Mittwoch, 21. August 2019

Kapitel 68

Kapitel 68

Kapitel 68: Zärtlichkeit – Teil Sechs
Auf Kreuzzug


Wei WuXian ließ den Esel unten am Berg zurück. Er stieg über die Reste der Mauer und ging den Bergpfad hinauf. Bald darauf sah er die Steinstatue eines kopflosen Tieres. Die Statue hatte ein Gewicht von mehreren Tausend Pfund. Sie hatte diesen Bergpfad seit vielen Jahren bewacht. Wilder Wein rankte sich an ihr empor und Moos sammelte sich in ihren Ausbuchtungen. Der Kopf des Tieres war von einer Axt abgeschlagen und in die Nähe geworfen worden. Als hätte jemand seine Macht demonstrieren wollen war sie in viele kleine Stücke zerschlagen worden. Der Schnitt war noch relativ neu und enthüllte das Weiße in ihrem Inneren. Nur ein wenig weiter war die nächsten Statue, die sie sahen, von Kopf bis Fuß in zwei Hälften gespalten worden.

Wei WuXian wusste sofort, dass dies die steinernen Tiere waren, die die Sekten auf die Akupunkturpunkte des Geländes gesetzt hatten, um den Berg nach seinem Tod zu bewachen. Die steinernen Tiere hatten eine exorzistische Wirkung. Sie erforderten viel Handwerk und waren ziemlich teuer in der Herstellung. Nun war es ziemlich wahrscheinlich, dass sie alle absichtlich zerstört worden waren. Es war wirklich eine Verschwendung.

Nebeneinander liefen Wei WuXian und Lan WangJi noch ein paar Schritte weiter. Als er versehentlich nach hinten blickte, sah er, dass Wen Ning bereits aufgetaucht war.

Er stand neben dem steinernen Tier, hatte den Kopf gesenkt und war bewegungslos. Wei WuXian fragte: „Wen Ning? Wo schaust du hin?“

Wen Ning zeigte auf den Sockel des steinernen Tieres. Das steinerne Tier stand auf einem kurzen, dicken Baumstamm. Neben dem Stamm befanden sich drei kleinere, kürzere Stämme. Sie schienen von Feuer verbrannt worden zu sein. Sie waren völlig schwarz und verkohlt.

Wen Ning kniete sich mit beiden Knien auf dem Boden. Seine Finger gruben sich tief in die Erde, griffen sich eine Handvoll des schwarzen Drecks und er ballte ihn in seiner Hand: „... Schwester.“

Wei WuXian wusste nicht, was er sagen sollte. Er ging hinüber und tätschelte seine Schulter. Während seines gesamten Lebens waren zwei Zeitabschnitte für Wei WuXian extrem schwer zu ertragen gewesen. Beide Male hatten sie hier stattgefunden. Er hatte nie vorgehabt, einen solchen Ort wieder aufzusuchen.

Für Wen Ning waren die Grabhügel noch mehr ein unvergesslicher Ort.

Ein kalter Windstoß wehte herüber. Die Baumkronen raschelten, als würden Zehntausende von dünnen Stimmen flüstern. Wei WuXian hörte aufmerksam zu. Er kniete sich mit einem Knie auf den Boden, bückte sich und murmelte etwas zu der Erde unter sich.

Plötzlich bildete sich auf deren Oberfläche ein Buckel. Als würde eine blasse Blume aus der schwarzen Erde sprießen, brach ein Skelettarm langsam durch den Dreck.

Der Teil des Skelettarms schwebte schwach in der Luft. Wei WuXian streckte die Hand aus und packte ihn. Er bückte sich noch tiefer. Sein langes Haar fiel von seiner Schulter und verdeckte die Hälfte seines Gesichts.

Er drückte seine Lippen gegen die Skeletthand und flüsterte etwas. Dann war er still, als würde er auf etwas hören. Eine Weile später nickte er leicht. Die Hand bildete wieder eine Blütenknospe und zog sich in den Boden zurück.

Wei WuXian stand auf und wischte sich den Dreck weg: „In den letzten Tagen hat man hier über hundert Menschen hergebracht. Sie befinden sich alle oben auf der Spitze des Hügels und sie leben alle noch. Die Leute, die sie hergebracht haben, haben den Berg bereits wieder verlassen. Ich weiß nicht, was sie vorhaben. Wir müssen auf jedem Fall vorsichtig sein.“

Die drei gingen weiter bergauf. Sie kamen an ein paar heruntergekommenen Hütten entlang des Bergpfads vorbei. Die Häuser variierten in der Größe. Die Struktur war einfach, sogar recht grob. Nur ein Blick, und es war offensichtlich, dass sie unüberlegt gebaut worden waren. Einige waren so heruntergebrannt, dass nur noch nackte Rahmen von ihnen übrig geblieben waren, während andere ganz in sich zusammengefallen waren. Die wenigen, die nur zur Hälfte zerstört waren, schienen noch die vollständigsten zu sein. Nach über zehn Jahren Regen und Wind, ohne dass sich jemand um sie gekümmert hatte, sahen sie alle aus, als wären sie sterbende Geister in zerfetzten Kleidern, die auf diejenigen schauten, die auf den Berg kamen.

