfnisse einzugehen. Diesmal, da Lan WangJi ohne Vorankündigung zum Karpfenturm gekommen war, hatte Jin GuangYao keinen Tisch für ihn arrangiert. Doch er war nun augenblicklich sofort auf dem Weg, um genau das zu tun.

Nach dem Betreten des Festsaals schlenderten die Gäste über einen weichen, roten Teppich. Neben den Sandelholztischen auf beiden Seiten des Teppichs waren auffällig hübsche Dienstmädchen, die mit Reifen, Jaden und einem echten Lächeln geschmückt waren. Mit vollen Brüsten und zierlichen Taillen waren sogar ihre Figuren ähnlich und wirkten einheitlich und angenehm für das Auge. Wei WuXian hatte sich noch nie helfen können, als eine Weile länger hinzusehen, wenn er auf schöne Frauen traf. Nachdem er sich hingesetzt hatte, lächelte er sie an, als das Dienstmädchen ihm Schnaps einschenkte, „Danke.“

Doch als ob sie einen Schock bekommen hätte, stierte die Frau ihn an, blinzelte aber schnell und sah dann weg. Wei WuXian fand das zunächst seltsam. Er verstand es aber sofort, als er um sich herumblickte. Wie er erwartet hatte, war dies nicht das einzige seltsam starrende Augenpaar. Mehr als die Hälfte der Schüler der LanlingJin-Sekte hatte seltsame Gesichtsausdrücke, als sie ihn ansahen.

Er hatte vorübergehend vergessen, dass dies der Karpfenturm war, wo Mo XuanYu jemanden aus seiner eigenen Sekte belästigt hatte und rausgeschmissen worden war. Wer hätte gedacht, dass er mit einer solchen Auffälligkeit zurückkehren würde, als ob er kein Schamgefühl kennen würde. Er war sogar auf einen hochrangigen Sitzplatz zusammen mit den Zwei Jaden von Lan geschlüpft.....

Wei WuXian drückte sich näher an Lan WangJi, „HanGuang-Jun, HanGuang-Jun.“

Lan WangJi, „Ja?“

Wei WuXian, „Bitte lass mich hier nicht allein. Es gibt wahrscheinlich eine Menge Leute hier, die von Mo XuanYu wissen. Wenn jemand beschließt, dass er mit mir über die guten alten Tage reden will, muss ich weiterhin den Narren spielen und Unsinn erzählen. Bitte sei mir dann nicht böse, wenn ich am Ende dein Gesicht verliere.“

Lan WangJi sah ihn an und antwortete in einem lauwarmen Ton: „Solange du andere nicht absichtlich provozierst.“

In diesem Moment, mit einer Frau, die in üppige Gewänder gekleidet war, an seinem Arm, betrat Jin GuangYao den Raum. Obwohl die Frau ziemlich würdevoll wirkte, vermischte sich eine Spur von Unschuld in ihren Ausdruck. Sogar ihre anmutigen Gesichtszüge wirkten etwas kindlich. Dies war die offizielle Frau von Jin GuangYao, die Herrin des Karpfenturms - Qin Su.

Die beiden waren in den letzten Jahren das Vorbild eines liebenden Paares in der Kultivierungswelt, das sich gegenseitig sehr respektierte. Jeder wusste, dass Qin Su in die LaolingQin-Sekte geboren worden war, einem Ableger der LanlingJin-Sekte. Qin CangYe, der Anführer der LaolingQin-Sekte, war ein Untergebener, der Jin GuangShan jahrelang treu gefolgt war. Obwohl Jin GuangYao der Sohn von Jin GuangShan war, waren die beiden ursprünglich aufgrund des Status seiner Mutter etwas ungeeignet füreinander. Während der Sunshot-Kampagne war Qin Su jedoch von Jin GuangYao gerettet worden. Sie verliebte sich in ihn und gab nie auf und bestand darauf, dass sie seine Frau werden wollte. Am Ende siegte die Romantik in dieser Geschichte. Jin GuangYao ließ sie auch nie im Stich. Obwohl er die wichtige Position des Hauptkultivators innehatte, unterschied sich sein Verhalten drastisch von dem seines Vaters. Er nahm nie Konkubinen auf, geschweige denn eine Beziehung zu einer anderen Frau. Das war in der Tat etwas, um das sie von vielen Frauen von anderen Sektenführern beneidet wurde.

Wei WuXian stimmte schweigend solchen Gerüchten zu, als er sich die Hand ansah, in der Jin GuangYao Qin Sus hielt. Jin GuangYaos Gesichtsausdruck war zärtlich und vorsichtig, als ob er sogar befürchtete, dass sie versehentlich über die Jadestufen der Treppe stolpern würde.

Nachdem sich die beiden an den vordersten Tisch gesetzt hatten galt das Bankett offiziell als eröffnet. Derjenige, der am Tisch des nächsthöheren Ranges saß, war Jin Ling. Als seine Augen auf Wei WuXian landeten, starrten sie sofort. Wei WuXian war es schon immer gewohnt, von anderen beobachtet zu werden. Während der ganzen Zeit tat er so, als wäre nichts los, aß und trank zwischen Toast und Geplauder im Festsaal. Es war eine ziemlich fröhliche Stimmung.

Die Nacht war bereits angebrochen, als das Bankett endete. Das Diskussionsforum würde offiziell am nächsten Morgen beginnen. In Zweier- und Dreiergruppen verließ die Menge langsam den Saal und ging auf die Gästezimmer zu, zu denen die Jünger sie führten. Da Lan XiChen sehr zerstreut erschien, sah Jin GuangYao aus, als wolle er fragen, was los war. Doch gerade als er sich näherte und „Bruder“ rief, stürzte sich ein anderer Mensch zu ihm hinüber und jammerte, „Bruder!“

Jin GuangYao stolperte fast vor diesem Ansturm zurück. Er richtete sich schnell seinen Hut mit einer Hand: „HuaiSang, was ist los? Beruhigen wir uns erst mal.“

Ein so unwürdiger Sektenführer konnte nur der Kopfschüttler der QingheNie-Sekte sein. Und natürlich war der betrunkene Kopfschüttler noch unbedeutender. Mit einem rötlichen Gesicht weigerte sich Nie HuaiSang, ihn loszulassen: „Oh Bruder! Was soll ich tun?! Kannst du mir wieder helfen? Ich verspreche, dass dies das letzte Mal ist!“

Jin GuangYao, „Wurde die Situation das letzte Mal nicht mit den Leuten, die ich gefunden habe, gelöst?!“

Nie HuaiSang heulte auf: „Die Situation vom letzten Mal ist erledigt, aber diesmal gibt es eine neue Situation! Bruder, was soll ich tun?! Ich will nicht mehr leben!“

Da es ganz danach aussah, dass dies nicht nur mit ein paar wenigen Worten geklärt werden konnte, wandte sich Jin GuangYao an Qin Su: „A-Su, du kannst zuerst zurückgehen. HuaiSang, lass uns etwas finden und uns setzen. Es gibt keinen Grund zur Eile....“

Er fing an, nach draußen zu gehen, wobei Nie HuaiSang sich auf ihn stützte. Als Lan XiChen kam, um zu sehen, was los war, wurde er auch von dem betrunkenen Nie HuaiSang mitgerissen.

