Kapitel
39: Gras – Teil Sieben
Die
Geschichte der Stadt Yi
A-Qing
schien zu zögern, ehe sie antwortete: „J-ja.“
Xiao
XingChen, „Dann geh etwas langsamer. Sei nicht so schnell. Du
willst doch nicht mit noch jemanden zusammenstoßen, oder?“
Er erwähnte
gar nicht, dass er selbst auch nichts sehen konnte. Er hielt A-Qings
Hand und führte sie an den Straßenrand, „Geh hier entlang. Hier
gibt es weniger Leute.“
Sowohl seine
Worte als auch seine Taten waren sanft und doch vorsichtig. A-Qing
streckte ihre Hand mit Zögern aus, aber am Ende schnappte sie sich
doch noch die Geldbörse, die an seiner Taille hing, „Bruder,
A-Qing ist dir sehr dankbar!“
Xiao
XingChen, „Nicht Bruder. Es ist Daozhang.“
A-Qing
blinzelte, „Aber du bist sowohl Daozhang als auch Bruder.“
Xiao
XingChen lächelte, „Dann, da du mich Bruder nennst, warum gibst du
nicht den Geldbeutel deines Bruders zurück?“
Egal, wie
schnell ein Taschendieb wie A-Qing war, sie würde niemals in der
Lage sein, die Sinne eines Kultivators zu täuschen. Erschrocken nahm
sie ihre Stange und sprintete so schnell sie konnte los. Dennoch war
sie noch nicht sehr weit gekommen, da packte Xiao XingChen sie an
der Rückseite ihres Kragens mit einer Hand und hielt sie zurück:
„Wie ich bereits sagte, du solltest nicht so schnell laufen. Was
ist, wenn du wieder in jemanden hineinrennst?“
A-Qing
kämpfte darum, sich seinem Griff zu entziehen. Mit einem Zucken
ihrer Lippen biss sie sich mit ihren oberen Zähnen in die
Unterlippe. Wei WuXian verstand sofort: Oh nein, sie wird
'Schänder' rufen!
Plötzlich
eilte ein Mann mittleren Alters um die Straßenecke. Als er A-Qing
sah, leuchteten seine Augen auf einmal auf. Er stürmte hinüber,
während er schimpfte: „Du kleine Schlampe. Ich habe dich endlich
erwischt. Geb mir mein Geld zurück!“
Allein das
Fluchen reichte anscheinend nicht aus, um seine Wut zu lindern. Mit
einer Armbewegung schwang er seine Hand und zielte auf ihr Gesicht.
A-Qing sah sofort nach unten und schloss ihre Augen. Doch der Schlag,
der auf ihrer Wange hätte landen sollen, wurde auf halbem Weg
gestoppt.
Xiao
XingChen, „Herr, bitte beruhigen Sie sich für einen Moment. Es ist
eine ziemlich unhöfliche Art, eine junge Dame so zu behandeln,
finden Sie nicht auch?“
A-Qing
traute sich unter ihren Augenlidern zu blinzeln. Der Mann mittleren
Alters besaß eindeutig eine Menge von Stärke, dennoch war seine
Hand von Xiao XingChen auf eine scheinbar leichte Weise aufgehalten
worden, und nun nicht einmal in der Lage, sich auch nur einen
Zentimeter zu bewegen. Obwohl er nervös war, beschuldigte er sie
weiterhin hartnäckig: „Was macht ein Blinder wie du hier? Die
Jungfrau in Not retten? Also ist die kleine Schlampe deine Geliebte?
Weißt du, dass sie eine Diebin ist? Sie hat mein Geld gestohlen!
Wenn du sie beschützt, dann bist du auch ein Dieb!“
Mit ihm in
der einen Hand und A-Qing in der anderen, drehte sich Xiao XingChen
um: „Gib dem Mann sein Geld zurück.“
A-Qing
fummelte den kleinen Geldbetrag heraus und übergab es ihn. Xiao
XingChen ließ den Mann los, damit er das Geld entgegennehmen konnte.
Alles war noch da. Mit einem Blick auf den blinden Kultivator wusste
der Mann, dass es schwierig werden würde, mit ihm umzugehen, also
schleppte er sich von dannen.
Xiao
XingChen, „Du bist wirklich mutig. Wie kann man nur Dinge stehlen,
wenn man selbst blind ist?“
A-Qing
sprang drei Zoll hoch und sagte: „Er hat mich berührt! Er hat in
meinen Hintern gekniffen, und es tat so weh. Also, was ist falsch
daran, dass ich etwas von seinem Geld genommen habe? Da war von
vorneherein so wenig drin in einem so großen Beutel, und dennoch ist
er deswegen ein Tyrann. Er wird völlig pleite sterben!“
Wei WuXian
widersprach, Du hattest offensichtlich von Anfang an die Absicht,
ihn zu bestehlen und bist deswegen in ihn hineingelaufen, aber nun
sagst du, er hätte dir zuerst Unrecht getan. Was für eine
arglistige Argumentation.
Xiao
XingChen schüttelte den Kopf, „Wenn das wirklich der Fall gewesen
ist, dann hättest du es wirklich besser wissen sollen, als ihn auch
noch zu provozieren. Wenn heute niemand hier gewesen wäre, dann wäre
diese Angelegenheit nicht mit einem bloßen Schlag gelöst worden.
Fräulein, pass auf dich auf.“
Nachdem er
fertig war, drehte er sich in die andere Richtung herum und ging. Wei
WuXian bemerkte, Er hat nicht mehr nach seiner Geldbörse gefragt.
Dieser Shishu von mir ist auch sanft gegenüber Frauen.
A-Qing hielt
den Geldbeutel, den sie gestohlen hatte, stand da und starrte ihm ein
paar Sekunden lang mit leerem Blick nach. Plötzlich stopfte sie es
in ihr Revers, jagte mit ihrer Stange rüber und stürzte sich direkt
in Xiao XingChens Rücken. Xiao XingChen konnte ihr nur helfen, sich
wieder zu beruhigen: „Gibt es sonst noch etwas?“
A-Qing, „Ich
habe noch deinen Geldbeutel!“
Xiao
XingChen, „Er gehört jetzt dir. Da ist sowieso nicht viel drin.