Mit jedem Schritt mehr, den sie den Berg hinaufgegangen waren, waren Wen Nings Schritte schwerer geworden. Gerade jetzt, vor einem der Häuser stehend, konnte er nicht mehr weiterlaufen.

Dies war eines der Häuser gewesen, die er selbst gebaut hatte. Bevor er von hier fortgegangen war, war dieses Haus noch in Ordnung gewesen. Obwohl es nur grob zusammengezimmert worden war, so war es dennoch ein Ort gewesen, der Schutz vor dem Wetter bot, und dabei die Leute fest zusammenhielt, mit denen er vertraut gewesen war; die Leute, die er geschätzt und geliebt hatte.

In dem Spruch 'Die Dinge bleiben, aber die Menschen nicht', steckte zumindest noch im Satzteil 'die Dinge' ein wenig Wahrheit drin. Doch bei diesem Anblick und vor einer solchen Szene erinnerte ihn gar nichts mehr an die Menschen, die er vermisst hatte.

Wei WuXian, „Schau dir das alles nicht länger an.“

Wen Ning, „… ich wusste bereits vor langer Zeit, dass es dazu kommen würde. Ich wollte nur sehen, ob noch etwas übrig ist…“

Bevor seine Stimme ganz verblasste, schwankte plötzlich ein Schatten in einem der kaputten Häuser. Der Schatten stolperte nach draußen. Das halb verrottete Gesicht wurde von dem schwachen Tageslicht beleuchtet. Wei WuXian klatschte in die Hände. Die wandelnde Leiche schien dies jedoch überhaupt nicht zu bemerken und ging weiter auf sie zu. Wei WuXian ging ruhig zwei Schritte zurück, „Er wird vom Tiger-Amulett kontrolliert.“

Leichenpuppen, die sich bereits unter seiner eigenen Kontrolle befanden, würden nicht vom Tiger-Amulett kontrolliert werden können. Ebenso würden Leichenpuppen, die zuerst vom Tiger-Amulett befehligt worden waren, nicht auf seine Befehle hören. Die Regeln waren einfach: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Wen Ning schoss nach vorne. Mit einem Brüll riss er dem anderen den Kopf ab. Doch gleich darauf kamen weitere wandelnde Leichen von überall her. Aus dem dunklen Wald traten nach und nach etwa fünfzig Leichen hervor. Sie waren unterschiedlichen Geschlechts und Alter, aber die meisten von ihnen waren noch frisch und trugen noch ihre Begräbniskleider. Es waren wahrscheinlich die in vielen Regionen fehlenden Leichen.

Lan WangJi holte seine Guqin heraus. Mit einem Strich darüber flossen die Noten wie Wellen. Die Gruppe der Leichen, die sie gerade umzingelt hatte, kniete sich sofort zu einem Kreis zusammen. Mit beiden Händen hob Wen Ning einen männlichen Körper mit einem besonders großen Körperbau hoch und warf ihn weit weg. Seine Brust war von einem scharfen Ast durchbohrt worden, und obwohl er dagegen ankämpfte, blieb er an diesem Ast haften.

Wei WuXian rief: „Lasst euch nicht von ihnen aufhalten! Wir müssen den Berg weiter rauf!“

Er wusste nicht, wie viele Gruppen von wandelnden Leichen Jin GuangYao in den letzten Tagen mit dem Tiger-Amulett hierher beschworen hatte. Eine Angriffswelle folgte der nächsten. Die drei unterwarfen die Leichen, während sie den Berg hinauf hasteten. Je mehr sie sich der Spitze des Grabhügels näherten, desto dichter folgten die Angriffe der immer größer werdenden Leichengruppen. Die Noten der Zither hallten durch die Luft über den dunklen Wald hinweg, während die Krähen in alle Richtungen davonflogen. Fast zwei Stunden später hatten sie endlich einmal Zeit, zu verschnaufen.