Qin Su begrüßte Lan WangJi, „HanGuang-Jun, ich glaube nicht, dass du seit einigen Jahren zu einer der Diskussionskonferenzen nach Lanling gekommen bist. Ich entschuldige mich, wenn der Empfang in irgendeiner Weise unzureichend war.“

Ihre Stimme war weich und passte wirklich zu einer so süßen Schönheit. Lan WangJi nickte als Gegenleistung für den Gruß. Qin Sus Blick landete als nächstes auf Wei WuXian. Nach einem Moment des Zögerns flüsterte sie: „Dann entschuldige bitte meinen Abschied.“

Und damit ging sie mit ihrer Magd weg. Wei WuXian dachte nach: „Die Art und Weise, wie mich jeder hier am Karpfenturm ansieht, ist so seltsam. Was hat Mo XuanYu getan? Seine Liebe öffentlich gezeigt, während er nackt war? Was ist das Besondere daran? Die Leute der LanlingJin-Sekte sind wirklich prüde.“

Lan WangJi schüttelte den Kopf über Wei WuXians Unsinn. Wei WuXian fuhr fort: „Ich werde jemanden fragen. HanGuang-Jun, pass auf Jiang Cheng auf. Es ist am besten, wenn er nicht kommt, um mich zu finden. Wenn er das tut, dann hilfst du mir doch, ihn ein wenig zurückzuhalten, nicht wahr?“

Lan WangJi, „Geh nicht zu weit weg.“

Wei WuXian, „Verstanden. Wenn ich länger wegbleiben sollte, dann treffen wir uns diese Nacht in unserem Zimmer.“

Seine Augen suchten im Festsaal, fanden aber nicht die Person, die er finden wollte. Er hob eine Augenbraue an und suchte weiter, nachdem er Lan WangJi verlassen hatte. Als er an einem kleinen Pavillon vorbeikam, erschien plötzlich jemand aus dem Steingarten an der Seite, „Hey!“

Wei WuXian dachte bei sich selbst: Ha! Ich habe ihn gefunden.

Er drehte sich um und sprach in einem schwachen Ton: „Was meinst du mit 'hey'? Wie unhöflich. Waren wir nicht schrecklich verliebt, als wir uns trennten? Nun treffen wir uns wieder und du bist so herzlos wie eh und je. Jetzt bin ich traurig.“

Jin Ling fühlte, wie Gänsehaut über seinen Körper kletterte: „Halt sofort die Klappe! Wer soll in dich verliebt sein?! Habe ich dich nicht schon gewarnt, dich nicht mit den Leuten unserer Sekte einzulassen? Warum bist du zurückgekommen?!“

Wei WuXian, „Ehrlich gesagt, folge ich HanGuang-Jun immer auf Schritt und Tritt. Ich bin so nah dran, dass er sich ein Seil schnappt und mich an seinen Körper fesselt. Wo hast du denn gesehen, wie ich mich mit den Leuten deiner Sekte einlasse? Dein Onkel? Er ist derjenige, der sich mit mir anlegt, in Ordnung?“

Jin Ling war wütend: „Verschwinde! Mein Onkel ist nur misstrauisch dir gegenüber! Red keinen Unsinn. Glaub nicht, dass ich nicht weiß, dass du nicht aufgegeben hast und trotzdem....“

Plötzlich erklangen einige Stimmen um sie herum. Etwa ein halbes Dutzend Jungen in der Uniform der LanlingJin-Sekte sprang aus dem Garten. Jin Ling hörte sofort auf zu reden. Die Jungs näherten sich ihnen langsam. Derjenige, der die Gruppe anführte, war ein Junge etwa im gleichen Alter, aber mit einem breiteren Körperbau als Jin Ling: „Ich dachte, ich hätte falsch gesehen. Also ist er es wirklich.“

Wei WuXian zeigte auf sich selbst, „Ich?“

Der Junge: „Wer außer dir? Mo XuanYu, das du noch das Gesicht hast, hier her zurückzukehren?!“

Jin Ling runzelte die Stirn: „Jin Chan, warum bist du gekommen? Das hier geht dich nichts an.“

Wei WuXian, Ich verstehe. Es ist wahrscheinlich eines der Kinder aus Jin Lings Generation.

Und wenn man sich die Art der Dinge so ansah, dann war dies eine Gruppe von Kindern, die mit Jin Ling keine guten Beziehungen hatte. Jin Chan, „Es geht mich nichts an, aber geht es dich etwas an? Warum kümmert's dich?“

Während er sprach, waren drei oder vier der Jungen bereits näher gekommen, als wollten sie Wei WuXian festhalten. Mit einem seitlichen Schritt stellte sich Jin Ling vor Wei WuXian: „Keinen Ärger machen!“

Jin Chan, „Machst du Witze? Was ist falsch daran, einem unanständigen Schüler unserer Sekte eine Lektion zu erteilen?“

Jin Ling schnaubte, „Wach auf! Er wurde schon vor langer Zeit rausgeschmissen! Er ist nicht mehr Schüler unserer Sekte, egal wie man es sieht.“

Jin Chan, „Na und?“

Das 'na und' klang so selbstbewusst, dass Wei WuXian verblüfft war. Jin Ling antwortete: „Na und? Hast du vergessen, mit wem er heute hergekommen ist? Du willst ihm eine Lektion erteilen? Warum fragst du nicht zuerst HanGuang-Jun?“

Als sie den Namen 'HanGuang-Jun' hörten, wirkten die Jungs alle nervös. Auch wenn Lan WangJi nicht anwesend war, wagte niemand zu behaupten, dass er überhaupt keine Angst vor HanGuang-Jun hatte. Nach einer Weile der Stille antwortete Jin Chan: „Ha, Jin Ling, hast du ihn nicht auch schon immer gehasst? Warum ist es heute so anders?“

Jin Ling, „Seit wann redest du so viel? Wieso interessiert es dich, ob ich ihn hasse oder nicht?“

Jin Chan, „Er hat LianFang-Zun schamlos belästigt, und du redest immer noch zu seinen Gunsten?“

Wei WuXian fühlte sich, als wäre er von Donner getroffen worden. Er hatte wen belästigt? LianFang-Zun? Wer war noch mal LianFang-Zun? Jin GuangYao? Er konnte es nicht glauben - die Person, die Mo XuanYu belästigt hatte, war LianFang-Zun, Jin GuangYao!

Während er noch versuchte, den Schock zu überwinden, hatten Jin Chan und Jin Ling, nachdem sie noch ein paar Worte miteinander ausgetauscht hatten, es irgendwie geschafft, so weit zu kommen, einen Kampf miteinander zu suchen. Keiner von ihnen sah den anderen zunächst in einem guten Licht. Die Sicherung war sofort durchgebrannt. Jin Ling behauptete: „Wenn du einen Kampf willst, dann lass uns kämpfen. Denkst du, ich habe Angst vor dir?“

Einer der Jungen rief: „Warum nicht? Er wird sowieso nur seinen Hund rufen, um ihm zu helfen!“

Jin Ling hörte das gerade, als er im Begriff war zu pfeifen. Er drückte die Zähne zusammen und brüllte: „Ich kann dich verprügeln, auch wenn ich Fee nicht rufe.“

Obwohl sein Ton vor Selbstvertrauen strotzte, so waren zwei Fäuste gegen vier Hände wohl kaum ein würdiger Gegner. Nachdem er anfing zu kämpfen, war klar, dass seine Fähigkeiten zu kurz kamen. Er schien an Boden zu verlieren, wurde immer näher zu Wei WuXian hin getrieben.

