Mittwoch, 3. Juli 2019

Kapitel 35

Kapitel 35



Kapitel 35: Gras – Teil Drei

Papierpuppengeschäft und klebriger Reisbrei


Er konnte nicht anders, als seine Hand zu lockern, doch Wei WuXian rettete die Öllampe, kurz bevor sie auf dem Boden zerschellte. Vollkommen ruhig strich er mit dem brennenden Feuertalisman in seiner anderen Hand gegen sie, bis sie aufleuchtete und er sie dann auf den Tisch abstellte: „Frau Ladenbesitzerin, habt Ihr die gefertigt? Sie sind ziemlich gut verarbeitet.“

Der Rest erkannte schließlich, dass die Leute, die im Raum standen, keine echten Menschen waren, sondern eigentlich nur Puppen aus Papier. Die Köpfe und Körper der Puppen waren in feinster Handarbeit gefertigt worden, und hatten die gleiche Größe wie die von echten Menschen. Es gab Männer, Frauen und sogar Kinder. Alle Männer waren 'Niedrige Schläger', hergestellt mit großen, robusten Körpern und wütenden Gesichtsausdrücken. Alle Frauen waren richtige Schönheiten, mit Haaren, die zu einzelnen oder doppelten Knoten hochgesteckt waren. Auch wenn sie mit einer leger wirkenden Art von Papierkleidung bedeckt waren, konnte man doch ihre anmutige Haltung sehen. Die Muster auf der Kleidung waren fast feiner als die von echter Brokatkleidung - einige waren mit reichhaltiger, anschaulicher Tinte gefärbt; andere waren ungefärbt, in einem Aschgrau zurückgelassen. Auf den Wangen jeder Puppe befanden sich zwei gerötete Striche, um den rosigen Teint eines lebenden Menschen vorzutäuschen. Allerdings hatte keiner von ihnen farbige Pupillen - die Augen waren noch völlig weiß. Je verwegener die Errötung war, desto düsterer schauten sie.

Es gab noch einen weiteren Tisch im Raum. Auf dem Tisch standen ein paar Kerzenhalter, alle in jeweils unterschiedlichen Längen zueinander. Wei WuXian zündete sie nacheinander an, und das gelbe Licht beleuchtete die meisten Ecken des Hauses. Neben den Papierpuppen gab es auch zwei Gebinde auf beiden Seiten des Raumes. Papiergold, Geistergeld und Pagoden waren dort an der Wand entlang aufgetürmt worden.

Jin Ling hatte sein Schwert bereits leicht herausgezogen. Als er sah, dass es nur ein Laden war, der Grabbeigaben verkaufte, seufzte er mit dezenter Erleichterung und steckte sein Schwert wieder ein. In der Kultivierungswelt, auch wenn ein Kultivierender starb, beschäftigte sich niemand mit den unheimlichen, chaotischen Trauerfeierlichkeiten der gewöhnlichen Leute. Da sie so etwas noch nie zuvor gesehen hatten, sprießte nach der anfänglichen Angst die Neugierde aus ihren Herzen. Mit einer Haut, die mit Gänsehaut überzogen war, spürten sie, dass es hier noch aufregender war als auf einer Nachtjagd nach gewöhnlichen Monstern.

Egal wie dicht der Nebel war, er konnte nicht in die Häuser sickern. Seitdem sie in die Stadt Yi gekommen waren, war dies der erste Augenblick, in dem sie sich gegenseitig in die Gesichter sehen konnten, was ihre Gedanken etwas ausruhen ließ. Wei WuXian sah, dass sie sich entspannt hatten, und fragte die alte Frau erneut, „Wäre es möglich, dass wir uns Ihre Küche leihen?“

Die alte Frau starrte die Lampe so intensiv an, als ob sie die Anwesenheit von Licht nicht mögen würde, „Die Küche ist im hinteren Teil. Benutzen Sie sie, wie Sie wollen.“

Nach ihren Worten wich sie in einen anderen Raum aus, als ob sie der Pest ausweichen würde. Sie schlug die Tür so laut zu, dass einige wenige sogar erzitterten. Jin Ling rief aus: „Mit der Hexe stimmt definitiv etwas nicht! Du....“