Auf einer der zerstörten Steinbestien sitzend seufzte Wei WuXian, während er über sich selbst spottete: „Bislang war ich immer derjenige, der andere mit diesen Dingen hier beschäftigte. Doch nun bin schließlich ich es, der damit umgehen muss. Jetzt weiß ich wirklich, wie abstoßend das Tiger-Amulett ist. Ich an ihrer Stelle hätte die Person, die dieses verdammte Ding erschaffen hat, auch umbringen wollen.“

Lan WangJi steckte seine Guqin weg. Er zog ein Schwert aus seinen Ärmeln und reichte es ihm: „Um dich zu schützen.“

Wei WuXian übernahm es. Es war Suibian. Er hatte es an dem Tag, nachdem er die Melone geschnitten hatte, zur Seite geworfen. Lan WangJi hatte es daraufhin wieder weggesteckt. Er zog das Schwert aus der Scheide und starrte eine Weile auf die schneeweiße Klinge, bevor er es sofort wieder in die Hülle zurücksteckte und lächelte: „Danke.“

Er trug es an der Taille und es schien nicht so, als würde er es benutzen wollen. Als er sah, wie Lan WangJi ihn ansah, fummelte er nervös an seinen Haaren und erklärte: „Ich habe seit so vielen Jahren kein Schwert mehr benutzt. Ich bin es nicht mehr gewöhnt.“

Während er sprach, seufzte er erneut: „In Ordnung. Der wahre Grund ist, dass es meinem gegenwärtigen Körper an spiritueller Energie fehlt. Selbst wenn es sich um ein Schwert auf hohem Niveau handelt, kann ich es nicht optimal nutzen. Es liegt also an HanGuang-Jun, den zerbrechlichen Mann, der ich nun bin, zu schützen.“

Lan WangJi, „....“

Nachdem der gebrechliche Mann eine Weile gesessen hatte, stand er schließlich auf und stützte sich mit einer Hand auf seinem Knie ab. Die drei gingen weiter und sahen schließlich am Ende des Weges eine Höhle mit einer finsteren Öffnung.

Der Eingang der Höhle war in Höhe und Breite etwa fünfzig Fuß. Noch bevor sie in ihrer Nähe waren, spürten sie eine kalte Brise davon ausgehen. Sie konnten ganz verschwommen die Geräusche von menschlichen Stöhnen hören.

Dies war die legendäre Höhle, in der der YiLing-Patriarch Menschen zu seinen Leichen gemacht und die Taten vollbracht hatte, die selbst der Himmel nicht hatte ertragen können - die Dämonenschlachthöhle.

Die Decke der Höhle war weitläufig. Die drei hielten den Atem an und schlichen sich nach innen. Niemand machte ein Geräusch, aber die menschlichen Stimmen, die aus den Tiefen der Höhle kamen, wurden immer lauter. Wei WuXian kannte das Gelände der Höhle wie das Innere seine Qiankun-Beutels. Er ging weiter nach vorne. Irgendwann deutete er ihnen, dass sie anhalten sollten.

Der Hauptbereich der Höhle war nur noch eine Wand von ihnen entfernt. Durch die Löcher in der Wand konnten sie eine ausreichend große Fläche sehen, auf der sich genug Platz befand für rund tausend Menschen. In deren Mitte saßen gerade um die hundert. Sowohl ihre Hände als auch ihre Füße waren fest mit gottbindenden Seilen gefesselt. Die einhundert Menschen waren auch alle ziemlich jung. Nach der Farbe ihrer Roben und ihrer Schwerter zu urteilen, waren sie entweder hochrangige Schüler oder direkte Nachkommen aus ihren jeweiligen Clans.

Wei WuXian tauschte einen Blick mit Lan WangJi aus. Bevor sie anfingen zu diskutieren, sprach plötzlich ein auf dem Boden sitzender Junge: „Meiner Meinung nach hättest du nicht nur einmal zustechen dürfen. Warum hast du ihm nicht gleich einfach die Kehle durchgeschnitten?“

Seine Stimme war nicht laut gewesen, aber die Höhle war ziemlich leer. Daher vibrierten die Echos, sobald jemand sprach. Und selbst wenn man nicht zuhören wollte, so konnte man seine Worte klar verstehen. Sobald dieser Junge gesprochen hatte, glaubte Wei WuXian, dass er ihm irgendwie vertraut aussah und auch klang. Er erinnerte sich erst nach einer Weile wieder. War das nicht derjenige, der am Karpfenturm mit Jin Ling gekämpft hatte, Jin Chan?

Und daher sah er wieder genauer hin - wer sonst könnte der Junge mit kaltem Gesichtsausdruck, der neben diesem Schüler saß, sein, wenn nicht Jin Ling?