Jin Ling kochte, als er sah, dass Wei WuXian noch immer am selben Ort stand: „Warum stehst du da noch herum?!“

Wei WuXian packte plötzlich seine Hand. Bevor Jin Ling die Gelegenheit hatte zu schreien, fühlte er, wie eine überwältigende Kraft auf sein Handgelenk drückte. Er konnte nicht anders, als auf den Boden zu fallen. Wütend rief er: „Willst du sterben?“

Als er Jin Ling niederrang, der ihn beschützt hatte, waren Jin Chan und die anderen erschrocken. Doch Wei WuXian fragte: „Hast du es verstanden?“

Jin Ling war auch erschrocken: „Was?“

Wei WuXian drehte seine Hand wieder um: „Hast du verstanden?“

Jin Ling fühlte, wie ein betäubender Schmerz von seinem Handgelenk bis in seinen ganzen Körper wanderte und heulte erneut auf. Vor seinen Augen konnte er sich jedoch an die schnelle, subtile Bewegung von Wei WuXian erinnern. Wei WuXian sprach noch einmal: „Erneut. Sieh genau hin.“

Einer der Jungs rannte zufällig hinüber. Mit einer Hand hinter dem Rücken benutzte Wei WuXian die andere Hand, um dem Jungen am Handgelenk zu greifen. Er brachte ihn im Handumdrehen auf den Boden. Diesmal sah Jin Ling, was vor sich ging. Der schmerzende Teil seines Handgelenks sagte ihm auch, zu welchem Akupunkturpunkt er seine spirituelle Energie senden musste. Er sprang auf die Füße und schien in bester Stimmung zu sein, „Ja!“

Die Situation war im Handumdrehen umgekehrt. Kurz darauf ertönte im ganzen Garten das frustrierte Geschrei der Jungen. Am Ende brodelte Jin Chan: „Jin Ling, wart's ab!“

Eine Spur von Flüchen folgte, als die Jungen in ihrer Niederlage flohen. Jin Ling hingegen stemmte seine Fäuste in die Seiten und lachte hinter ihnen her. Als sein Lachen endlich abklang, sagte Wei WuXian: „Schau, wie glücklich du bist. Dein erster Sieg?“

Jin Ling spuckte: „Ich habe schon immer Einzelkämpfe gewonnen. Aber Jin Chan ruft jedes Mal einen Haufen Helfer zusammen. Er hat kein Gesicht.“

Wei WuXian war gerade dabei zu sagen, dass er auch einen Haufen Leute finden könnte, die ihm helfen würden. Kämpfe mussten nicht von Mensch zu Mensch stattfinden. Manchmal kann die Anzahl der Personen in der Gruppe einen Unterschied zwischen Leben und Tod machen. Er erkannte jedoch, dass er immer gesehen hatte, wie Jin Ling allein hinausging, ohne irgendwelche Jünger gleichen Alters aus seiner Sekte, die ihm folgten. Es war wahrscheinlich, dass Jin Ling keine Helfer zur Auswahl hatte, und so beschloss er, nichts zu sagen.

Jin Ling, „Hey, wie hast du den Griff gelernt?“

Wei WuXian schob die Verantwortung auf Lan WangJis Schultern, ohne auch nur einen Hauch von Scham zu zeigen, „HanGuang-Jun lehrte es mich.“

Jin Ling bezweifelte das überhaupt nicht. Er hatte bereits Lan WangJis Stirnband gesehen, womit Wei WuXians Hände gefesselt gewesen waren. Er murmelte einfach: „Er lehrt dich sogar diese Dinge?“

Wei WuXian, „Sicher tut er das. Das ist aber nur ein kleiner Trick. Es ist das erste Mal, dass du es benutzt, und sie haben es nicht gesehen, also sind die Ergebnisse ganz ordentlich. Aber sie werden schließlich drauf kommen, wenn du es zu oft benutzt. Nächstes Mal wird es nicht mehr so einfach sein. Wie wär's? Willst du noch ein paar Züge von mir lernen?“

Jin Ling blickte ihn an und konnte nicht anders, als zu antworten: "Warum bist du so? Mein jüngerer Onkel hat immer davon abgeraten, aber du stachelst mich weiter an.“

Wei WuXian, „Er hat dir abgeraten? Gegen was? Kämpfe nicht und komme gut mit anderen aus?“

Jin Ling, „Ziemlich genau.“

Wei WuXian, „Hör nicht auf ihn. Lass mich dir eines sagen - wenn du älter geworden bist, wirst du feststellen, dass es immer mehr und mehr Menschen gibt, die dich verprügeln wollen, aber du musst dich dann zwingen, nett zu ihnen zu sein. Also, da du noch jung bist, geh los und verprügel alle Leute, die du willst. In einem solchen Alter, wenn du da nicht ein paar richtige Kämpfe hattest, dann wird dein Leben nicht komplett sein.“

Jin Lings Gesicht verriet eine schwache Sehnsucht, aber er klang immer noch verächtlich: „Wovon redest du da? Onkels Ratschläge sind zu meinem Besten.“

Nachdem er gesprochen hatte, erinnerte er sich plötzlich daran, dass Mo XuanYu in der Vergangenheit Jin GuangYao immer als eine Gottheit betrachtet hatte. Er hätte Jin GuangYao definitiv nicht in irgendeiner Weise widersprochen. Doch jetzt sagte er: 'Hör nicht auf ihn'. Lag es daran, dass er wirklich keine unangemessenen Gedanken mehr an Jin GuangYao hatte?

Wenn man sich seinen Gesichtsausdruck so ansah, konnte Wei WuXian erraten, woran er dachte. Er antwortete ohne zu zögern: „Sieht so aus, als könnte ich es nicht mehr vor dir verbergen. Das ist richtig. Ich habe mich in jemand anderen verliebt.“

Jin Ling, „....“

Wei WuXians Gesicht war so dynamisch wie sein Ton: „In den Tagen, in denen ich weg war, dachte ich ernsthaft darüber nach und entschied mich schließlich, dass LianFang-Zun weder mein Typ noch jemand war, der zu mir passte.“

Jin Ling wich zurück.

Wei WuXian, „In der Vergangenheit habe ich einfach nicht verstanden, was mein Herz mir sagen wollte, aber nachdem ich HanGuang-Jun getroffen habe, bin ich mir sicher.“

Er atmete tief durch: „Ich bin bereits unfähig, ihn zu verlassen. Ich will niemand anderen außer HanGuang-Jun... Warte, warum läufst du weg? Ich bin noch nicht fertig! Jin Ling, Jin Ling!“

Jin Ling drehte sich um und sprintete in die entgegengesetzte Richtung. Wei WuXian schrie ein paar Mal hinter ihm her, aber er drehte sich nicht einmal um. Er war ziemlich stolz darauf, da er nun wusste, dass Jin Ling diesmal definitiv nicht weiter daran zweifeln würde, dass er unangemessene Gedanken im Bezug auf Jin GuangYao hatte. Als er sich jedoch umdrehte, sah er eine blasse Gestalt unter dem Mond stehen, deren Gewänder weißer waren als Frost. Etwa 30 Fuß entfernt starrte Lan WangJi ihn direkt an und sah so ruhig wie immer aus.

Wei WuXian, „...“

Wäre dies einer dieser Tage, der kurz nach seiner Wiederbelebung gewesen wäre, dann hätte er etwas zehnmal peinlicheres sagen können als das, was er gerade vor Lan WangJi gesagt hatte. Jetzt jedoch, als Lan WangJi ihn ansah, fühlte er tatsächlich ein subtiles Gefühl der Scham, eines, das er seit zwei Leben nicht mehr gespürt hatte.

Wei WuXian unterdrückte schnell dieses seltsame Schamgefühl. Als er hinüberging, sprach er so natürlich wie möglich: „HanGuang-Jun, du bist hier! Wusstest du es? Mo XuanYu wurde aus dem Karpfenturm geworfen, weil er Jin GuangYao belästigt hat. Deshalb sahen mich alle so seltsam an!“

Lan WangJi sagte nichts. Er drehte sich einfach um und ging neben ihm her. Wei WuXian fuhr fort: „Weder du noch ZeWu-Jun wussten davon. Du wusstest nicht einmal, wer Mo XuanYu ist. Es scheint, als hätte die LanlingJin-Sekte die ganze Sache unter den Teppich gekehrt. Das erklärt nun, warum. Schließlich hatte Mo XuanYu das Blut des Sektenführers in sich. Wenn Jin GuangShan einen solchen Sohn wirklich nicht wollte, hätte er ihn nie zurückgenommen. Wenn es so einfach wäre, jemanden aus derselben Sekte zu belästigen, dann wäre er mit ein paar Beschimpfungen davongekommen. Es hätte jedoch nicht gereicht, um ihn rausschmeißen zu lassen. Aber wenn derjenige, den er belästigte, Jin GuangYao gewesen wäre, dann wäre es etwas anders gelaufen. Das war nicht nur LianFang-Zun, sondern auch noch Mo XuanYus Stiefbruder. Es war wirklich....“

Es war wirklich ein Skandal. Die Angelegenheit musste vollständig entwurzelt werden. Natürlich war es unmöglich, LianFang-Zun etwas anzutun, also musste Mo XuanYu verjagt werden. Wei WuXian erinnerte sich, dass Jin GuangYao vorhin, während ihrer Begegnung auf dem Vorplatz, so aussah, als wäre nichts passiert. Die Art und Weise, wie er sich so höflich unterhielt, ließ ihn so aussehen, als wüsste er nicht einmal, wer Mo XuanYu war. Wei WuXian konnte nicht umhin, seine Fähigkeiten zu bestätigen. Andererseits konnte die Haltung von Jin Ling überhaupt nicht verborgen werden. Der Grund, warum er sich vor Mo XuanYu ekelte, war nicht nur, dass er ein Schnittärmel war, sondern wahrscheinlich auch, dass derjenige, den Mo XuanYu belästigt hatte, sein eigener Onkel war.