Bevor du alles ausgibst, stell sicher, dass du solange nichts anderes
stiehlst.“
A-Qing, „Ich
hörte den ekligen Mann eben fluchen. Du bist also auch blind?“
Als er den
zweiten Satz hörte, schwankte Xiao XingChens Ausdruck sofort. Sein
Lächeln war ebenfalls verschwunden. Die kühnen, unschuldigen
Bemerkungen von Kindern waren oft die grausamsten. Kinder wussten es
nicht anders. Gerade weil sie nichts wussten, verletzen sie die
Gefühle der Menschen auf direktem Weg.
Unter den
Verbänden, die um Xiao XingChens Augen gewickelt waren, wurde ein
Strich von Rot dunkler und dunkler, sickerte fast durch das Tuch
hindurch. Er hob die Hand, damit er sie über seinen Augen legen
konnte, während sein Arm leicht zitterte. Der Schmerz und die
Verletzung, die mit dem Verlust der Augen einher kamen waren nicht so
leicht zu heilen. A-Qing dachte jedoch einfach, dass ihm schwindlig
sei. Sie strahlte: „Dann lass mich dir folgen!“
Xiao
XingChen schaffte es, zu lächeln: „Warum solltest du mir folgen
wollen? Um ein Kultivierer zu werden?“
A-Qing, „Du
bist groß und blind, und ich bin klein und blind. Wenn wir zusammen
reisen, können wir uns um einander kümmern. Meine Eltern sind tot
und ich kann nirgendwo bleiben. Ich würde derzeit jedem nach
irgendwohin folgen.“
Da sie
wirklich schlau war, hatte sie Angst, dass Xiao XingChen sie ablehnen
würde, also nutzte sie seine freundliche Art aus und drohte: „Und
ich gebe sehr schnell Geld aus. Wenn du dich weigerst, mich
mitzunehmen, dann wird das Geld sofort weg sein, und ich muss wieder
stehlen gehen und die Leute wieder austricksen. Und dann schlägt
mich jemand sehr hart und ich falle dann hin und dann werde ich nicht
mehr in der Lage sein, meinen Weg zu finden. Ich Ärmste!“
Xiao
XingChen lachte: „Jemand, der so klug ist wie du, sollte in der
Lage sein, andere so zu täuschen, dass sie ihren Weg nicht mehr
finden können. Wer um alles in der Welt könnte dir da das Gleiche
antun?“
Nachdem er
eine Weile zugesehen hatte, fand Wei WuXian etwas Interessantes
heraus. Nun, da er Xiao XingChen selbst gesehen hatte, entdeckte er,
dass im Vergleich zum Echten, Xue Yangs Nachahmung wirklich präzise
war! Abgesehen von seinem Gesicht, waren alle Details absolut stimmig
zum echten Xiao XingChen. Wenn ihm das jemand gesagt hätte, dann
hätte er sogar glauben können, dass Xiao XingChen den Körper von
Xue Yang besetzt hätte.
Ihn
anflehend, belästigend und jammernd, wie erbärmlich sie war,
klammerte sich A-Qing den ganzen restlichen Weg über an Xiao
XingChen. Xiao XingChen warnte sie schon einige Male, dass es
gefährlich wäre, wenn sie ihm folgen würde, aber A-Qing hörte nie
zu. Sie hatte nicht einmal Angst, nachdem Xiao XingChen ein altes
Vieh exorzierte, das beim Passieren eines vermeidlich sicheren Dorfes
zu Bewusstsein gekommen war. Sie nannte ihn immer noch 'Daozhang' und
klebte an ihm, als wäre sie Sirup, und entfernte sich nie mehr als
drei Meter von ihm. Während sie ihm folgte, stellte er
möglicherweise fest, dass A-Qing geistesgegenwärtig, mutig und nie
hinderlich war, obwohl sie ein junges, blindes Mädchen war, dass
nicht wusste, wohin sie sollte und so gab Xiao XingChen endlich die
stillschweigende Erlaubnis, dass sie bei ihm bleiben durfte.
Wei WuXian
dachte ursprünglich, dass Xiao XingChen ein bestimmtes Ziel gehabt
haben musste. Wie auch immer, nachdem ein paar Erinnerungsstücke
verstrichen waren, nach dem Klima und den Dialekten zu urteilen, und
nach den Orten, durch die sie gingen, konnte er überhaupt keine
zielgerichtete Route erkennen. Es schien nicht so, als hätte er ein
festes Ziel vor sich, wohin sie gehen würden, sondern eher als
befänden sie sich auf einer zufälligen Nachtjagd. Er ging dorthin,
wo die Leute von seltsamen Dingen berichteten und das dort etwas
passiert sei. Wei WuXian vermutete, Vielleicht war der Fall des
YueyangChang-Clans ein zu harter Schlag für ihn. Er wollte einfach
nicht mehr zu den Clans und Sekten gehören, aber er konnte auch
nicht seine Wünsche und Prinzipien aufgeben, also entschied er sich
für die Nachtjagd, während er umherwanderte, um dabei so viele
Probleme wie möglich zu lösen.
Zur Zeit
gingen Xiao XingChen und A-Qing auf einer langen, flachen Straße mit
Unkraut und Gräsern in Taillenhöhe, die auf beiden Seiten wuchsen,
entlang. Plötzlich schrie A-Qing mit einem Schrei auf. Xiao XingChen
fragte sofort: „Was ist passiert?“
A-Qing,
„Ugh. Nichts. Ich habe mir nur meinen Knöchel verdreht.“
Wei WuXian konnte deutlich sehen, dass es nicht daran
lag, dass sie ihren Knöchel verdreht hatte. Sie ging so gut wie eh
und je. Wenn
sie vor Xiao XingChen nicht so tat, als wäre sie blind, so dass er
keine Gründe hatte, sie wegzuschicken, dann konnte sie bis in den
Himmel springen, wenn sie ging.
A-Qings Ausruf war, weil sie, als sie sich umgesehen hatte, plötzlich
eine schwarze Gestalt zwischen den Sträuchern des Unkrauts liegen
gesehen hatte. Obwohl sie nicht wusste, ob er tot oder lebendig war,
wahrscheinlich weil sie dachte, dass es nur zusätzlicher Ballast
sei, wollte sie offensichtlich nicht, dass Xiao XingChen diese Person
fand. Daher forderte sie ihn auf, „Weiter geht’s, weiter geht’s!