Jin Ling sah ihn nicht einmal an und blieb stumm. Lautes Grollen kam aus dem Bauch eines Jungen neben ihm: „Sie sind schon vor so vielen Tagen gegangen. Was wollen sie nur erreichen? Wenn sie uns hätten töten wollen, dann hätten sie es doch einfach tun können. Ich würde lieber von einem Monster auf einer Nachtjagd gefressen werden, als hier zu verhungern!“

Der Junge brummelte immer weiter und weiter vor sich hin. Es war Lan JingYi. Jin Chan sprach: „Was könnte er schon mit uns vorhaben? Er wird auf jeden Fall das tun, was er schon mit diesen Wen-Hunden während der Sunshot-Kampagne gemacht hat, und uns zu seinen Leichenpuppen machen und uns dann gegen unsere Familie einsetzen, damit sie nicht angreifen können und seine Feinde so untereinander kämpfen können.“

Seine Kiefermuskeln krampften sich und die Zähne knirschten, „Dieser schmutzige, unmenschliche Wei-Hund!“

Plötzlich sprach Jin Ling mit eisiger Stimme: „Halt endlich deine Klappe!“

Jin Chan war schockiert: „Du willst, dass ich die Klappe halte? Was meinst du damit?“

Jin Ling: „Was ich damit meine? Bist du taub oder bist du dumm? Verstehst du die menschliche Sprache nicht? Halt die Klappe, bedeutet, dass du aufhören sollst, so viel Lärm zu machen!“

Da sie schon eine lange Zeit gefesselt waren, war Jin Chan schon länger sehr mürrisch. Er war wütend: „Warum solltest du mir sagen dürfen, dass ich die Klappe halten soll?!“

Jin Ling: „Was bringt es dir, die ganze Zeit so viel Müll zu reden? Glaubst du, dass die Seile davon reißen werden, wenn du damit weitermachst? Es ist nur nervig.“

„Du!!!!“

Eine weitere junge Stimme unterbrach sie: „Jetzt sitzen wir hier fest und keiner von uns weiß, wann die wandelnden Leichen von diesem Berg hier hinein stürmen werden und ihr habt selbst jetzt unter solchen Umständen nichts anderes zu tun, als zu streiten?“

Diese ruhige Stimme war Lan SiZhuis. Jin Chan protestierte: „Er ist zuerst ausgeflippt! Was denn...ihr dürft ihm Namen geben, aber wir anderen Leute nicht ?! Jin Ling, hah, wer glaubst du, wer du bist? Du denkst, weil LianFang-Zun der Hauptkultivator ist, dann bist du es auch? Ich werde nicht die Klappe halten. Ich denke du…“

Mit einem Schlag wurde Jin Chans Kopf plötzlich geschlagen. Jin Chan schrie vor Schmerz auf. Er fluchte: „Du willst kämpfen? Das kannst du haben! Ich bin sowieso gerade in der Stimmung dafür. Du Sohn eines Niemands!“

Als Jin Ling dies hörte, wurde er noch unaufhaltsamer. Er war zwar gefesselt und konnte seine Arme nicht bewegen, also benutzte er seine Ellbogen und Knie und schlug damit so hart zu, dass der andere vor Schmerzen aufschrie. Trotzdem war er allein und Jin Chan hatte immer eine Gruppe von Leuten um sich.

Als die Jungen sahen, dass er benachteiligt war, schrien sie alle auf: „Lass mich dir helfen!“

Alle drängten sich zu ihm.


Lan SiZhui saß in der Nähe. Er konnte nicht anders, als sich in ihren Kampf hineinziehen zu lassen. Zunächst gelang es ihm, sie alle mit einem „beruhigt euch, beruhigen" zu überzeugen, aber nachdem er ein paar Ellbogen abbekommen hatte, kniff er seine Augenbrauen vor Schmerzen zusammen und sein Gesicht verdunkelte sich.

Am Ende mischte er sich nach einem Schrei auch in die Schlägerei mit ein.

Die drei draußen konnten sich das nicht mehr länger mitansehen. Wei WuXian sprang zuerst auf die Treppe zum Inneren der Höhle. „Hey! Alle mal herschauen!“

Sein Ruf hallte fast donnernd in der leeren Höhle wider. Die verwirrten Jungen schauten auf. Lan SiZhui sah eine bekannte Gestalt neben ihm und strahlte: „HanGuang-Jun!“

Lan JingYi rief noch lauter: „HanGuang-Jun ahhhhhhhhh!“

Jin Chan hatte Angst, „Worüber freust du dich denn da so? Sie sind ... Sie sind auf der gleichen Seite!“

Wei WuXian trat in die Höhle ein. Er zog Suibian heraus und warf es beiläufig nach hinten. Ein Schatten schoss hervor und ergriff das Schwert. Es war Wen Ning. Die Jünger fingen wieder an zu schreien: „Der G-G-G-Geistergeneral!“