Wei WuXian dachte an JingYi und seufzte schweigend. Lan WangJi fragte: „Was ist los?“

Wei WuXian, „HanGuang-Jun, hast du bemerkt, dass Jin Ling jedes Mal allein war, wenn er zur Nachtjagd ging? Erzähl mir nicht, dass Jiang Cheng ihn immer begleitet. Sein eigener Onkel zählt nicht. Er ist schon etwa fünfzehn Jahre alt, aber niemand in seinem Alter folgt ihm. Als wir jung waren....“

Die Spitze von Lan WangJis Augenbrauen hob sich leicht an. Als Wei WuXian dies sah, änderte er sofort seine Worte: „In Ordnung. Ich. Es war nur ich. Als ich jung war, war ich nicht so.“

Lan WangJi antwortete gleichgültig: „Das warst du. Nicht jeder ist wie du.“

Wei WuXian, „Aber alle Kinder mögen es, wenn es viele Leute gibt, richtig? HanGuang-Jun, würdest du denken, dass Jin Ling wirklich distanziert ist und keine Freunde in seiner eigenen Sekte hat? Ich weiß nichts über die YunmengJiang-Sekte, aber ich glaube nicht, dass einer der Junioren der Jin-Sekte gerne mit ihm spielt. Er hat gerade erst gegen einige von ihnen gekämpft. Erzähl mir nicht, dass Jin GuangYao keinen Sohn oder keine Tochter hat, oder jemanden annähernd in seinem Alter.“

Lan WangJi, „Jin GuangYao hatte einmal einen Sohn. Sein Leben wurde ihm in jungen Jahren genommen.“

Wei WuXian fragte sich: „Er war doch der junge Meister des Karpfenturms. Wie konnte ihm sein Leben genommen werden?“

Lan WangJi, „Wegen der Aussichtstürme.“

Wei WuXian, „Und warum war das so?“

Als Jin GuangYao damals die Aussichtstürme bauen ließ, war er nicht nur mit einer ganzen Reihe von Gegnern konfrontiert, sondern hatte auch eine Handvoll Sekten verärgert. Einer der Führer einer gegnerischen Sekte verlor die Argumentation und geriet in eine mörderische Wut, in der er Jin GuangYaos und Qin Sus einzigen Sohn tötete. Der Junge war schon immer ein gutes Kind gewesen und das Paar hatte ihn immer sehr geliebt. In seinem Groll vernichtete Jin GuangYao die gesamte Sekte aus Rache. Qin Su wurde jedoch von ihrer Trauer überwältigt. Seitdem hatte sie kein weiteres Kind mehr gebären können.

Nach einer Weile der Stille antwortete er: „Jin Ling beleidigt mit seinem Temperament andere Menschen, wenn er nur seinen Mund aufmacht, er stochert in ein Hornissennest, wenn er nur seine Hand erhebt. Der JingYi deiner Sekte nennt ihn 'Junge Herrin' - nun, er hat Recht. Die vielen Male zuvor, wenn wir ihn da nicht beschützt hätten, wäre er jetzt schon nicht mehr am Leben. Jiang Cheng ist niemand, der weiß, wie man Kinder unterrichtet. Jin GuangYao, auf der anderen Seite....“

Als er sich daran erinnerte, warum sie überhaupt zum Karpfenturm gekommen waren, begann Wei WuXians Kopf wieder zu schmerzen. Er drückte seine Finger auf seine Schläfen. Auf der anderen Seite sah Lan WangJi ihn schweigend an. Obwohl er keine Worte des Trostes von sich gab, so hatte er immer zugehört und jede Frage beantwortet. Wei WuXian seufzte, „Vergiss es. Lass uns zuerst wieder reingehen.“

Die beiden kehrten in das Gästehaus zurück, das die LanlingJin-Sekte für sie bereitgestellt hatte. Der Raum war ziemlich geräumig und eher kunstvoll. Ein Set exquisiter Weinschalen aus glattem weißem Porzellan war sogar auf den Tisch gestellt worden. Wei WuXian setzte sich an die Seite und begann, das Set zu bewundern. Er hörte erst auf, als es schon spät in die Nacht war.

Beim Durchsuchen der Schubladen fand er eine Schere und einen Stapel Papier. Mit nur wenigen Schnitten schuf er ein Papiermännchen. Der Papiermann, mit einem runden Kopf und ungewöhnlich langen Ärmeln, die an Schmetterlingsflügel erinnerten, war nur so groß wie der Finger eines Erwachsenen. Wei WuXian nahm einen Pinsel vom Tisch und malte ein paar Striche darauf. Er warf den Pinsel zur Seite, trank einen Schluck aus einer der Schalen und legte sich sofort auf das Bett. Der Papiermann hingegen zuckte plötzlich. Mit einigem Zittern erhob er seinen schwerelosen Körper mit seinen breiten Ärmeln in die Luft, als wären es Flügel. Er flog umher und landete auf eine von Lan WangJis Schultern.

Lan WangJi schaute zur Seite, auf seine Schulter. Der Papiermann warf sich gegen seine Wange. Er kletterte nach oben, bis zu seinem Stirnband, und zerrte daran, als ob das Band sein Lieblingsstück auf der Welt wäre. Lan WangJi ließ den Papiermann für einige Zeit an seinem Band ziehen. Gerade als er nach oben greifen wollte, um ihn herunterzunehmen, rutschte der Papiermann so schnell er konnte von selbst nach unten. Egal, ob absichtlich oder nicht, stieß er mit seinem Kopf einmal gegen seine Lippen.

Lan WangJis Bewegungen hielten für einen Moment inne. Mit zwei Fingern fing er ihn schließlich ein: „Mach keinen Unsinn.“

Sanft rollte sich der Papiermann mit seinen Körper über seinen schlanken Finger. Lan WangJi, „Du musst vorsichtig sein.“


Der Papiermann nickte und schlug mit seinen Flügeln. Sich flach über dem Boden haltend, flog er so durch den Türschlitz und schlich sich aus dem Gästezimmer. Der Karpfenturm wurde schwer bewacht. Natürlich wäre ein großer, lebender Mensch nicht in der Lage, sich hier frei zu bewegen. Das Gute daran war, dass Wei WuXian einmal eine bestimmte Technik der dunklen Künste erlernt hatte - die Papiermetamorphose.

Obwohl sie in der Tat sehr nützlich war, brachte sie auch eine Reihe von Einschränkungen mit sich. Nicht nur die Zeit war streng begrenzt, auch der Papiermann selbst musste nach der Freigabe sozusagen heil zurückkehren. Es dürfte nicht einmal ein einziger Kratzer an ihm dran sein. Wenn sie auf ihrem Weg auseinander gerissen oder in irgendeiner Weise beschädigt werden würden, dann würde die Seele den gleichen Grad an Schaden erleiden - von einem Jahr der Bewusstlosigkeit bis hin zu einem ganzen Leben voller Wahnsinn. Deshalb musste man sehr vorsichtig sein.