Wei WuXian antwortete: „Okay. Ruhe. Ich brauche jemanden, der mir hilft. Irgendwelche Freiwilligen?“

Lan SiZhui beeilte sich zu sagen, „Ich kann mitkommen.“

Lan JingYi stand noch immer so gerade da wie ein Stock, „Was soll ich dann tun?“

Wei WuXian, „Bleib genau da stehen. Beweg dich nicht, wenn ich es dir nicht sage.“

Lan SiZhui folgte Wei WuXian in die Küche im hinteren Teil des Hauses. Sobald sie hineingegangen waren, wurden sie fast von einem üblen Gestank überwältigt. Lan SiZhui hatte noch nie einen so schrecklichen Geruch gerochen. Obwohl sich sein Kopf drehte, gelang es ihm, sich selbst davon abzuhalten, wieder nach draußen zu eilen. Jin Ling war ihnen ebenfalls gefolgt, sprang aber sofort nach seinem Eintritt wieder nach draußen. Er fächelte in der Luft herum so schnell er konnte: „Was in aller Welt soll das? Was machst du hier, anstatt dir etwas auszudenken, wie wir die anderen heilen können?!“

Wei WuXian, „Hmm? Perfektes Timing. Woher wusstest du, dass ich dich rufen würde? Hilf mir mal.“

Jin Ling, „Ich bin nicht hier, um zu helfen! Urgh! Hat hier jemand jemanden getötet, aber dann vergessen, ihn zu begraben?“

Wei WuXian, „Junge Herrin Jin, kommst du oder nicht? Wenn du kommst, dann komm rein und hilf; wenn du nicht kommst, dann geh zurück und sag jemand anderem, er soll herkommen.“

Jin Ling wurde wütend: „Wen nennst du hier junge Herrin Jin? Sei vorsichtig, mit dem was du sagst!“

Er kniff sich in seine Nase, diskutierte mit sich selbst, ob er bleiben oder gehen sollte, und schließlich brummte er: „Nun, ich will sehen, was um alles in der Welt du hier versuchst zu tun.“

Damit stürmte er hinein. Doch er hatte nicht erwartet, dass Wei WuXian mit einem Knall eine Tür zu einer im Boden eingelassenen Truhe öffnete, aus der der Gestank gekommen war. In dieser Truhe befand sich Schinken und zerlegtes Huhn. Grüne Flecken waren auf dem ehemals roten Fleisch zu sehen, während sich weiße, gepunktete Maden in diesem Grün wanden.

Jin Ling war gezwungen, den Raum wieder zu verlassen. Wei WuXian zog die Truhe aus der Vertiefung und gab sie an ihn weiter, „Wirf es weg. Ist egal, wohin, solange wir es nicht riechen müssen.“

Mit einem aufgewühlten Bauch und einem Kopf voller Zweifel brachte Jin Ling die Truhe weg, so wie es ihm gesagt worden war. Er rieb sich anschließend heftig die Finger mit einem Taschentuch ab, dann warf er dieses auch weg. Nachdem er in die Küche zurückgekehrt war, sah er, das Wei WuXian und Lan SiZhui die Küche mit zwei Eimern Wasser putzten, die sie aus dem Brunnen im Hinterhof des Hauses geholt hatten. Jin Ling verlangte: „Was macht ihr da?“

Lan SiZhui wischte sorgfältig weiter: „Wie du sehen kannst, reinigen wir den Küchenherd.“

Jin Ling, „Wozu ist es gut, den Herd zu reinigen? Wir machen doch kein Essen oder so.“

Wei WuXian, „Wer hat dir denn das gesagt? Wir machen Essen. Du kannst den Staub wegfegen. Werde alle Spinnweben da oben los.“