Wen Ning hob Suibian an und schwang es in Richtung Jin Ling hinab. Jin Ling biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Er fühlte sich jedoch auf einmal viel befreiter. Die gottbindenden Seile waren durch Suibians Schwertblick auseinander geschnitten worden. Daraufhin ging Wen Ning in der Höhle herum und zerschnitt alle gottbindenden Seile. Die Jünger, die er befreit hatte, konnten weder laufen noch still sitzen. Im Innern dieser Höhle befanden sich der YiLing Patriarch, der Geistergeneral und der Verräter der rechtschaffenen Seite HanGuang-Jun, während es draußen unzählige wandelnde Leichen gab, die darauf warteten, gefüttert zu werden. Doch für Lan SiZhui war nun alles bestens: „Senior Mo…oh... Senior Wei. Bist du hier, um uns zu retten? Du warst doch ganz bestimmt nicht derjenige, der diese Leute dazu brachte, uns hierher zu bringen, oder?“

Obwohl es eine Frage war, war sein Gesicht voll von Vertrauen und Freude. Wei WuXian fühlte wie sein Herz warm wurde. Er ging in die Hocke und rieb Lan SiZhuis Kopf. Er zerzauste die Haare, die in den letzten Tagen irgendwie ordentlich geblieben waren: „Ich? Es ist nicht so, dass du nicht genau weißt, wie pleite ich bin. Wie hätte ich da genug Geld zusammen bekommen können, um Leute dafür einzustellen?“

Lan SiZhui nickte eilig: „Ja. Ich wusste es! Ich weiß, das Senior Wei wirklich sehr pleite bist!“

„....“

Wei WuXian, „Guter Junge. Wie viele Leute haben sie? Haben sie hier einen Hinterhalt geplant?“

JingYi schüttelte die Seile von sich ab und versuchte zu antworten: „Sie haben eine Menge Leute! Alle hatten schwarzen Nebel um ihre Gesichter, sodass wir nicht sehen konnten, wer sie waren. Sie haben nichts getan, nachdem sie uns hierher gebracht haben, als ob es ihnen egal wäre, ob wir tot sind oder noch leben. Oh, oh, oh, und draußen gibt es viele Leichen! Sie heulen die ganze Zeit!“

Bichen hatte sich selbst herausgezogen und einige der gottbindenden Seile zerschnitten. Lan WangJi steckte nun sofort sein Schwert in die Scheide zurück und wandte sich an Lan SiZhui: „Gut gemacht.“

Er deutete damit an, dass Lan SiZhui es gut gemacht hatte, dass er in dieser Situation seine Gelassenheit beibehalten und an sie geglaubt hatte. Lan SiZhui eilte zu ihm und stand mit geradem Rücken direkt vor Lan WangJi. Bevor er die Gelegenheit hatte zu lächeln, grinste Wei WuXian: „Ja, gut gemacht, SiZhui, du weißt jetzt auch wie man einen Haken austeilt.“

Die Wangen von Lan SiZhui wurden sofort rot, „D-das war ... ich habe aus dem Impuls heraus gehandelt ...“

Plötzlich spürte Wei WuXian, wie sich ihnen jemand näherte. Er drehte sich um und sah Jin Ling mit immer noch tauben Gliedern hinter ihnen stehen. Lan WangJi stand sofort vor Wei WuXian, während Lan SiZhui vor Lan WangJi stand und vorsichtig fragte: „Junger Meister Jin?“

Wei WuXian trat hinter den beiden hervor: „Was macht ihr da? Es ist, als würdet ihr eine menschliche Pyramide bauen wollen.“

Jin Lings Gesicht sah ziemlich seltsam aus. Seine Handflächen lockerten und ballten sich abwechselt zu Fäusten. Es war, als wollte er etwas sagen, konnte sich aber nicht dazu durchringen, seinen Mund zu öffnen. Er konnte nur mit seinen Augen auf die Stelle auf Wei WuXians Bauch schauen, an der er ihn mit seinem Schwert gestochen hatte. Lan JingYi schien tief erschüttert zu sein: „D-d-du! Du willst ihn doch jetzt nicht wieder erstechen, oder?“

Jin Lings Gesicht erstarrte. Lan SiZhui beeilte sich, „JingYi!“

Mit JingYi auf seiner linken und SiZhui auf seiner rechten Seite schlang Wei WuXian seine Arme um die beiden Kinder. „Okay, wir sollten von hier verschwinden.“

Lan SiZhui, „Ja!“

Die anderen Jungen standen immer noch zusammengekauert in einer Ecke und wagten es nicht, sich zu bewegen. Lan JingYi, „Wollt ihr nicht gehen? Möchtet ihr lieber noch länger hier bleiben?“