Lass uns in der Stadt, die vor uns liegt, ein wenig ausruhen. Ich bin
so müde!“
Xiao
XingChen, „Hast du dir nicht den Knöchel verstaucht? Willst du,
dass ich dich trage?“
A-Qing war
ekstatisch und klopfte laut auf den Boden mit ihrem Bambusstab, „Ja,
ja, ja!“
Lächelnd
drehte sich Xiao XingChen mit dem Rücken zu ihr um und kniete mit
einem Bein nieder. Gerade als A-Qing im Begriff war, drauf zu
klettern, hielt Xiao XingChen sie plötzlich auf. Mit einem ernsten
Ausdruck, stand er wieder auf: „Etwas riecht hier nach Blut.“
A-Qing
konnte auch einen schwachen Hauch von Blut riechen. Inmitten des
Nachtwindes war es tatsächlich manchmal erkennbar. Sie bluffte,
„Wirklich? Warum kann ich es nicht riechen? Sind irgendwelche
Familien in der Gegend, die gerade ihr Vieh töten?“
Gerade als
sie fertig gesprochen hatte, und als ob der Himmel gegen ihren Willen
handeln wollte, hustete die Person in den Büschen. Obwohl der Klang
fast unmerklich war, konnte er Xiao XingChens Ohren nicht entkommen.
Er fand sofort die Richtung, trat in die Büsche und kauerte neben
der Person. Da Xiao XingChen die Person sowieso entdeckt hatte,
stampfte A-Qing auf den Boden, und tat dann so, als würde sie den
Weg rüber finden, „Was ist passiert?“
Xiao
XingChen fühlte den Puls der Person, „Jemand liegt hier.“
A-Qing,
„Deshalb ist der Geruch von Blut so stark. Ist es tot? Sollen wir
ein Loch graben und es beerdigen?“
Natürlich
war ein Toter weniger lästig als ein Lebendiger, also konnte A-Qing
es nicht abwarten, dass die Person starb. Xiao XingChen antwortete
jedoch: „Noch nicht. Er ist nur schwer verletzt.“
Nachdem er
darüber nachgedacht hatte, legte er sich die Person vorsichtig über
den Rücken. Mit anzusehen, dass ein schmutziger, blutbefleckter Mann
die Position einnahm, in der sie gewesen wäre, und dass Xiao
XingChen sie nun würde nicht mehr in die Stadt tragen können, ließ
A-Qing schmollen und sie ein paar tiefe Löcher in dem Boden mit
ihrer Stange treiben. Doch sie wusste, dass Xiao XingChen nicht in
der Lage war, der Person nicht zu helfen, also würde eine Beschwerde
sowieso nichts bringen. Sie gingen zurück auf die Straße und
setzten ihren Weg weiter fort. Je weiter sie gingen, desto mehr kam
Wei WuXian in den Sinn, dass ihm die Umgebung bekannt vorkam. Er
erinnerte sich plötzlich, Ist das nicht die Straße, die Lan Zhan
und ich benutzt haben, um zur Stadt Yi zu kommen?
Tatsächlich
konnte man die Stadt Yi am Ende der Straße sehen. Zu diesem
Zeitpunkt waren die Stadttore noch nicht so heruntergekommen. Der
Turm war noch im guten Zustand und es gab keine Schmierereien an den
Wänden. Als sie die Stadt betraten, war der Nebel zwar etwas
dichter, aber im Vergleich zu dieser unnatürlichen Dichte in
späteren Zeiten war es nun überhaupt kein Hindernis. Von den
Straßenseiten drangen Lichter und sogar menschliche Gespräche aus
den Türen und Fenstern aus den Häusern nach draußen.
Obwohl es
ein obskurer Ort war, so hatte er doch eine gewisse Lebendigkeit. Da
Xiao XingChen eine Person mit schweren Verletzungen und blutgetränkt
auf seinem Rücken trug, wusste er definitiv, dass keines der
Geschäfte jemanden wie ihn hineinlassen würde. Daher suchte er
nicht nach einer Unterkunft, sondern fragte stattdessen direkt einen
Nachtwächter, der vorbeikam, ob es irgendwelche ungenutzten
Sarghäuser in der Stadt gab. Der Wächter sagte ihm: „Da drüben
ist eines. Der Typ, der es bislang bewacht hat, ist letzten Monat
gestorben. Im Moment ist da niemand.“
Als er sah,
dass Xiao XingChen blind war und er somit Schwierigkeiten haben
könnte, den Weg zu finden, beschloss er, sie zu führen. Es war
genau das Sarghaus, indem man Xiao XingChens Leiche nach seinem Tod
gelegt hatte. Sie dankten dem Wächter, und Xiao XingChen trug die
verletzte Person in die Kammer auf der rechten Seite. Der Raum war
nicht groß, aber auch nicht zu klein. Inklusive einem niedrigen Bett
an der Wand hatte das Zimmer alles, was man brauchte. Er legte die
Person vorsichtig auf das Bett. Er nahm ein Elixier aus seinem
Qiankun-Beutel, und schob es durch die zusammengebissenen Zähne der
Person. A-Qing streunte eine Weile im Raum herum, bevor sie strahlte:
„Hier gibt es so viele Dinge! Hier ist sogar ein Waschbecken!“
Xiao
XingChen, „Gibt es auch einen Ofen?“
„Es gibt
einen!“
Xiao
XingChen, „A-Qing, warum versuchst du nicht, etwas Wasser zu
kochen? Sei vorsichtig und tu dir nicht selbst weh.“
A-Qing
schmollte noch etwas mehr und machte sich an die Arbeit. Xiao
XingChen berührte die Stirn der Person, dann nahm er ein weiteres
Elixier heraus und gab es ihm. Wei WuXian wollte unbedingt einen
guten Blick auf das Gesicht der Person werfen, aber A-Qing war
offensichtlich nicht an ihm interessiert. Sie war ziemlich verärgert
und weigerte sich, ihm auch nur einen einzigen Blick zu schenken.