Seine Worte klangen so natürlich, so sicher, dass Jin Ling plötzlich mit einem Besen in der Hand gehorchte und sich nach den Spinnweben streckte. Je mehr er sauber machte, desto mehr spürte er, dass etwas nicht stimmte. Als er schon gerade dabei war, den Staubwedel auf Wei WuXians Kopf zu werfen, öffnete Wei WuXian eine weitere Kiste, und erschreckte ihn damit so sehr, dass er schon wieder aus dem Raum flüchtete. Zum Glück gab es diesmal keinen Gestank. Die drei arbeiteten schnell. Nach kurzer Zeit sah die Küche ganz anders aus. Das Haus wirkte endlich etwas lebendiger, nicht mehr gespenstisch und längst verlassen. In einer Ecke gab es etwas bereits gehacktes Brennholz. Sie stapelten es in den Herd und entzündeten es mit einem Feuertalisman. Sie stellten einen großen Topf auf dem Herd ab, den sie zuvor ausgewaschen hatten und fingen an, darin Wasser zu kochen. Wei WuXian goss etwas klebrigen Reis aus einem Beutel aus seiner Tasche, wusch ihn und legte ihn dann in den Topf.

Jin Ling, „Du machst Reisbrei?“

Wei WuXian, „Uh-huh.“

Jin Ling warf das Reinigungstuch auf den Boden. Wei WuXian kommentierte: „Sieh dich an, wie sauer du bist, nur weil du ein bisschen gearbeitet hast? Und sieh dir SiZhui an. Er arbeitete am Härtesten von uns und hat bislang noch nicht einmal etwas gesagt. Was ist falsch an Reisbrei?“

Jin Ling, „Was ist nicht falsch an Reisbrei? Es ist so wässrig und geschmacklos! Warte.... Ich bin nicht sauer weil etwas mit dem Reisbrei nicht stimmt!“

Wei WuXian, „Es ist sowieso nicht für dich.“

Jin Ling war noch wütender: „Was hast du gesagt? Ich habe hier so lange gearbeitet, und ich kriege nicht einmal etwas davon?!“

Lan SiZhui, „Junger Meister Mo, liegt es daran, dass Reisbrei Leichenvergiftungen heilen kann?“

Wei WuXian lächelte: „Ja, genau, aber es ist nicht der Reisbrei, der die Leichenvergiftung heilen kann - es ist der Reis. Das ist Volksmedizin. Normalerweise trägt man den klebrigen Reis auf die zerkratzten oder gebissenen Körperteile auf. In Zukunft, wenn ihr euch jemals wieder in einer solchen Situation befindet, könnt ihr das ausprobieren. Obwohl es sehr wehtun wird, funktioniert es definitiv effizient. Aber da sie das Pulver verschluckt haben, anstatt gekratzt oder gebissen worden zu sein, können wir nur etwas Reisbrei machen, den sie aufessen müssen.“

Lan SiZhui kam zur Erkenntnis: „Deshalb wolltest du also in ein Haus, wo noch jemand drin ist. Nur ein Haus mit jemandem, der darin lebt, könnte eine Küche haben. Und nur in einer Küche könnte es klebrigen Reis geben.“

Jin Ling, „Wer weiß, wie lange dieser Reis hier schon gelegen hat? Kann man den überhaupt noch essen? Diese Küche wurde seit mindestens einem Jahr nicht mehr benutzt. Überall ist Staub und das Fleisch war sogar verfault. Sag mir nicht, dass die Hexe seit einem Jahr nichts gegessen hat. Es ist unmöglich, dass sie Inedia praktiziert. Wie hat sie also überlebt?“

Wei WuXian, „Entweder hier lebt wirklich niemand mehr und sie ist auch nicht diejenige, der dieses Geschäft gehört.... oder sie braucht ganz einfach nichts mehr zu essen.“

Lan SiZhui senkte seine Stimme: „Wenn sie nichts mehr essen muss, dann wäre sie tot. Aber die alte Frau atmet noch deutlich.“

Wei WuXian rührte mit einem Löffel lässig im Topf mit dem Reisbrei herum und mischte aus verschiedenen Flaschen und Gläsern noch die Zutaten rein, „Richtig. Du hast eben noch nicht zu Ende erzählt. Warum seid ihr zusammen in die Stadt Yi City gekommen? Es war kein Zufall, dass ihr euch zuerst getroffen habt und dann uns, oder?“

Der Ausdruck der Jungen wurde sofort ernst. Jin Ling antwortete: „Ich, die Jungs aus der Lan-Sekte, und die von den anderen Sekten, haben alle etwas verfolgt. Ich bin aus Richtung Qinghe gekommen.“