Einer der Jungen streckte sich aus der Menge heraus: „Draußen gibt es so viele wandelnde Leichen. Wollt ihr etwa, dass wir alle rausgehen.... um unseren Tod zu finden?!“

Wen Ning, „Junger Meister, ich werde nach draußen gehen und sie für euch verjagen!“

Wei WuXian nickte. Wie ein Windstoß fegte Wen Ning sofort nach draußen. Lan SiZhui sprach: „Die gottbindenden Seile wurden bereits gelöst. Im schlimmsten Fall könnten wir uns gemeinsam durchkämpfen. Wenn ihr jetzt nicht geht, was ist dann, wenn die Leichen das Innere der Höhle stürmen, wenn wir weg sind? Würdet ihr dann in dieser Höhle nicht wie auf dem Präsentierteller festsitzen?“

Nachdem er fertig war, ergriff er Lan JingYis Hand. Zusammen mit ein paar Junioren der Lan-Sekte folgten die beiden Wen Ning. Der Rest der Jungen starrte sich an. Kurz darauf sprach einer der Jungen: „SiZhui-xiong, warte auf mich!“

Er folgte ihm und ging ebenfalls. Dieser Junge war der kleine Gefühlvolle, der Papiergeld verbrannt und in der Stadt Yi um A-Qing geweint hatte. Die anderen nannten ihn ZiZhen. Er schien das einzige Kind des Clans der BalingOuYang-Sekte zu sein. Bald folgten auch einige der anderen Jungen, alles bekannte Gesichter aus dem Vorfall in der Stadt Yi. Der Rest der Jungen hatte gezögert. Aber als sie sich umschauten, sahen sie Wei WuXian und Lan WangJi, die sie anstarrten. Sie fühlten sich nervös, egal welcher der beiden sie anstarrte, und sie konnten nur um sie herumgehen und ebenfalls gehen, wobei sie alle am Hinterkopf ein Prickeln verspürten. Der letzte war Jin Ling.

Als die Gruppe der Jungen, dicht aneinander gedrängt ziehend und schiebend am Eingang der Höhle ankamen, wurde plötzlich ein dunkler Schatten an ihnen vorbei geworfen, der eine tiefe, menschlich geformte Delle in der Wand verursachte.

Staub und Steine regneten auf sie nieder. Die Schreie einiger Junioren kamen von vorne, „Der Geistergeneral!“

Wei WuXian, „Wen Ning? Was ist passiert?!“

Wen Ning schnaufte: „.. nichts.“

Er fiel aus der Delle heraus, stand auf und befestigte den abgerissenen Arm ruhig und routiniert wieder an seinem Körper. Als Wei WuXian genauer hinsah, entdeckte er einen jungen Mann komplett in Lila gekleidet vor der Höhle stehen mit hängenden Armen. Zidian zischte und funkelte in seiner Hand. Dies war die Peitsche, die Wen Ning in die Höhle hineingeworfen hatte.

Jiang Cheng.


Deshalb hatte Wen Ning nicht die Absicht, anzugreifen.

Jin Ling, „Onkel!“

Jiang Cheng befahl kalt: „Jin Ling, komm her.“

Aus dem dunklen Wald hinter ihm erschien langsam eine Gruppe von Kultivierenden verschiedenster Sekten, die alle verschiedenfarbige Uniformen trugen. Die Gruppe wurde immer größer und größer. Hätte er schätzen müssen, so würde er ihre Zahl auf über zweitausend vermuten, die sich wie eine dunkle Decke um die gesamte Höhle legte. Diese Kultivierenden, einschließlich Jiang Cheng, sahen alle aus, als hätten sie in Blut gebadet, ihre Gesichter wirkten müde. Alle Jungen stürmten aus der Höhle und riefen: „Vater!“ „Mutter!“ „Bruder!“

Sie wurden alle von der Menge aufgenommen und umarmt. Jin Ling sah nach links und rechts, als hätte er sich noch nicht für eine Richtung entschieden. Jiang Chengs Stimme war hart: „Jin Ling, warum bist du so langsam? Weshalb zögerst du noch? Willst du hier sterben?!“

Lan QiRen stand an der Spitze der Menge. Er schien um Jahre gealtert zu sein. An seinen Schläfen waren nun sogar weiße Strähnen sichtbar. Er rief, „WangJi!“

Lan WangJis antwortete leise: „Onkel.“

Aber er stellte sich immer noch nicht an seine Seite.

Lan QiRen verstand mehr als jeder andere. Dies war Lan WangJis Antwort, unumstößlich fest und entschlossen. Mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck schüttelte er den Kopf. Er versuchte nicht, ihn weiter zu überzeugen.