Nachdem das Wasser gekocht war, wusch Xiao XingChen langsam das Blut
auf seinem Gesicht ab.
Aus
Neugierde warf ihm A-Qing einen Blick zu und machte ein lautloses
'huh'. Nun, da das Gesicht der Person gereinigt worden war, konnte
sie sehen, dass sein Aussehen tatsächlich recht anständig war. Als
Wei WuXian das Gesicht sah, sank ihm sein Herz sofort. Genau wie er
es erwartet hatte, war es Xue Yang. Er seufzte schweigend, Feinde
können sich wirklich nicht aus dem Weg gehen, oder? Xiao XingChen,
du wirst wirklich......hoffnungslos vom Unglück verfolgt.
Zu diesem
Zeitpunkt, mit kindlichem Charme, sah Xue Yang nicht anders aus als
ein Junge. Aber wer hätte ahnen können, dass ein Junge wie er,
dessen Eckzähne sich neckisch zeigten wenn er lächelte, ein
Wahnsinniger war, der ganze Clans auslöschte.
Wenn man die
Jahre zurück zählte, dann geschah dies hier wahrscheinlich, nachdem
Jin GuangYao der Hauptkultivierende geworden war. An seiner
derzeitigen Situation gesehen war Xue Yang wahrscheinlich gerade der
'Eliminierung' durch Jin GuangYao entkommen. Da er ihn nicht töten
konnte, wollte Jin GuangYao natürlich auch nicht zulassen, dass
etwas nach außen dringen konnte. Oder, vielleicht, weil er glaubte,
dass er nicht in der Lage sein würde zu überleben, sagte er der
Öffentlichkeit, dass Xue Yang bereits eliminiert worden wäre.
Allerdings neigten Schurken immer dazu, die Helden zu überdauern.
Kurz vor dem Tod wurde er von seinem alten Rivalen XingChen gerettet.
Es war bedauerlich, dass Xiao XingChen nicht vorsichtig genug war, um
sein Gesicht zu befühlen, um es zu untersuchen. Durch einen Zufall
hatte er seinen Feind gerettet - denjenigen, der sein Leben so
gemacht hatte. Obwohl A-Qing sehen konnte, war sie keine
Kultivierende, und kannte daher Xue Yang nicht, geschweige denn den
immensen Hass zwischen den beiden. Sie wusste nicht einmal, wie Xiao
XingChens Name war.....
Wei WuXian
seufzte wieder. Xiao XingChen könnte nicht noch mehr Pech haben. Es
war, als ob all die ominöse Energie auf dieser Welt sich auf ihn
konzentriert hätte. Plötzlich runzelte Xue Yang die Stirn. Xiao
XingChen war gerade dabei, alles zu inspizieren und zu untersuchen
und bandagierte seine Wunden. Als er spürte, dass Xue Yang im
Begriff war, aufzuwachen, sprach er: „Nicht bewegen.“
Jemand wie
Xue Yang, der in seinem Leben unzählige schlechte Taten begangen
hatte, war natürlich wachsamer als gewöhnliche Menschen. Als er
diese Stimme hörte, sprangen seine Augen auf und er setzte sich mit
einem Mal auf. Er stolperte in die Ecke des Raumes und starrte Xiao
XingChen mit einem heftigen Blick an und nahm dabei eine sorgfältige
Haltung ein. Seine Augen ähnelten denen eines Tieres, das gefangen
war, und er konnte keineswegs die Bosheit und Grausamkeit in ihnen
verbergen. Die Szene beobachtend, kribbelte A-Qings Kopfhaut. Die
Empfindung ging auch auf Wei WuXians Kopf über, der lautlos schrie:
Rede! Xiao XingChen hätte definitiv niemals die Stimme von Xue
Yang vergessen.
Xue Yang,
„Was...."
Sobald er
gesprochen hatte, wusste Wei WuXian, dass es keine Hoffnung gab.
Selbst nachdem er gesprochen hatte, würde Xiao XingChen nicht in der
Lage sein, zu entdecken, wer er wirklich war. Xue Yangs Kehle war
ebenfalls verletzt worden. Nachdem er eine große Menge Blut gehustet
hatte, hörte sich seine Stimme so heiser an, dass niemand erkennen
konnte, dass es sich noch um dieselbe Person handelte!
Xiao
XingChen saß auf der Bettkante und versicherte: „Ich sagte dir, du
sollst dich nicht bewegen. Sonst können sich deine Wunden wieder
öffnen. Mach dir keine Sorgen. Da ich dich gerettet habe, werde ich
dir natürlich nicht mehr wehtun.“
Xue Yang
hatte sich schnell auf die plötzliche Veränderung der Situation
eingestellt. Er schloss sofort daraus, dass Xiao XingChen ihn
höchstwahrscheinlich nicht erkannt hatte. Mit einem Augenzwinkern
hustete er, „Wer bist du?“
A-Qing
unterbrach ihn: „Wenn du Augen im Kopf hast, kannst du es dann
nicht selbst sehen? Er ist ein wandernder Kultivator. Er hat so viel
auf sich genommen, um dich zurück zu tragen, rettete dich und gab
dir sogar magische Elixiere, und doch bist du so gemein!“
Xue Yang
wandte sich sofort an sie. Er sprach mit einer kalten Stimme: „Du
bist blind?“
Wei WuXian
war beunruhigt. Der kleine Delinquent war sowohl gerissen als auch
wachsam. Obwohl A-Qing ein Paar weißer Augen hatte, ließ er seine
Deckung nicht fallen. Er hatte in seiner Wachsamkeit keinen Moment
nachgelassen und ihm war A-Qings Versprecher sofort aufgefallen. Xue
Yang hatte nämlich nur sehr wenige Worte gesprochen. Mit nur diesen
paar Worten war es unmöglich festzustellen, ob er gemein war oder
nicht, es sei denn, A-Qing hätte seine Veränderungen im
Gesichtsausdruck gesehen.
Das Gute
daran war, dass A-Qing lügend aufgewachsen war. Sie antwortete auf
der Stelle: „Bist du gerade dabei blinde Menschen zu
diskriminieren? Nun, ein blinder Mensch hat dich gerettet. Ansonsten
würde sich niemand darum scheren, ob du am Straßenrand verrottest!