Wei WuXian hatte den Körper des Papiermannes besetzt. Manchmal hängte er an dem Saum eines Gewandes eines Kultivierenden. Später kam es vor, dass er sich selbst plättete, um durch geschlossene Türen zu gehen. Manchmal entfaltete er seine Ärmel und sah auf den Boden hinunter und tat so, als wäre er ein Stück Altpapier, ein Schmetterling, der inmitten des Nachthimmels tanzte. Plötzlich, noch in der Luft, hörte er das schwache Geräusch von Weinen, das von unten kam. Als er hinüberblickte, sah er eine von Jin GuangYaos Residenzen, den 'Blühenden Garten'.

Wei WuXian flog unter das Dach und sah drei Gestalten im Wohnzimmer sitzen. Mit Lan XiChen an der einen Hand und Jin GuangYao an der anderen, weinte Nie HuaiSang in seinem betrunkenen Zustand und beschwerte sich über Unbekanntes. Hinter dem Wohnzimmer befand sich ein Arbeitszimmer. Wei WuXian sah, dass niemand dort drin war und ging hinein, um nachzusehen. Skizzen, die einige rote Markierungen aufwiesen, bedeckten den gesamten Schreibtisch. An den Wänden befanden sich die vier Szenerien von Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Zuerst wollte ihnen Wei WuXian keine Aufmerksamkeit schenken. Nachdem er sie jedoch angeschaut hatte, konnte er nicht anders, als die Fähigkeiten des Künstlers loben zu wollen. Sowohl die Farben als auch die Pinselstriche waren sanft, doch die Landschaften erschienen weitläufig. Obwohl sich nur eine Szene auf jedem Papier befand, schien sich diese über Tausende von Metern zu erstrecken. Wei WuXian dachte, dass solche Fähigkeiten fast mit denen von Lan XiChen vergleichbar seien und konnte nicht anders, als noch ein paar weitere Blicke darauf zu werfen. Erst danach wurde ihm klar, dass der Künstler dieser vier Szenerien tatsächlich Lan XiChen war.

Wei WuXian flog aus dem 'Blühenden Garten' heraus und konnte in der Ferne einen grandiosen fünfzackigen Palast sehen. Das Dach des Palastes war mit glasierten, glänzenden Ziegeln bedeckt. Außerhalb des Palastes befanden sich 32 goldene Säulen. Die Szenerie war bezaubernd. Dies war wahrscheinlich eines der am meisten bewachten Gebiete des Karpfenturms, die Schlafkammer eines jeden Führers der LanlingJin-Sekte, der 'Palast der Düfte'.

Neben den Kultivierenden, die in Gewändern von 'Funken inmitten von Schnee' gekleidet waren, konnte Wei WuXian auch spüren, dass Anordnungen über und unter den Palast gelegt worden waren. Er flog auf die Basis einer Säule zu, die ebenfalls mit Pfingstrosen beschnitzt worden war, und ruhte sich für einen Moment aus. Erst nach einer Weile des Schnaufens schlüpfte er unter den Türschlitz durch.

Im Vergleich zum 'Blühenden Garten' war der 'Palast der Düfte' ein klassisches Gebäude des Karpfenturms. Das Gebäude, das reich verziert war, wirkte fast majestätisch. Im Inneren des Palastes fielen Schichten um Schichten von Gazevorhängen bis auf den Boden herab. Das Räuchergefäß in Tierform saß auf seinem Ständer und entließ Wolken aus aromatischem Rauch.

Inmitten dieser ganzen Extravaganz gab es ein süßes, aber mattes Gefühl der Dekadenz. Jin GuangYao war mit Lan XiChen und Nie HuaiSang im 'Blühenden Garten', was bedeutete, dass der 'Palast der Düfte' leer war und Wei WuXian die Gegend bequem inspizieren konnte. Der Papiermann flog durch das Innere des Palastes und suchte nach einem Ort, der Verdacht erregte. Plötzlich sah Wei WuXian einen Achat-Briefbeschwerer auf dem Tisch. Ein Umschlag lag unter dem Briefbeschwerer.

Der Umschlag war bereits geöffnet worden. Niemandes Name stand darauf geschrieben, nicht einmal irgendein Wappen. Doch von der Dicke her war es offensichtlich kein leerer Umschlag. Er schlug mit den Ärmeln, landete auf dem Tisch und wollte einen Blick auf das werfen, was sich in dem Umschlag befand. Aber selbst als er versuchte, den Umschlag herauszuziehen, indem er mit seinen 'Händen' an der Kante zog, blieb der Umschlag bewegungslos. Sein jetziger Körper war ein Stück Papier, fast schwerelos. Er konnte nichts tun, um den schweren Briefbeschwerer zu bewegen.

Papiermann WuXian ging noch ein paar Mal um den Achat-Briefbeschwerer herum. Er schob und trat, hüpfte und sprang, aber es weigerte sich immer noch, sich zu bewegen. Da er nichts tun konnte, konnte er nur von vornherein aufgeben und dann nachsehen, ob es noch andere verdächtige Dinge hier gab. Plötzlich wurde eine Seitentür des Palastes leicht geöffnet.

Alarmiert fegte Wei WuXian vom Tisch, und blieb bewegungslos gegen eine Ecke des Tisches gelehnt stehen. Diejenige, die eintrat, war Qin Su. Wei WuXian erkannte schließlich, dass es nicht darum ging, dass der Palast leer war, sondern dass Qin Su in ihrem Zimmer ruhig gewesen war.

Die Tatsache, dass die Herrin des Karpfenturms im 'Palast der Düfte' erschien, war nichts Ungewöhnliches. Aber im Moment sah sie so abnormal aus, wie man nur konnte. Ihr Gesicht war blasser als Schnee, fast blutleer. Ihre Gestalt schien ebenfalls kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Sie sah aus, als hätte sie gerade einen schweren Schock erlitten, als wäre sie gerade aus einer Ohnmacht erwacht und könnte jeden Augenblick wieder ohnmächtig werden.

Wei WuXian dachte bei sich selbst: Was ist passiert? Ihr Zustand war eindeutig großartig, als sie vor einer Weile im Festsaal war.

Qin Su lehnte sich an die Tür und starrte einen Moment lang ins Leere, ehe sie den Weg rüber fand, mit einer Hand an der Wand abgestützt. Sie starrte auf den Brief unter dem Achat-Briefbeschwerer und griff nach ihm, als ob sie ihn nehmen wollte, nahm aber dennoch ihre Hand wieder zurück. Unter dem Feuerschein konnte Wei WuXian das offensichtliche Zittern ihrer Lippen sehen. Diese eleganten Merkmale könnten fast als verdreht bezeichnet werden.

Aus heiterem Himmel stieß sie einen Schrei aus, schnappte sich den Umschlag und warf ihn auf den Boden. Ihre andere Hand verkrampfte sich, als sie sich in die Vorderseite ihres Gewandes griff. Wei WuXians Augen leuchteten auf, aber er stoppte sich in dem Drang, hinüber zu huschen. Wenn Qin Su die Einzige wäre, der ihn sehen würde, dann könnte er damit umgehen, aber nicht, wenn Qin Su schrie und andere Leute damit herlockte. Seine Seele wäre betroffen, wenn das Blatt Papier den geringsten Schaden erleiden würde.