Lan SiZhui antwortete auch: „Wir kamen aus Richtung Langya.“

Wei WuXian, „Was war es?“

Lan SiZhui schüttelte den Kopf: „Wir wissen es nicht. Es hat uns nie sein Gesicht gezeigt. Wir wissen nicht einmal, wer oder was... oder welche Organisation es genau war.“

Seitdem Jin Ling vor ein paar Tagen, als er seinen Onkel angelogen und Wei WuXian gehen gelassen hatte, war er besorgt gewesen, dass Jiang Cheng ihm diesmal wirklich die Beine brechen würde, also hatte er beschlossen, sich fort zu schleichen und für ein paar Tage zu verschwinden, um nicht Jiang Cheng über den Weg zu laufen, bis dessen Zorn sich etwas gelegt hatte. Er hatte sofort die Flucht ergriffen, nachdem er Zidian an einem von Jiang Chengs Vertrauten übergeben hatte. Als er in einer Stadt an der Grenze des Qinghe-Gebietes angekommen war, machte er Rast. Auf der Suche nach dem Ort für seine nächste Nachtjagd kehrte er in einem großen Gasthaus ein. Nachts, während er versuchte sich Beschwörungsformeln in seinem Zimmer einzuprägen, fing Fee, die an seiner Seite lag, plötzlich an die Tür anzubellen. Es war bereits tief in der Nacht. Jin Ling befahl dem Hund, aufzuhören, als er hörte, wie jemand an die Tür klopfte.

Obwohl Fee aufhörte zu bellen, war er immer noch unruhig. Seine Krallen gruben sich in den Boden, während er tief knurrte. Bereits in Alarmbereitschaft fragte Jin Ling nach, wer vor der Tür sei. Es kam keine Antwort, also ignorierte er es und lernte weiter. Doch nach einer Stunde ertönte das Klopfen wieder. Jin Ling sprang zusammen mit Fee aus dem Fenster. Er umrundete das Gebäude und ging nach oben in den ersten Stock, um zu sehen, wer genau sich mitten in der Nacht mit ihm anlegen wollte.

Trotz seiner Bemühungen war niemand da. Er wartete noch eine Weile ganz still, sah aber trotzdem niemanden vor seiner Tür. Um das im Auge zu behalten ließ er Fee die Tür bewachen. Er war bereit, die Person jederzeit anzugreifen und blieb die ganze Nacht wach. Trotzdem passierte nichts. Da waren nur einige seltsame Geräusche zu hören, als ob irgendwo Wasser heruntertropfte.

Am nächsten Morgen erklang ein Schrei vor seiner Tür. Jin Ling riss die Tür auf, nur um in eine Blutlache zu treten. Etwas fiel vom oberen Türrahmen herab. Nach hinten ausweichend, konnte Jin
Ling gerade verhindern, dass es ihn traf. Es war eine schwarze Katze!

Jemand hatte vor nicht allzu langer Zeit die Leiche einer toten Katze über seine Tür genagelt. Das seltsame tropfende Geräusche, dass er die ganze Nacht über gehört hatte, war das von dem Blut der Katze, das herunter getropft war.

Jin Ling, „Es passierte immer wieder dasselbe, nachdem ich in ein paar verschiedene Gasthäuser gewechselt hatte, also ging ich in die Offensive. Wenn ich hörte, dass die Leiche einer Katze zufällig irgendwo auftauchte, dann wollte ich dort nachsehen, da ich einfach nur herausfinden wollte, wer diese makaberen Scherze trieb.“

Wei WuXian wandte sich an Lan SiZhui, „Bei euch auch?“

Lan SiZhui nickte: „Ja. Vor ein paar Tagen gingen einige von uns auf Nachtjagd in Langya. Während des Abendessen eines Tages fischten wir plötzlich den ungehäuteten Kopf einer Katze aus der Suppe heraus..... Am Anfang wussten wir nicht, ob sich das an uns richtete, aber in dieser Nacht, nachdem wir in ein anderes Gasthaus gewechselt hatten, fanden wir die Leiche einer Katze in unserer Bettwäsche. Es passierte immer wieder das Gleiche für ein paar Tage. Wir verfolgten diese Hinweise, kamen nach Yueyang und trafen auf den jungen Meister Jin. Wir fanden heraus, dass wir nach der gleichen Sache suchten, also beschlossen wir, zusammen zu arbeiten und sind erst heute in diesem Gebiet hier angekommen. Wir fragten einen Jäger im Dorf, der vor einer Steintafel stand, und uns wurde der Weg nach Yi gezeigt.“

Wei WuXian dachte bei sich selbst: Ein Jäger?