Die ersten Worte, die du gesagt hast, waren nicht einmal ein
Dankeschön an Daozhang. Wie unhöflich! Und du hast mich in einem
solchen Ton blind genannt. Hmph.... Was ist falsch daran, blind zu
sein....?“
Sie
wechselte erfolgreich das Thema und den Inhalt des Gesprächs. Da nun
A-Qing ununterbrochen murmelte auf unnachgiebige, aber auch
niedergeschlagene Art, ging Xiao XingChen sofort dazu über, sie zu
trösten. In der Ecke rollte Xue Yang mit seinen Augen. Xiao XingChen
wandte sich wieder an ihn, „Setz dich nicht an die Wand. Ich habe
die Wunde an deinem Bein noch nicht verbunden. Komm her.“
Mit einem
unleserlichen Ausdruck schien Xue Yang weiter nachzudenken. Xiao
XingChen fügte hinzu: „Wenn es nicht bald behandelt wird, könntest
du verkrüppelt enden.“
Als Xue Yang
dies hörte, schien er eine Entscheidung getroffen zu haben. Wei
WuXian konnte nur spekulieren, was er wohl dachte. Mit einem Körper,
der mit schweren Wunden bedeckt war, konnte er nirgendwo mehr
hingehen, wenn ihm niemand half, sie zu behandeln. Da Xiao XingChen
so ein Idiot war, sich dafür zur Verfügung zu stellen, warum
sollte er da die Hilfe nicht annehmen? Sofort änderte sich sein
Ausdruck. Mit einer Stimme voller Dankbarkeit antwortete er: „Dann,
Danke, Daozhang.“
Nachdem er
Xue Yangs Fähigkeit gesehen hatte, innerhalb von Bruchteilen von
einer Sekunde von gnadenlos auf liebevoll zu wechseln, begann Wei
WuXian sich wirklich Sorgen um die beiden Blinden in diesem Raum zu
machen, um den echten und um die gefälschte, aber vor allem um
A-Qing. Sie konnte alles sehen. Wenn Xue Yang dies herausfand, dann
würde er verhindern wollen, dass das Geheimnis um ihn herauskam und
sie würde definitiv sterben. Obwohl er wusste, das A-Qing am Ende
wahrscheinlich sowieso durch Xue Yangs Hände gestorben war, war Wei
WuXian nun sehr angespannt, da er nun die gleichen Erfahrungen machen
würde.
Plötzlich
bemerkte er, dass Xue Yang diskret Xiao XingChen daran hinderte,
seine linke Hand zu berühren. Bei genauerem Hinsehen stellte er
fest, dass der kleine Finger von Xue Yangs linker Hand abgetrennt
worden war. An der Stelle, an der er abgeschnitten worden war, konnte
man sehen, dass es sich nicht um eine neuere Verletzung handelte.
Damals wusste Xiao XingChen definitiv, dass Xue Yang nur neun Finger
hatte. Dies war also der Grund, warum Xue Yang einen schwarzen
Handschuh an seiner linken Hand getragen hätte, während er seine
Show aufführte.
Xiao
XingChen war eher darauf bedacht, ihm zu helfen. Nachdem er mit den
Medikamenten seine Wunden behandelt hatte, verband er sie auf
bemerkenswert saubere Weise: „Es ist fertig, aber es wäre am
besten, wenn du dich nicht bewegt, oder ansonsten besteht die Gefahr,
dass sich deine Knochen wieder auskugeln.“
Xue Yang
hatte bereits festgestellt, dass Xiao XingChen so leichtgläubig war,
dass er ihn nicht erkannte. Obwohl er mit Blut bedeckt und alles
andere als in einem ordentlichen Zustand war, erschien wieder dieses
herablassende Grinsen auf seinem Gesicht: „Daozhang, also willst du
mich nicht fragen, wer ich bin? Und warum ich so schwer verletzt
war?“
Wenn jemand
anderes an seiner Stelle gewesen wäre, dann hätte er das Thema
vorsichtig vermieden, so dass er keine Details preisgeben konnte, die
seine Identität enthüllen würden. Er hingegen schien absichtlich
genau das Gegenteil zu tun. Während Xiao XingChen die medizinische
Ausrüstung und Verbände reinigte, drehte er sich um und antwortete
freundlich: „Wenn du es nicht sagen willst, warum sollte ich dann
fragen? Ich habe dich nur zufällig gesehen und beschlossen, Hilfe zu
leisten. Es ist für mich sowieso nichts Schwieriges. Nachdem deine
Verletzungen verheilt sind, können wir wieder unserer getrennter
Wege gehen. Wenn ich du wäre, dann gäbe es da auch viele Dinge, wo
ich nicht wollen würde, das andere danach fragen würden.“
Wei WuXian
kommentierte, Selbst wenn Xiao XingChen danach fragen würde, dann
würde der kleine Delinquent wahrscheinlich eine nahtlose Erklärung
abliefern und ihn zum Narren halten.
Es war ganz
natürlich für Menschen, dass sie eine komplizierte Vergangenheit
hatten. Xiao XingChen vermied es nur, aus Respekt ihm gegenüber zu
viel zu fragen. Doch das machte es Xue Yang leicht, seinen Respekt
auszunutzen. Wei WuXian war sich sicher, dass er Xiao XingChen nicht
nur dazu bringen wollte, alle seine Wunden zu heilen, sondern nachdem
er sich erholt hatte, würde er sie definitiv nicht 'getrennte Wege
gehen' lassen.
Xue Yang
ruhte im Schlafzimmer der Wache des Sarghauses, während Xiao
XingChen in den Hauptraum ging. Er öffnete einen neuen Sarg, hob
etwas Stroh vom Boden auf und verteilte es auf den Boden des Sarges.
Er wandte sich an A-Qing, „Der Mann da drinnen ist verletzt, also
überlassen wir ihm das Bett. Würdest du dich damit begnügen? Ich
habe Stroh hineingelegt, also sollte es nicht zu kalt sein.“
A-Qing hatte
schon von klein auf auf der Straße gelebt. Nachdem sie eisigen Wind
und Hunger kennengelernt hatte, gab es keinen Ort, an dem sie nicht
schlafen würde. Sie antwortete nonchalant: „Das stört mich nicht.