Plötzlich hallte eine Stimme durch den Palast: „A-Su, was machst du da?“

Qin Sus Kopf drehte sich um. Eine vertraute Gestalt stand nur wenige Meter hinter ihr. Nicht anders als sonst, lächelte sie das vertraute Gesicht auch an. Sie sprang sofort auf den Boden und packte den Brief. Wei WuXian konnte sich nur fest an die Ecke des Tisches klammern und zusehen, wie sich der Brief wieder einmal aus seiner Reichweite entfernte. Es schien, als ob Jin GuangYao näher herantrat: „Was ist das da in deiner Hand?“

Sein Ton war so freundlich wie immer, als ob er wirklich nichts bemerkt hätte, weder den seltsamen Brief in Qin Sus Hand noch den verzerrten Ausdruck auf Qin Sus Gesicht. Es klang, als würde er nur nach einer trivialen Angelegenheit fragen. Immer noch den Brief packend, antwortete Qin Su nicht. Jin GuangYao fragte erneut: „Du siehst nicht gut aus. Was ist los?“

In seiner Stimme schwang Sorgfalt und Vorsicht mit. Qin Su hielt den Brief hoch und sprach zitternd, „.... ich habe heute jemanden getroffen.“

Jin GuangYao, „Wen?“

Qin Su schien ihn nicht zu hören: „Diese Person hat mir ein paar Dinge erzählt und mir diesen Brief gegeben.“

Jin GuangYao konnte nicht anders, als zu lachen: „Mit wem hast du dich getroffen? Wirst du wirklich glauben, was dir irgendwelche Leute sagen?“

Qin Su, „Es kann keine Lüge gewesen sein. Definitiv nicht.“

Wei WuXian dachte auch: Wer war es?

Er konnte nicht einmal sagen, ob es sich bei der Person um einen Mann oder eine Frau gehandelt hatte. Qin Su, „Sind die Dinge, die hier drinstehen, wahr?“

Jin GuangYao, „A-Su, wenn du mich den Brief nicht sehen lässt, woher soll ich dann wissen, was darin steht?“

Qin Su zeigte ihm den Brief: „Schön. Lies ihn durch!“

Um den Brief klarer sehen zu können, ging Jin GuangYao einen weiteren Schritt nach vorne. Er überflog schnell den Brief in Qin Sus Hand. Sein Ausdruck änderte sich überhaupt nicht. Nicht einmal die einzige Spur eines Schattens war über sein Gesicht gefallen. Qin Su schrie jedoch fast: „Sprich mit mir, sprich! Sag mir, dass nichts davon wahr ist! Dass das alles Lügen sind!“

Jin GuangYao antwortete mit einer Selbstverständlichkeit in seiner Stimme: „Nichts davon ist wahr. Das alles sind Lügen. Das ist völliger Unsinn, Worte der falschen Anklage.“

Qin Su brach in Tränen aus: „Du lügst! Die Dinge sind schon so und du lügst mich immer noch an - nun, ich glaube dir nicht!“

Jin GuangYao seufzte: „A-Su, du warst diejenige, die mir gesagt hat, ich solle das sagen. Jetzt, wo ich es gesagt habe, weigerst du dich, mir zu glauben. Das ist in der Tat sehr beunruhigend.“

Qin Su warf den Brief auf den Boden und bedeckte ihr Gesicht: „Oh Himmel! Oh Himmel, oh Himmel! Du, du, du bist wirklich.... Du bist wirklich beängstigend! Wie konntest du.... Wie konntest du?!“

Sie konnte nicht mehr sprechen und wich einige Schritte zurück, während ihre Hände noch ihr Gesicht bedeckten. Sie hielt sich an einer Säule fest und begann plötzlich, sich zu erbrechen. Ihr Körper erbebte, als wolle sie alle ihre Eingeweide herauslassen. Als Wei WuXian diese intensive Reaktion sah, war er sprachlos schockiert, Sie hat sich wahrscheinlich auch übergeben, als sie zuvor in ihrem Zimmer war. Was in aller Welt steht in dem Brief geschrieben? Hat Jin GuangYao jemanden getötet und ihn zerstückelt? Aber jeder wusste, dass Jin GuangYao während der Sunshot-Kampagne unzählige Menschen getötet hatte. Es gab auch einige Leben in den Händen seines Vaters. Vielleicht war es die Sache mit Mo XuanYu? Nein, es war unmöglich, dass Jin GuangYao etwas für Mo XuanYu übrig hatte. Es ist eher wahrscheinlich, dass Mo XuanYus Rauswurf aus dem Karpfenturm von ihm arrangiert worden. Wie auch immer, egal was passiert ist, ihre Reaktion wäre nicht so extrem, dass sie sich bis zum Erbrechen davor ekelt.

Obwohl er mit Qin Su nicht vertraut war, hatten sie sich in der Vergangenheit einige Male in der Stadt getroffen, beide als Schüler von prominenten Clans. Qin Su war die geliebte Tochter von Qin CangYe. Ihre Persönlichkeit war naiv, aber sie hatte ein angenehmes Leben geführt und ausgezeichnete Manieren erlernt. Sie würde sich nie so verrückt und hysterisch verhalten. Es machte wirklich keinen Sinn.

Jin GuangYao hörte dem Lärm zu, den sie machte, und beugte sich schweigend nach unten und hob die Zettel des Briefes auf, die auf dem Boden gestreut waren. Mit einer Handbewegung hielt er ihn über den neunfach verzweigten Kerzenständer und ließ ihn langsam verbrennen.

Während er beobachtete, wie die Asche nach und nach zu Boden fiel, sprach er in einem etwas niedergeschlagenen Ton: „A-Su, wir sind seit so vielen Jahren Mann und Frau. Wir haben uns immer in friedlicher Harmonie respektiert. Als Ehemann würde ich gerne denken, dass ich dich immer gut behandelt habe. Die Tatsache, dass du dich so verhältst, verletzt wirklich meine Gefühle.“

Qin Su hatte nichts mehr zu erbrechen. Sie wimmerte auf dem Boden: „Du hast mich gut behandelt... Du behandelst mich gut... Aber ich... Ich möchte lieber, dass ich dich nie getroffen hätte! Kein Wunder, dass du nie.... seit... seit damals... Du hast so etwas getan - warum tötest du mich nicht einfach?!“

Jin GuangYao, „A-Su, bevor du davon wusstest, haben wir da nicht perfekt gelebt? Du hast dich heute nur unwohl gefühlt und angefangen, dich zu übergeben, jetzt, wo du es weißt. Wir sehen doch, dass das überhaupt nichts ist. Es wird dir keinen körperlichen Schaden zufügen. Dein Verstand ist das Einzige, der dir das gerade antut.“

Qin Su schüttelte den Kopf, ihr Gesicht war aschfahl, „.... Sag mir die Wahrheit. A-Song.... Wie ist A-Song gestorben?“

Wer war A-Song?

Jin GuangYao wirkte erschrocken, „A-Song? Warum fragst du mich das? Weißt du das denn nicht schon seit langer Zeit? A-Song wurde getötet. Ich habe denjenigen, der ihn getötet hat, bereits aus Rache vernichtet. Warum erwähnst du ihn plötzlich?“

Qin Su, „Ich wusste es. Aber jetzt fange ich an zu denken, dass alles, was ich bislang glaubte zu wissen, eine Lüge war.“

Jin GuangYaos Gesicht wirkte, als ob er langsam müde würde: „A-Su, woran denkst du? A-Song ist mein Sohn. Was denkst du, was ich getan habe? Du würdest lieber jemandem glauben, der sich die ganze Zeit über versteckt gehalten hat? Eher einem Brief von einer unbekannten Person, als an mich?“

Qin Su zog an ihren Haaren und kreischte: „Du bist beängstigend, gerade weil er dein Sohn ist! Was ich glaube, was du getan hast? Du könntest sogar so etwas tun, also warum hättest du es nicht tun können?! Und jetzt willst du immer noch, dass ich an dich glaube? Ach du meine Güte!“

Jin GuangYao, „Hör auf, solchen Unsinn zu denken. Sag mir, wen du heute getroffen hast? Wer hat dir den Brief gegeben?“