Die Junioren hätten das Dorf vor der Straßengabelung erst nach Lan WangJi und ihm passieren dürfen. Allerdings hatten sie zu diesem Zeitpunkt keine Jäger gesehen. Da waren nur diese verschüchterten Dorffrauen gewesen, die ihre Hühner gefüttert hatten, und die gesagt hatten, dass ihre Männer unterwegs seien, um Waren auszuliefern und für eine lange Zeit nicht zurückkommen würden.

Je mehr Wei WuXian darüber nachdachte, desto ausdrucksloser wurde sein Ausdruck. Von der Erzählung her tat ihre Opposition nichts anderes, als Katzen zu töten und deren Leichen auszulegen. Obwohl es sowohl beängstigend aussah und auch klang, wurden sie alle nicht wirklich verletzt. In der Tat, weckten diese Ereignisse ihre Neugierde, um der Sache auf den Grund gehen zu wollen.

Auch diese Junioren hatten sich in Yueyang getroffen. Wei WuXian und Lan WangJi waren auch über Yueyang nach Shudong gekommen. Es schien fast so, als hätte jemand absichtlich die verwirrten Junioren nach hier geführt, damit sie auf sie beide treffen konnten.

Ein paar verwirrte Junioren an einen gefährlichen Ort zu führen, um sie dort einer gewalttätigen wilden Leiche entgegenzustellen - war das nicht genau die gleiche Vorgehensweise wie das Ereignis im Dorf von Mo?

Und, das war nicht einmal der komplizierteste Teil von alldem. Was Wei WuXian im Moment am meisten fürchtete, war, dass... sich das Tiger Amulett ebenfalls in diesem Moment in der Stadt Yi befinden könnte.

Obwohl Wei WuXian diese Möglichkeit nicht wirklich akzeptieren wollte, war es dennoch die vernünftigste Erklärung. Schließlich gab es auch jemanden, der die Hälfte des Tiger-Amuletts wieder wiederherstellen konnte. Trotz des Gesprächs, mit dem er konfrontiert worden war, wer wusste da schon genau, wo das Siegel, dass wiederhergestellt worden war, hingekommen war?

Plötzlich hob Lan SiZhui, der sich auf den Boden gehockt hatte, um das Feuer weiterhin zu schüren, seine Hand, „Senior Mo, ich denke, dass der Reisbrei fertig ist?“

Er stoppte seine rasenden Gedanken und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Er packte die Schale, die Lan SiZhui ausgewaschen hatte und schmeckte mit einem Löffel den Reisbrei ab, „Es ist fertig. Nimm es herunter. Gib jedem, der vergiftet worden ist, davon eine Schüssel zu essen.“

Nachdem das Essen verteilt worden war hatte Lan JingYi nur einen Bissen davon genommen, bevor er es wieder ausspuckte, „Was ist das? Gift?!“

Wei WuXian, „Wie kann das denn Gift sein? Es ist das Heilmittel! Klebriger Reisbrei.“

Lan JingYi, „Zuerst einmal, ich weiß nicht, warum klebriger Reis ein Heilmittel sein könnte, aber ich habe auch noch nie zuvor eine so scharfe Schüssel Reisbrei gegessen!“

Der Rest der Jungen, die von ihren Portionen gekostet hatten, nickten unisono, und in ihrer aller Augen lagen Tränen. Wei WuXian strich über sein Kinn. Er war in Yunmeng aufgewachsen. Die Leute aus Yunmeng waren alle ziemlich würztolerant, aber Wei WuXians Vorliebe für Gewürze war jenseits von Gut und Böse. Jedes Mal, wenn er in der Küche ausgeholfen hatte, dann war das Essen so scharf gewesen, dass sogar Jiang Cheng seine Schüssel nur mit einem Fluch zerschlagen konnte.