Es ist schon gut genug, dass ich überhaupt einen Platz zum Schlafen
habe. Es wird nicht zu kalt sein. Also zieh bitte nicht wieder deinen
Mantel für mich aus.“
Xiao
XingChen streichelte ihr über ihren Kopf. Mit Schwert und
Schachtelhalm auf seinem Rücken, ging er wieder nach draußen. Um
ihre Sicherheit zu gewährleisten, ließ Xiao XingChen sie nie
mitkommen, wenn er auf Nachtjagd ging. Nachdem sie in den Sarg
gekrochen war und dort schon eine Weile gelegen hatte, hörte sie Xue
Yang aus dem anderen Zimmer nach ihr rufen: „Kleine Blinde, komm
her.“
A-Qing
blickte über den Rand aus dem Sarg heraus, „Was?“
Xue Yang,
„Willst du Süßigkeiten?“
A-Qings
Zunge fühlte sich auf einmal pelzig an, als ob sie plötzlich
wirklich Süßigkeiten wollte. Trotzdem lehnte sie immer noch ab:
„Ich werde es nicht essen. Also werde ich auch nicht kommen.“
Xue Yang
drohte mit lieblicher Stimme: „Bist du sicher, dass du es nicht
essen magst? Hast du zu viel Angst davor herzukommen? Aber, glaubst
du wirklich, ich könnte mich nicht bewegen? Dass, wenn du nicht
kommst, ich nicht in der Lage wäre, zu dir herüberzugehen, um dich
dann zu finden?“
Als sie den
seltsamen Ton seiner Worte hörte, erschauderte A-Qing. Sie stellte
sich das bösartige Grinsen vor, das plötzlich über dem Sarg
auftauchte und fand, dass das noch gruseliger war. Mit etwas Zögern,
nahm sie schließlich ihre Stange und klopfte sich langsam zur Tür
des Raumes. Bevor sie etwas sagen konnte, flog ein kleines Objekt
direkt auf sie zu.
Wei WuXian
wollte instinktiv ausweichen und war besorgt, dass es sich um eine
Art Waffe handelte. Natürlich konnte er diesen Körper nicht
kontrollieren. Unmittelbar danach erkannte er schließlich: Es ist
eine Falle!
Xue Yang
testete A-Qing - wenn sie wirklich blind wäre, würde sie nicht
ausweichen können! Sowohl als schlagfertiger Mensch als auch als
jemand, der vorgab, das ganze Jahr über blind zu sein, wich A-Qing
überhaupt nicht aus. Sie blinzelte nicht einmal, als sie sah, wie
das Objekt auf sie zukam. Stattdessen ließ sie es gegen ihre Brust
prallen, sprang dann zurück und schnauzte: „Hey! Was hast du da
auf mich geworfen?“
Nachdem
A-Qing den Test bestanden hatte, antwortete Xue Yang: „Es sind
Süßigkeiten, für dich. Ich habe vergessen, dass du bist blind und
du es daher nicht fangen kannst. Es ist zu deinen Füßen gelandet.“
A-Qing
bückte sich und hockte sich hin. Als sie sich tastend umsah, als
wäre sie wirklich blind, fand sie ein Stück Süßigkeiten. Sie
hatte noch nie so etwas gegessen. Sie schluckte, wischte es ab,
steckte es in ihren Mund und kaute fröhlich darauf mit ihren Zähnen.
Xue Yang lag auf seiner Seite und stützte seinen Kopf am Kinn mit
der Hand ab, und fragte: „Ist es gut, Kleine Blinde?“
A-Qing, „Ich
habe einen Namen. Man nennt mich nicht 'Kleine Blinde'!“
Xue Yang,
„Du hast mir deinen Namen nicht gesagt, also konnte ich dich nur so
nennen.“
A-Qing hatte
ihren Namen immer nur Leuten gesagt, die nett zu ihr waren, aber sie
mochte es nicht, wie Xue Yang sie nannte, also sagte sie zu ihm: „Hör
zu. Mein Name ist A-Qing. Also hör auf, mich 'Kleine Blinde' zu
nennen!“
Nachdem sie
das gesagt hatte, bemerkte sie, dass ihr Ton etwas harsch gewesen
war. Aus Angst, dass sie die Person verärgern würde, begann sie
sofort mit einem anderen Thema, „Du bist so ein seltsamer Mensch.
Du warst von oben bis unten mit Blut besudelt und verletzt, aber du
hast Süßigkeiten mit dir.“
Xue Yang
grinste: „Als ich jung war, mochte ich Süßigkeiten wirklich, aber
ich konnte sie nicht bekommen, egal was auch immer ich versuchte und
ich konnte nur zusehen, wie andere Leute sie aßen. Also habe ich mir
damals immer gedacht, dass, wenn ich eines Tages reicher sein würde,
dann würde ich unendlich viele Süßigkeiten mit mir herumtragen.“
A-Qing war
gerade mit der Süßigkeit, die er ihr gegeben hatte, fertig
geworden. Sich ihre Lippen leckend, wollte sie mehr. Ihr Verlangen
nach Süßigkeiten überwog ihre Angst vor der Person vor ihr,
„Dann.... Hast du noch mehr?“
Xue Yang
lachte: „Natürlich habe ich das. Ich gebe dir mehr, wenn du
hierher kommst.“
A-Qing stand
auf und mit ihrem Bambusstab ging sie auf ihn zu. Doch als sie noch
auf halbem Weg dorthin war, begann Xue Yang, sie auf unheimliche
Weise anzusehen, sein Lächeln blieb jedoch unverändert. Ohne ein
Geräusch zu machen, zog er ein scharfkantiges Schwert aus dem Ärmel.
Es war Jiangzai.
Er richtete
die Spitze des Schwertes auf A-Qing. Wenn sie nur noch ein paar
Schritte vorwärts gehen würde, dann würde sie vom Schwert
aufgespießt werden. Wenn A-Qing jedoch nur einen winzigen Moment
zögern würde, dann würde sie die Tatsache verraten, dass sie nicht
wirklich blind war!