Qin Su hielt sich weiterhin an ihren Haaren fest, „Was... Was wirst du tun?“

Jin GuangYao, „Wenn die Person es dir sagen konnte, dann kann sie es auch anderen Menschen sagen. Wenn sie einen Brief schreiben kann, dann kann sie auch einen zweiten, einen dritten, eine unzählige Anzahl von Briefen schreiben. Was hast du vor? Erlaubst du etwa, dass so etwas durchsickert? A-Su, ich flehe dich an. Bitte, egal was für Gefühle zwischen uns bestanden haben, sag mir, wo die im Brief erwähnten Personen sind. Wer war derjenige, der dir gesagt hat, du sollst zurückkommen und den Brief lesen?“

Wer war es? Wei WuXian wollte auch von Qin Su hören, wer um alles in der Welt es war. Jemand, der sich der Frau des Hauptkultivierenden nähern und ihr Vertrauen gewinnen konnte, jemand, der eine versteckte Geschichte von Jin GuangYao aufgedeckt hatte. Der Brief konnte nicht etwas so Einfaches wie Mord beinhalten. Es war etwas, das Qin Su so angewidert oder verängstigt hatte, dass sie sich übergeben musste, und es blieb so unaussprechlich, selbst wenn nur die beiden anwesend waren. Während dieser Befragung sprachen sie immer nur sehr vage und wagten es nicht, explizit zu sein. Aber wenn Qin Su wirklich beschließen würde, ehrlich zu sein und ihm sagen würde, wer ihr den Brief gegeben hatte, dann wäre sie wirklich dumm. Wenn sie es sagen würde, würde Jin GuangYao nicht nur wen auch immer, sondern auch Qin Su zum Schweigen bringen, entweder mit fairen Mitteln oder mit unfairen.

Glücklicherweise, obwohl Qin Su von jungen Jahren an immer unschuldig ignorant gewirkt hatte, vertraute sie Jin GuangYao nun nicht mehr. Sie starrte mit leerem Blick auf Jin GuangYao, der schweigend an dem Tisch Platz genommen hatte. Er war der Hauptkultivierende von über Zehntausenden von Menschen. Er war ihr Mann. In diesem Moment sah er bei Kerzenlicht so ruhig und malerisch aus wie immer. Er stand auf, als wollte er ihr helfen, aber Qin Su schlug seine Hand weg. Auf den Boden gebeugt, konnte sie nicht anders, als weiterhin zu würgen.

Die Spitze von Jin GuangYaos Augenbrauen zuckte: „Ekel ich dich wirklich so sehr an?“

Qin Su, „Du bist kein Mensch... Du bist ein Geisteskranker!“

Eine traurige Wärme erfüllte die Augen, mit denen Jin GuangYao sie ansah: „A-Su, damals konnte ich wirklich keinen anderen Weg gehen. Ich wollte, dass du dein ganzes Leben lang im Dunkeln bleibst. Ich wollte nicht, dass du davon erfährst. Nun, aber es wurde von demjenigen, der es dir gesagt hat, jetzt völlig ruiniert. Du denkst, dass ich schmutzig sei. Du denkst, dass ich ekelhaft bin. All das geht schon in Ordnung, aber du bist meine Frau. Wie würden andere dich sehen? Wie würden sie über dich reden?“

Qin Su vergrub ihren Kopf in ihren Armen, „Hör auf zu reden, hör auf zu reden, hör auf, mich daran zu erinnern.... Ich wünschte, ich hätte dich nie kennengelernt, ich wünschte, ich wäre überhaupt nicht mit dir verwandt! Warum hast du dich überhaupt mir zugewandt?“

Nach einer Schweigeminute antwortete Jin GuangYao: „Ich weiß, dass du mir nicht glauben wirst, egal, was ich sage, aber damals waren meine Absichten aufrichtig.“

Qin Su schluchzte, „.... Du sprichst immer noch solche Schmeicheleien aus!“

Jin GuangYao, „Ich spreche die Wahrheit. Ich habe mich immer daran erinnert, dass du nie etwas über meinen Hintergrund oder meine Mutter gesagt hast. Ich bin dir bis zum Ende meines Lebens dafür dankbar, und ich möchte dich respektieren, dich schätzen, lieben. Aber man muss wissen, dass, selbst wenn A-Song nicht getötet worden wäre, er hätte sterben müssen. Er konnte nur sterben. Wenn wir zugelassen hätten, dass er erwachsen wird, dann wären du und ich....“

Mit der Erwähnung ihres Sohnes konnte Qin Su es nicht mehr länger ertragen. Mit einer Handbewegung schlug sie ihm ins Gesicht: „Wer hat denn das hier alles angerichtet?!! Was bist du nicht bereit für diese Position zu tun?“

Ohne sie aufgehalten zu haben, akzeptierte Jin GuangYao den Schlag. Ein purpurroter Handabdruck erschien sofort über seiner hellen Wange. Jin GuangYao, „Wovon redest du da? Du musst dich ziemlich unwohl fühlen. Dein Vater ist bereits auf Reisen gegangen, um sich weiter zu kultivieren. Ich schicke dich auch bald wieder weg, und du kannst es genießen, in der Obhut deines Vaters zu sein. Lass uns das hier schnell beenden. Da draußen sind noch eine ganze Reihe von Gästen. Morgen ist noch die Diskussionskonferenz.“

Die Dinge waren schon so, und er dachte immer noch an die Gäste da draußen und die Diskussionskonferenz morgen!

Obwohl er gesagt hatte, dass er Qin Su Zeit zum Ausruhen geben würde, ignorierte er Qin Sus Weigerungen und half ihr auf. Wei WuXian wusste nicht, was er getan hatte, aber plötzlich brach Qin Su ohne jegliche Energie zusammen. Jin GuangYao zog seine Frau halb hinter die vielschichtigen Vorhänge. Papiermann WuXian schlich sich unter dem Tisch hervor und folgte ihnen. Er beobachtete Jin GuangYao, dessen Hand über einen Ganzkörperspiegel aus Bronze strich. Einen Moment später traten seine Finger irgendwie in den Spiegel ein, als ob sie in die Oberfläche eines Wasserbeckens eintauchen würden. Qin Sus Augen waren weit geöffnet und weinten immer noch. Sie konnte nur zusehen, wie ihr Mann sie in den Spiegel schleppte, ohne sprechen oder schreien zu können. Wei WuXian wusste, dass der Spiegel definitiv von niemandem außer Jin GuangYao selbst geöffnet werden konnte. Eine solche Gelegenheit ergab sich also nie wieder. Er berechnete grob das Timing, und sprang schnell hinein.

Hinter dem Bronzespiegel befand sich ein Geheimzimmer. Nachdem Jin GuangYao eingetreten war, entzündeten sich die Öllampen an den Wänden von selbst. Das schwache Licht beleuchtete Regale und Schränke unterschiedlicher Größe, die die Wände bedeckten. In den Regalen lagen Bücher, Schriftrollen, Steine, Waffen. Es gab auch ein paar Instrumente der Folter. Eisenringe, scharfe Spitzen, silberne Haken - alles erschien sehr seltsam. Schon der bloße Blick auf ihr Aussehen könnte einen vor Angst zittern lassen. Wei WuXian wusste, dass diese wahrscheinlich von Jin GuangYao hergestellt worden waren.

Der Führer der QishanWen-Sekte, Wen RuoHan, hatte eine launische, gewalttätige Persönlichkeit gehabt. Er liebte den Anblick von Blut und hatte manchmal Freude daran, diejenigen zu foltern, die ihn beleidigten. Jin GuangYao konnte Wen RuoHans Interesse nur dadurch wecken, dass er auf seine Bedürfnisse einging und alle möglichen grausamen und doch amüsanten Geräte herstellte.

Alle Sekten besaßen ein paar geheime Zimmer. So war es für den 'Palast der Düfte' überhaupt nicht verwunderlich, einen solchen Raum zu haben. Neben einem Schreibtisch war dort noch ein weiterer Tisch aus Eisen - dunkel zu den Augen, kalt bei Berührung, lang genug, um darauf eine Person ablegen zu können – in dem Raum. Da schien eine schwarze, getrocknete Substanz auf der Oberfläche des Tisches zu sein. Wei WuXian kommentierte schweigend: Dies wäre der perfekte Tisch, um jemanden zu zerlegen.