Doch aus irgendeinem Grund hatte er sich nie zurückhalten können, Löffelchen um Löffelchen voll mit Gewürzen hinzu zu fügen. Es schien, dass er auch diesmal nicht in der Lage dazu gewesen war, seine Hände zu kontrollieren. Aus Neugierde nahm Lan SiZhui eine Schale und probierte einen Bissen. Selbst als sein Gesicht sich errötete und seine Augen sich zusammenzogen, kniff er seine Lippen zusammen und verzichtete darauf, es auszuspucken, wobei er dachte, Der Geschmack.... ist so beängstigend, dass er bei mir fast ein Gefühl von Déjà-vu hervorruft.

Wei WuXian, „Jede Medizin ist bis zu einem gewissen Grad giftig. Das Gewürz darin wird dich zum Schwitzen bringen, so dass es dir früher besser geht.“

Die awww-s, die von den Jungen kamen, offenbarten ihren Unglauben. Nichtsdestotrotz, mit angewiderten Gesichtern, aßen sie alle ihren Reisbrei auf. Innerhalb von Sekunden röteten sich alle ihre Gesichter und auf ihrer Stirn schimmerte es als würden sie unter Qualen leiden. Wei WuXian konnte nicht anders, als das zu kommentieren: „Es kann doch nicht so schlimm sein, oder? HanGuang-Jun kommt ebenfalls aus Gusu. Er verträgt meine Gewürze sehr gut, also warum seid ihr Jungs so?“

Lan SiZhui antwortete mit einer Hand, die seinen Mund bedeckte: „Nein, Senior. HanGuang-Juns Geschmack ist sehr mild. Er isst nie gewürztes...“

Wei WuXian hielt einen Moment inne, „Wirklich.“

Aber er konnte sich daran erinnern, dass er in seinem früheren Leben, noch bevor er die YunmengJiang-Sekte verraten hatte, sich einmal mit Lan WangJi in Yiling getroffen hatte. Zu dieser Zeit, obwohl Wei WuXian da schon weit und breit verunglimpft worden war, war es noch nicht so weit, dass ihn bereits jeder verprügeln wollte. Genau zu dieser Zeit, um Lan WangJi sein dickeres Gesicht zu zeigen, hatte er diesen zum Abendessen eingeladen, damit sie sich gemeinsam an vergangene Zeiten erinnern konnten. Alle Gerichte, die Lan WangJi da bestellt hatte, waren mit Sichuan-Paprika gewürzt gewesen, und so hatte er immer gedacht, dass Lan WangJis Geschmack für Gewürze so ziemlich derselbe wäre wie der seine.

Jetzt, wo er so darüber nachdachte, konnte er sich nicht mehr daran erinnern, ob Lan WangJi damals überhaupt seine Ess-Stäbchen zur Hand genommen hatte oder nicht. Andererseits vergaß er dort sogar, dass er gesagt hatte, dass das Essen auf ihn ginge, daher hatte Lan WangJi am Ende trotzdem für sie bezahlt. Deshalb war es nur natürlich, dass er solche Details vergessen hatte. Er wusste nicht, warum, aber plötzlich überkam ihn das Bedürfnis, dass er wirklich, wirklich sehr gerne Lan WangJis Gesicht sehen wollte.

„....Senior, Senior Mo!“

„Hmm?“ Wei WuXian riss sich schließlich zusammen.

Lan SiZhui flüsterte, „Die Tür der alten Frau.... hat sich geöffnet.“

Von irgendwoher kam eine unheimliche Windböe, die die Tür des Raumes leicht öffnete. Die Tür öffnete und schloss sich schaukelnd, enthüllte die vage Kontur eines gebückten Schattens, der an einem Tisch in tiefster Dunkelheit saß. Wei WuXian signalisierte, dass sie an Ort und Stelle bleiben sollten und ging allein in den Raum.

Das schwache Licht der Öllampe und der Kerzenhalter in der zentralen Kammer schien nach innen hinein. Die alte Frau saß mit tief hängendem Kopf da, als ob sie nicht bemerkte, dass jemand hereingekommen war. Ein Tuch lag auf ihren Knien, eng eingespannt in einem Stickrahmen, was darauf hindeutete, dass sie sich mit Handarbeit beschäftigte. Ihre beiden Hände lagen steif beieinander, während sie versuchte, einen Faden durch das Öhr einer Nadel zu führen.