Eine Frau in weißen Roben trat vor, ihre Augen waren mit Tränen erfüllt: „HanGuang-Jun, was ist nur los mit dir? Du ... Du bist nicht mehr du selbst. In der Vergangenheit konntest du den YiLing-Patriarchen nicht einmal ertragen. Welche Technik hat Wei WuXian angewendet, um dich so zu betören, damit du auf der gegenüberliegenden Seite stehst?“

Lan WangJi achtete nicht auf sie. Nachdem sie keine Antwort erhalten hatte, konnte die Frau nur mitleidig hinzufügen: „Wenn dem so ist, dann bist du des Namens unwürdig.“

Wei WuXian, „Ihr seid also alle wieder da.“

Jiang Chengs Stimme klang kalt: „Natürlich sind wir es.“

Su She hatte seine siebensaitige Zither auf dem Rücken. Er stand auch inmitten der Menge, sein Ton klang nicht besorgt: „Wenn der YiLing-Patriarch nicht so offensichtlich Leichen ausgegraben und Menschen gefangen genommen hätte, als wäre er beinahe darüber besorgt, dass ihn die Welt nicht ausreichend genug willkommen geheißen hätte, dann hätte ich auch niemals vermutet, dass wir dein Versteck so bald wieder aufsuchen müssten.“

Wei WuXian: „Ich habe diese Jünger eindeutig gerettet. Warum dankt ihr mir nicht anstatt mich hier zu beschuldigen?“

Nicht wenige Leute kicherten. Einige riefen sogar direkt 'Und der Dieb nennt einen anderen einen Dieb'. Wei WuXian wusste, dass alle seine Argumente nutzlos sein würden. Er hatte es auch nicht eilig. Mit einem leichten Lächeln sagte er: „Aber eure Anzahl sieht diesmal irgendwie nicht so vollzählig aus. Diesmal scheinen zwei wichtige Personen zu fehlen. Erlaubt mir die Frage, warum LianFang-Zun und ZeWu-Jun nicht zu einer so großen Veranstaltung kommen konnten?“

Su She spottete: „Hah, gestern wurde LianFang-Zun von einer unbekannten Person im Karpfenturm angegriffen. Er wurde schwer verletzt. ZeWu-Jun ist immer noch darum bemüht, ihn zu heilen. Warum fragst du, obwohl du das schon längst wusstest?“

Als er hörte, dass Jin GuangYao 'schwer verletzt' sei, erinnerte sich Wei WuXian plötzlich an seine Meisterleistung, als er vorgeblich Selbstmord begangen hatte, während er sich an Nie MingJue angeschlichen hatte. Er konnte es nicht zurückhalten und ihm entkam ein 'Pfft'. Su Shes Augenbraue hob sich, „Worüber lachst du?“

Wei WuXian, „Nichts. Ich habe gerade nur darüber nachgedacht, dass LianFang-Zun ziemlich oft verletzt wird.“

In diesem Moment sprach eine kleine, leise Stimme plötzlich: „Papa, ich habe das Gefühl, dass er es wirklich nicht getan hat. Letztes Mal in der Stadt Yi hat er uns auch gerettet. Diesmal scheint er auch hier zu sein, um uns zu retten…“

Er folgte der Stimme. Die Person, die gesprochen hatte, war OuYang ZiZhen. Der Vater schimpfte jedoch sofort seinen Sohn: „Kinder sollten nicht so unvorsichtig sprechen! Weißt du denn nicht, in welcher Situation wir uns hier befinden? Weißt du denn nicht, wer das da ist?!“

Wei WuXian wandte seinen Blick von ihnen ab und sagte ruhig: „Jetzt verstehe ich.“

Er hatte von Anfang an gewusst, dass, egal was er sagte, niemand auf ihn hören würde. Was er leugnete, konnte er gezwungen werden; was er zugab, konnte verdreht werden.

Lan WangJi hatte ursprünglich ziemlich viel Gewicht mit seinen Worten. Aber jetzt, da er bei ihm war, war er höchstwahrscheinlich auch ein Ziel dieser Leute geworden. Er hatte gedacht, mit wenigstens Lan XiChen unter den hier anwesenden Sekten könnten sie eine Weile darüber diskutieren, aber Lan XiChen und Jin GuangYao waren nicht einmal anwesend.