Jin GuangYao half Qin Su sanft, sich auf den Tisch zu legen. Qin Sus Gesicht war aschgrau, als Jin GuangYao ein paar ihrer verwickelten Haarsträhnen glättete: „Hab keine Angst. Du solltest in so einem Zustand nicht draußen herumlaufen. In den nächsten Tagen wird es hier so viele Leute geben. Warum ruhst du dich nicht ein wenig aus? Du kannst wiederkommen, sobald du mir sagst, wer die Person war. Nicke, wenn du bereit bist, es mir zu sagen. Ich habe nicht alle deine Meridiane versiegelt. Du solltest trotzdem noch nicken können.“

Qin Sus Augen rollten in die Richtung ihres Mannes, der immer noch so freundlich und fürsorglich zu ihr war. Ihre Pupillen waren voller Angst, Schmerz und Verzweiflung. Plötzlich bemerkte Wei WuXian, dass eines der Regale durch einen Vorhang verhängt war. Der Vorhang war mit unheimlichen, blutroten Runen bedeckt. Es war ein Talisman des Verbotes, einer von extremer Macht. Der Papiermann schob sich langsam nach oben und klammerte sich an der Wand fest. Währenddessen flehte Jin GuangYao Qin Su mit leiser Stimme an. Plötzlich, als ob er etwas bemerkt hätte, drehte er sich alarmiert um.

Es war keine dritte Person im Raum außer Qin Su und ihm. Jin GuangYao stand auf. Er kehrte erst zurück, nachdem er bei seiner sorgfältigen Inspektion des Raumes nichts gefunden hatte.

Natürlich wusste er nicht, dass Wei WuXian, als er sich umdrehte, bereits ein Bücherregal erreicht hatte. Gerade als er eine leichte Bewegung an Jin GuangYaos Hals beobachtet hatte, steckte er sofort seinen dünnen Papierkörper in ein Buch, als wäre er ein Lesezeichen. Seine Augen blickten genau über den Rand von zwei Seiten eines Manuskripts heraus. Glücklicherweise war Jin GuangYao zwar wachsamer als andere, aber er war nicht so wachsam, dass er dieses Buch aufschlug, um zu sehen, ob sich jemand im Inneren davon versteckt hielt.

Plötzlich erkannte Wei WuXian, dass die Schriftzeichen, die seine Augen sahen, etwas vertraut aussahen. Nach einer Weile der Prüfung fluchte er schweigend, dass er sie nicht sofort hatte erkennen können? Das waren seine Schriftzeichen!

Die Kommentare, die Jiang FengMian zu seiner Handschrift gab, waren 'leichtsinnig, aber sicher'. Das hier war definitiv seine Schrift. Nachdem Wei WuXian sie nun mit mehr Sorgfalt betrachtete, gelang es ihm, neben den vagen oder beschädigten Stellen auch die Phrasen wie '.... anders als Inbesitznahme...', '... Rache...', '... Zwangsvertrag' zu erkennen. Schließlich konnte er endlich zu dem Schluss kommen, dass das Buch, in das er sich hineingezwängt hatte, sein eigenes Manuskript war. Der Inhalt des Manuskripts war ein Artikel über die Opferung des eigenen Körpers, der aus den Informationen, die er gesammelt hatte, abgeleitet worden war.

Damals hatte er einige dieser Manuskripte geschrieben. Er schrieb sie, und warf sie dann überall hin, besonders in seiner Höhle auf dem Grabhügel, in der er auch geschlafen hatte. Einige dieser Manuskripte waren durch die Brände der Belagerung zerstört worden. Andere, wie auch sein Schwert, waren von verschiedenen Leuten als Kriegstrophäen eingesammelt worden.

Er war die ganze Zeit verwirrt darüber gewesen, wie Mo XuanYu von dieser verbotenen Technik erfahren haben könnte. Jetzt wusste er die Antwort.

Dies war das beschädigte Manuskript einer verbotenen Technik, weshalb Wei WuXian definitiv nicht glaubte, dass Jin GuangYao einfach jedem den Zugang dazu ermöglichen würde. Es schien zwar so, dass Mo XuanYu und Jin GuangYao nicht in dieser Art von einer Beziehung waren, aber sie waren definitiv immer noch ziemlich nah dran gewesen.

Während er noch darüber nachdachte, hörte er wieder Jin GuangYaos Stimme: „A-Su, meine Zeit ist abgelaufen. Ich muss mich um die Gäste kümmern. Ich komme danach wieder zu dir.“

Wei WuXian hatte sich bereits aus seinen Manuskripten herausgewunden. Als er die Stimme hörte, ging er sofort wieder hinein. Diesmal sah er keine Manuskripte, sondern.... zwei Titelurkunden für Häuser und Land?

Wei WuXian fand das ziemlich seltsam. Wie konnten Titelurkunden einen so besonderen Wert haben, dass sie an der gleichen Stelle wie die Manuskripte des YiLing-Patriarchen aufbewahrt wurden? Aber, egal wie er sie betrachtete, es waren zwei der durchschnittlichen Titelurkunden, ohne versteckte Informationen oder Geheimschrift. Die Papiere waren sogar gelblich verfärbt und hatten sogar Tintenkleckse auf sich. Dennoch dachte er nicht, dass Jin GuangYao sie nur zufällig hier platziert hatte. So nahm er sich die Zeit, sich die Adresse irgendwo in Yunmengs Stadt Yunping zu merken. Er dachte, dass er dort etwas finden könnte, wenn er die Chance dazu hätte.

Nachdem er eine Weile lang nichts gehört hatte, begann Wei WuXian wieder die Wand hinaufzusteigen. Er erreichte schließlich das Regal, das vom Talisman des Verbotes blockiert wurde. Bevor er jedoch näher untersuchen konnte, was sich in dem Regal befand, erhellte sich plötzlich die Szene vor seinen Augen.

Jin GuangYao ging hinüber und lüftete den Vorhang.

Für einen Bruchteil einer Sekunde dachte Wei WuXian, dass er entblößt worden wäre. Nachdem das schwache Feuerlicht seinen Weg durch den Vorhang gefunden hatte, fand er heraus, dass er im Schatten von etwas stand. Ein kreisförmiges Objekt stand direkt vor ihm. Jin GuangYao stand still, als ob er in die Augen dessen starrte, was sich in diesem Regal befand.

Nach einem Moment sprach er: „Hast du mich angesehen?“

Natürlich konnte es keine Antwort geben. Er schwieg eine Weile und ließ dann den Vorhang wieder fallen. Wei WuXian näherte sich leise dem Objekt an. Kalt und hart wie es war, schien es ein Helm zu sein. Dann wandte er sich der Vorderseite zu. Wie er erwartet hatte, sah er in ein blasses Gesicht. Derjenige, der den Kopf hier versiegelt hatte, wollte, dass dieser nichts sah, nichts hörte, nichts sprach, und so waren Beschwörungen auf die gewachste Haut eingepresst worden. Die Augen, die Ohren und der Mund waren alle fest verschlossen.

Wei WuXian grüßte ihn schweigend, Es ist mir eine Ehre, dich zu treffen, ChiFeng-Zun.


Informationen
Ruyi:




Hüft- und Satteldach:



Schwarzer Gaze-Hut &
Liuhe Schuhe:







Tische: Man kann sich das hier so vorstellen: Jin GuangYao und Qin Su sitzen am Ende einer langen Halle, dann bilden die Gäste auf jeder Seite zwei Linien, die sich gegenüberstehen. Jin Ling sitzt an einem der beiden Tische, die ihnen am nächsten sind.
Qin Su: Qin Su klingt von der Aussprache her 'qingsu', und das bedeutet übersetzt „Sentimental“
Stein Garten:











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