Wei WuXian setzte sich zu ihr an den Tisch: „Werte Frau, warum zündest du dir nicht die Lampe an, wenn du eine Nadel einfädeln willst? Lass mich dir helfen.“

Er übernahm die Nadel und den Faden - der Faden ging sofort durch. Er gab es der alten Frau wieder, ging aus dem Raum heraus, als wäre nichts passiert und schloss die Tür hinter sich, „Es gibt keinen Grund, hineinzugehen.“

Jin Ling, „Als du da drinnen warst, hast du gesehen, ob die Hexe wirklich lebt oder nicht?“

Wei WuXian, „Nenn sie nicht eine Hexe. Das ist ziemlich unhöflich. Die alte Dame ist eine lebende Leiche.“

Die Jungen sahen sich an. Lan SiZhui fragte: „Was ist eine lebende Leiche?“

Wei WuXian, „Von Kopf bis Fuß scheint einem alles zu sagen, dass sie eine Leiche ist, aber der der Mensch lebt tatsächlich noch. Das ist es, was eine lebende Leiche ist.“

Jin Ling war schockiert: „Du willst uns sagen, dass sie noch am Leben ist?!“

Wei WuXian, „Hast du mal reingeschaut?“

„Ja.“

„Was hast du gesehen? Was hat sie gemacht?“

„Eine Nadel eingefädelt.“

„Hat das funktioniert?“

„... Nein.“

„Richtig. Sie ist nicht in der Lage, eine Nadel einzufädeln. Die Muskeln der Toten sind zu steif, um sie zu bewegen und um komplexe Aktionen wie das Einfädeln von Nadeln durchzuführen. Die Spuren auf ihrem Gesicht sind keine Altersflecken, sondern livor mortis. Und sie muss auch nicht essen. Nur die Tatsache, dass sie noch atmet, hält sie am Leben.“

Lan SiZhui, „A...Aber die alte Dame ist schon ziemlich alt. Viele alte Damen haben schlechtes Augenlicht und können keine Nadeln mehr selbst einfädeln.“

Wei WuXian, „Also habe ich ihr geholfen. Ist dir auch die andere Sache aufgefallen? Nach dem Öffnen der Tür bis jetzt hat sie nicht ein einziges Mal geblinzelt.“

Die Jungen blinzelten ein paar Mal. Wei WuXian fuhr fort: „Lebende Menschen blinzeln, um zu vermeiden, dass ihre Augen austrocknen. Tote hingegen brauchen das nicht zu tun. Und, als ich die Nadel und den Faden rüber nahm, hat da jemand bemerkt, wie sie mich ansah?“

Jin Ling, „Ihre Augäpfel haben sich nicht bewegt... aber ihr Kopf schon!“

Wei WuXian, „Genau. Wenn die meisten Menschen irgendwo hinschauen, bewegen sich ihre Augäpfel normalerweise, egal wie klein die Bewegung auch sein mag. Aber die Augen von Toten nicht. Das liegt daran, dass Tote keine so subtilen Aktionen durchführen können, wie zum Beispiel die Bewegung ihrer Augäpfel. Sie können stattdessen nur ihre Köpfe und Hälse drehen.“

Lan JingYi war verblüfft: „Sollen wir uns Notizen machen?“

Wei WuXian, „Das ist eine gute Angewohnheit, aber denkst du, du hast Zeit, in deinen Notizen nachzusehen, wenn du auf Nachtjagd bist? Behaltet es besser in Erinnerung.“

Jin Ling sprach mit zusammengebissenen Zähnen: „Wandelnde Leichen sind schon seltsam genug. Warum gibt es solche Dinge wie lebende Leichen?!“

Wei WuXian, „Es gibt viele Nachteile für tote Menschen: starre Muskeln, langsame Bewegungen, und so weiter. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Vorteilen: den Mangel an Angst vor Schmerzen, die Unfähigkeit zu denken, wie einfach sie zu kontrollieren sind. Jemand dachte, dass er die Nachteile von Leichen ausgleichen und perfekte Leichenpuppen erschaffen könnte. Das war der Grund, wie lebende Leichen entstanden sind.“

Obwohl die Jungen nichts gesagt hatten, war ihnen ein einziger Satz ins Gesicht geschrieben - „Diese Person muss Wei! Wu! Xian! Sein.“

Wei WuXian wusste nicht, ob er lachen oder sich schütteln sollte, daher dachte er schweigend, Aber ich habe so etwas wirklich nicht getan!