Wei WuXian
teilte sich mit A-Qing die gleichen Sinne und fühlte auch, wie sich
die Furcht wie Nadeln in seine Kopfhaut bohrte. Dennoch ging das
junge Mädchen mutig weiter vorwärts in einer ruhigen, alltäglichen
Art und Weise. Als die Spitze des Schwertes einen halben Zentimeter
von ihrem Bauch entfernt war, nahm Xue Yang das Schwert runter und
steckte es wieder in seinen Ärmel. Er tauschte es gegen zwei
Süßigkeiten aus und gab A-Qing davon eine und warf die andere in
seinen eigenen Mund. Er fragte: „A-Qing, wo geht denn dein Daozhang
mitten in der Nacht hin?“
A-Qing
leckte und kaute an der Süßigkeit, „Ich glaube, er ist auf die
Jagd gegangen.“
Xue Yang
kicherte, „Jagd? Wohl eher eine Nachtjagd.“
A-Qing, „Oh,
wirklich? Die beiden sind doch so ziemlich gleich. Wo ist da der
Unterschied? Es ist doch nur so, dass man anderen Menschen hilft,
Geister und Bestien zu bekämpfen, ohne dafür Geld zu erhalten.“
Wei WuXian
war wirklich erstaunt, wie clever sie war. Es war nicht so, dass
A-Qing sich nicht daran erinnern konnte, was Xiao XingChen zu ihr
gesagt hatte. Tatsächlich erinnerte sie sich besser als jeder andere
daran. Sie hatte absichtlich nicht das Wort Nachtjagd benutzt. Da Xue
Yang sie korrigierte bestätigte er ihr somit, dass er auch ein
Kultivierender war. Xue Yangs Test war fehlgeschlagen und nun wurde
er stattdessen von ihr getestet. Das Mädchen war zwar noch so jung,
aber sie hatte schon so ihre Tricks auf Lager.
Obwohl Xue
Yang verächtlich aussah, klang seine Stimme verwirrt: „Er ist doch
schon blind. Wie kann er da nachts jagen?“
A-Qing
wütete: „Bist du schon wieder dabei. Was ist falsch daran, blind
zu sein? Selbst wenn Daozhang blind ist, so ist er immer noch
wirklich cool. Sein Schwert macht Wusch, Wusch, Wusch. Um es in einem
Wort zu sagen: schnell.“
Als würde
sie um ihn herum tanzen, fragte Xue Yang plötzlich: „Du kannst es
doch nicht sehen, also woher weißt du, dass sein Schwert schnell
ist?“
Der Gegner
war schnell, aber ihre Verteidigung war schneller. A-Qing antwortete
mit empörter Stimme, „Es ist schnell, weil ich es sage. Daozhangs
Schwert muss schnell sein! Es ist wahr, dass ich nicht sehen kann,
aber kann ich es denn nicht hören? Was willst du damit sagen?
Diskriminierst du blinde Menschen wie uns?“
Sie benahm
sich genau wie ein naives Mädchen, das mit der Person, die sie
bewunderte, prahlte. Es klang so natürlich wie möglich. Nachdem sie
nun alle drei seiner Tests bestanden hatte, entspannte sich Xue Yangs
Ausdruck endlich. Es war wahrscheinlich, dass er nun schließlich
glaubte, dass A-Qing tatsächlich blind sei.
A-Qing
hingegen wurde Xue Yang gegenüber äußerst zurückhaltend. Am
nächsten Tag fand Xiao XingChen etwas Holz, Stroh und Ziegel für
die Reparatur des Daches. Sobald er nach drinnen kam, zog A-Qing ihn
heimlich wieder heraus und flüsterte, wie misstrauisch diese Person
war und dass er definitiv kein guter Mensch wäre, wenn man davon
ausginge, dass er sogar Geheimnisse vor ihnen verbarg obwohl sie
beide Kultivierer waren. Leider dachte sie, dass der abgetrennte
kleine Finger nur eine triviale Angelegenheit war, also erwähnte
sie nicht dieses fatale Erkennungsmerkmal. Xiao XingChen war dazu
übergegangen, sie zu trösten: „Du hast seine Süßigkeiten
bereits gegessen, also solltest du aufhören, ihn verscheuchen zu
wollen. Natürlich wird er gehen, nachdem seine Wunden verheilt sind.
Niemand wäre bereit, freiwillig bei uns in diesem Sarghaus zu
bleiben.“
Das war in
der Tat die Wahrheit. Es gab nur ein Einzelbett in einer solchen
Hütte. Sie konnten sich glücklich schätzen, dass es derzeit keinen
Wind oder Regen gab, ansonsten hätte ihnen das Dach ein großes
Problem verursacht. Niemand würde hier wohnen wollen. Gerade als
A-Qing im Begriff war, ihre Beschwerde über Xue Yang fortzusetzen,
hörten sie die Stimme des gewissen Jemand von hinten, „Sprichst du
über mich?“
Zu A-Qings
Überraschung war er wieder aus dem Bett gestiegen. Sie hatte jedoch
keine Angst davor, entlarvt zu werden, „Wir über dich
reden?! Sei mal nicht so sehr von dir selbst überzeugt!“
Sie hob ihre
Bambusstange auf, ging hinein, schlich sich nach hinten an das
Fenster und lauschte weiter. Außerhalb des Sarghauses wandte sich
Xiao XingChen an Xue Yang: „Deine Wunden sind noch nicht verheilt,
und du läufst schon herum. Bist du dir sicher, dass es dir gut
geht?“
Xue Yang,
„Es wird schneller heilen, wenn ich herumlaufe. Und es ist ja nicht
so, als wären meine beiden Beine gebrochen. Ich bin an solche
Verletzungen gewöhnt. Ich bin unter Schlägen aufgewachsen.“
Xiao
XingChen schien, als wüsste er nicht, was er als Antwort sagen
sollte, ob er ihn nun trösten oder ob er es als Witz betrachten
sollte. Nach einer Pause antwortete er: „Oh....“
Xue Yang
fuhr fort: „Daozhang, sind die Dinge, die du mitgebracht hast,
dafür da, um das Dach zu reparieren?“
Xiao
XingChen, „Ja. Ich werde höchstwahrscheinlich für eine Weile hier
bleiben. Das beschädigte Dach ist weder für A-Qing noch für deine
Verletzungen von Vorteil.“
Xue Yang,
„Soll ich dir helfen?“
Xiao
XingChen dankte ihm, „Ich werde das schon schaffen.“
Xue Yang,
„Daozhang, weißt du, wie man so etwas macht?“
Xiao
XingChen lachte und schüttelte den Kopf, „Es tut mir leid, aber
ich habe dergleichen wirklich noch nicht versucht.“
Und so
begannen die beiden gemeinsam, das Dach zu reparieren. Einer von
ihnen arbeitete, und der andere von ihnen gab die Anweisungen. Xue
Yang war ziemlich gewandt mit Worten und war besonders gut darin,
geistreiche Bemerkungen zu machen. Sein Humor wurde von einem
anmaßenden Ton begleitet, der dem der Verkäufer auf den
Straßenmärkten ähnelte. In der Vergangenheit hatte Xiao XingChen
höchstwahrscheinlich sehr seltenen Kontakt mit dieser Art von
Menschen gehabt. Leicht amüsiert begann er schon nach wenigen Sätzen
zu lachen. Zu hören, wie fröhlich ihre Gespräche waren, ließ
A-Qings Lippen tonlose Worte sprechen. Nach sorgfältiger Prüfung
schien es, als würde es nach 'Lass mich dich umbringen' klingen. Wei
WuXian fühlte das Gleiche wie A-Qing.