Damals, während der ersten Belagerung der Grabhügel, hatte Jin GuangShan die LanlingJin-Sekte angeführt, während Jiang Cheng die YunmengJiang-Sekte geleitet hatte. Lan QiRen führte die GusuLan-Sekte an, während Nie MingJue die QingheNie-Sekte anführte. Die ersten beiden waren die Hauptkräfte gewesen, die letzten beiden hätten ohne weiteres Zutun gehen können. Nun war der Anführer der LanlingJin-Sekte nicht einmal mitgekommen und hatte den Leuten der GusuLan-Sekte nur Jünger zum Kommando mitgeschickt. Die GusuLan-Sekte wurde immer noch von Lan QiRen geführt. Nie HuaiSang ersetzte die Position seines Bruders, doch er schien in der Menge vollkommen unterzugehen. Sein Gesicht war immer noch voll mit „Ich weiß nichts“, „Ich möchte nichts tun“ und „Ich bin nur hier damit es nach mehr Leuten ausschaut.“

Nur Jiang Cheng war hier immer noch derjenige, der von feindlicher Energie umgeben war und ihm hinterlistig in sein Gesicht starrte.

Aber…

Wei WuXian sah leicht zur Seite. Er sah Lan WangJi, der neben ihm stand, ohne einen Anflug von Zögern oder den Gedanken, sich zurückzuziehen.

Aber diesmal war er nicht mehr alleine.

Unter den hungrigen Augen tausender Kultivierender konnte ein Mann mittleren Alters es schließlich nicht mehr aushalten. Er sprang heraus und rief: „Wei WuXian! Erinnerst du dich noch an mich?“

Wei WuXian antwortete ehrlich: „Nein.“

Der Kultivierende im mittleren Alter lachte kalt: „Du erinnerst dich nicht, aber mein Bein tut es!“

Er hob den Saum seines Gewandes an und enthüllte eine Beinprothese aus Holz: „Dieses Bein von mir wurde in dieser Nacht in der Nachtlosen Stadt von dir zerstört. Ich zeige dir das, damit du verstehst, dass es unter den Menschen in dieser Belagerung jetzt auch die Kraft von mir gibt, Yi WeiChun. Mit Hilfe des Karmas ist es nie zu spät für Rache!“

Als wäre er von ihm inspiriert worden, trat nun auch ein jüngerer Kultivator hervor. Seine Stimme war klar: „Wei WuXian, ich werde dich nicht fragen, ob du dich an mich erinnerst oder nicht. Meine beiden Eltern sind durch deine Hände gestorben. Du schuldest uns zu viele Leben. Du wirst dich definitiv auch nicht an sie erinnern. Aber ich, Fang MengChen, werde nie vergessen! Und ich werde dir niemals vergeben!“

Unmittelbar danach trat eine dritte Person vor. Es war ein Kultivator der Künste mittleren Alters, schlank mit leuchtenden Augen. Dieses Mal fragte Wei WuXian zuerst: „Bin ich Schuld daran, dass du ein Körperteil verloren hast?“

Der Mann schüttelte den Kopf. Wei WuXian fragte noch einmal: „Habe ich deine Eltern getötet oder deine ganze Sekte zerstört?“

Der Mann schüttelte wieder den Kopf. Wei WuXian überlegte: „Warum bist du dann hierher gekommen?“

Der Mann sprach: „Ich habe keinen Grund, mich an dir zu rächen. Ich bin nur hier, um gegen dich zu kämpfen, damit du verstehst - als jemand, der sich der Welt widersetzt – dass man dafür bestraft werden muss. Egal, welche billigen Methoden du angewandt hast, egal wie oft du noch aus deinem Grab gekrabbelt kommst, wir schicken dich wieder da rein. Und das alles aus einem Grund: 'Gerechtigkeit'!“

Als sie dies hörten, jubelten ihm alle zu und ihre Stimmen donnerten: „Sektenführer Yao, gut gesprochen!“

Sektenführer Yao wich mit einem Lächeln im Gesicht zurück. Nachdem sie ermutigt worden waren, standen die anderen nacheinander auf und erklärten lautstark ihre Entschlossenheit.

„Im Kampf am Qiongqi Pfad wurde mein Sohn von deinem Hund Wen Ning zu Tode erdrosselt!“

„Mein Shixiong starb durch Gift, sein ganzer Körper eiterte wegen deines grausamen Fluches!“

„Nicht umsonst, sondern um zu beweisen, dass es auf dieser Welt immer noch Gerechtigkeit gibt, wird das Böse von uns nicht toleriert werden!“

„Es gibt immer noch Gerechtigkeit auf dieser Welt, das Böse wird hier nicht geduldet!“

Jedes Gesicht kochte mit heißem Blut, jedes Wort wurde schuldlos ausgesprochen, jeder Mensch heroisch, leidenschaftlich, voller Empörung und Stolz.

Jeder glaubte ohne Zweifel daran, dass das, was sie hier taten, eine Ritterlichkeit, eine Beurkundung ihrer Ehre war.

Dieser Augenblick würde in die Geschichte eingehen und das Lob von Millionen erhalten. Es war ein Kreuzzug der 'Gerechten' gegen den leibhaftigen 'Ungerechten'!









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