Obwohl, es klang wirklich sehr nach seiner Art, Dinge zu tun!

Er fuhr fort: „Ähm. In Ordnung. Wei WuXian hat damit angefangen. Aber er hat Wen Ning erfolgreich gemacht, oder auch den Geistergeneral. Um ehrlich zu sein, wollte ich schon immer mal fragen, wer genau sich diesen Titel ausgedacht hat? Der klingt so dämlich. Wie auch immer, es gab einige andere Leute, die ihn nachahmen wollten, aber nicht gut genug darin waren, also benutzten sie unangemessene Mittel. Sie zielten es auf lebende Menschen ab und entwickelten lebende Leichen daraus.“

Er schloss: „Also eine Art gescheiterter Nachahmungen.“

Als er Wei WuXians Namen hörte, erstarrte Jin Lings Gesicht zu Eis. Er schnaubte, „Wei Ying selbst benutzte unangemessene Mittel.“

Wei WuXian, „Ja. Aber dann benutzten die, die diese lebenden Leichen entwickelten, die unangemessensten aller unangemessensten Mittel!“

Lan SiZhui, „Senior Mo, was sollen wir jetzt tun?“

Wei WuXian, „Einige lebende Leichen wissen vielleicht gar nicht, dass sie bereits tot sind. Ich denke, dass dies bei der alten Dame der Fall ist und sie eine der verwirrten Leichen ist. Lasst sie uns vorerst nicht stören.“

Aus heiterem Himmel erklang eine Reihe von pochenden Geräuschen eines Bambusrohrs, das plötzlich auf den Boden klopfte.

Der Ton kam aus der Nähe eines der Fenster, das mit schwarzen Holzlatten verschlossen worden war. Alle Jünger in der zentralen Kammer wurden blass um ihre Nasen. Seitdem sie in dieser Stadt waren, wurden sie ständig von diesem Klang geplagt. Sie gerieten jetzt in Panik, wann immer sie es hörten. Wei WuXian deutete an, dass sie ruhig bleiben sollten. Sie alle hielten den Atem an, während sie Wei WuXian beobachteten, wie er zum Fenster ging und durch einen schmalen Schlitz zwischen zwei Latten nach draußen blickte.

Sobald Wei WuXian sich dem Schlitz näherte, konnte er eine weiße Fläche sehen. Er dachte, dass der Nebel draußen zu dicht wäre, als dass er etwas sehen könnte. Plötzlich jedoch, schien dieses Weiß schnell nach hinten auszuweichen. Er sah ein Paar weiße, hässliche Augen, die auf den Schlitz zwischen den Brettern starrten. Der weiße Bereich, den er gesehen hatte, war kein Nebel, sondern ein Paar pupillenloser Augen.









Informationen
Senior: Dies ist eine weitere ehrenvolle Anrede, die man auch als „senpai“ aus Japan kennt.
Lebende Leiche: In den vergangenen Kapiteln war immer nur von wandelnden Leichen die Rede. Nun werden jedoch diese in unterschiedliche Kategorien aufgeteilt und somit wird es nun „Lebende Leichen“ wie hier erklärt, aber auch weiterhin die „wandelnden Leichen“ geben.
Inedia: Eine esoterische Methode, bei der nach Vorstellung ihrer Anhänger der Mensch die lebensnotwendige Energie anstatt aus Nahrung und Wasser aus Licht bezieht (=Lichtnahrung)
Livor mortis: Livor mortis ist eine Ansiedlung des Blutes im abhängigen Teil des Körpers nach dem Tod, was zu einer violetten Rotfärbung der Haut führt (was bedeutet, dass die alte Dame mit dem Gesicht nach unten starb = als abhängiger Teil ihres Körpers) (Wikipedia).


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