Xue Yangs
schwere Verletzungen, die ihm fast das Leben genommen hatten, waren
zum Teil auf Xiao XingChen zurückzuführen. Die beiden hatten eine
Beziehung des absoluten Hasses miteinander gehabt. In seinem Herzen
hoffte er wahrscheinlich, dass Xiao XingChen auf die grausamste Art
und Weise sterben würde, aber er konnte sich trotzdem unbeschwert
mit ihm unterhalten.
Wenn
derjenige, der sich jetzt hinter dem Fenster versteckte, Wei WuXian
selbst gewesen wäre, dann hätte er Xue Yang ohne Rücksicht auf die
Folgen getötet, nur um alle anderen späteren Probleme zu vermeiden.
Aber es war nicht sein eigener Körper. Und selbst wenn A-Qing es
wollte, so war sie nicht in der Lage, ihn zu töten.
Nach etwa
einem Monat waren Xue Yangs Wunden unter Xiao XingChens akribischer
Fürsorge größtenteils geheilt. Abgesehen davon, das er beim Gehen
leicht humpelte, gab es keine anderen Unannehmlichkeiten mehr.
Trotzdem hatte er immer noch nichts darüber gesagt, dass er sie
verlassen würde. Er fuhr damit fort, weiterhin mit den beiden
anderen im Sarghaus zu leben. Wei WuXian hatte keine Ahnung, was er
geplant hatte.
Nachdem er
an diesem Abend A-Qing zu Bett gebracht hatte, wollte Xiao XingChen
gerade wieder auf Nachtjagd gehen, als er Xue Yangs Stimme plötzlich
hörte: „Daozhang, warum nimmst du mich heute Abend nicht mit?“
Seine
Halsverletzung hätte auch schon verheilt sein sollen. Jedoch vermied
er es absichtlich mit seiner Originalstimme zu sprechen und
verschleierte sie, indem er seine Stimme in einem anderen Ton
verstellte. Xiao XingChen lachte: „Natürlich nicht. Denn wenn du
redest, dann fange ich an zu lachen, und wenn ich lache, wird meine
Schwertkunst nicht mehr stabil genug sein.“
Xue Yang
antwortete mitleidig: „Dann werde ich nicht reden. Ich werde dein
Schwert tragen und dir helfen. Bitte zeige mir nicht die kalte
Schulter.“
Er war schon
immer ein Meister im tadellosen Benehmen gewesen, als wäre er ein
verwöhntes Kind. Im Gespräch mit Leuten, die älter waren als er,
klang er stets wie ein jüngerer Bruder.
Und da Xiao
XingChen sich wahrscheinlich immer um seine Shidi und Shimei
gekümmert hatte, als er ein Schüler von BaoShan SanRen gewesen war,
sah er Xue Yang natürlich als seinen Junior an. Xue Yang war auch
ein Kultivierender, also stimmte Xiao XingChen der Anfrage gerne zu.
Wei WuXian
dachte, Xue Yang ist definitiv nicht so nett, dass er Xiao
XingChen einfach so bei der Nachtjagd helfen will. Wenn A-Qing nicht
mitgeht, dann wird sie mit Sicherheit etwas Wichtiges verpassen.
A-Qing war
in der Tat clever. Sie dachte auch, dass Xue Yang wahrscheinlich
keine guten Absichten hatte. Nachdem die beiden gegangen waren,
sprang sie aus dem Sarg und folgte ihnen mit etwas Abstand. Die
Entfernung zwischen ihnen war ein wenig zu weit, da sie Angst hatte,
dass sie entdeckt werden würde, und so verlor sie sie schließlich
doch noch aus den Augen.
Glücklicherweise,
hatte Xiao XingChen, als er zuvor das Gemüse gewaschen hatte,
erwähnt, dass ein kleines Dorf in der Nähe von wandelnden Leichen
geplagt wurde und ihnen daher geraten, dass sie davon absehen
sollten, draußen herumzulaufen. A-Qing konnte sich noch an diesen
Ort erinnern. Sie eilte schnell dort hinüber und kam kurz darauf an.
Sie schlüpfte in ein Hundeloch am Boden des Zauns um das Dorf,
versteckte sich dann hinter einem der Häuser, und spinste vorsichtig
um die Ecken.
Wei WuXian
war sich nicht sicher, ob A-Qing verstand, was hier geschah, aber er
fühlte den plötzlichen Schauer in seinem Herzen.
Mit den
Händen vor sich gefaltet stand Xue Yang am Straßenrand und lächelte
mit geneigtem Kopf. Xiao XingChen stand auf der gegenüberliegenden
Seite. Ruhig zog er sein Schwert aus der Scheide, Shuanghua blitzte
mit seinem silbernen Schwertblick auf, bevor es sich in das Herz
eines Dorfbewohners bohrte.
Der
Dorfbewohner war noch am Leben.
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