Mittwoch, 21. August 2019

Kapitel 64

Kapitel 64

Kapitel 64: Zärtlichkeit – Teil Zwei
Finstere Melodie

Wei WuXian nahm seine Flöte und spielte einen Abschnitt nach dieser Partitur. Wie erwartet, waren die beiden Teile dieser Melodie getrennt worden. Die Hälfte der Partitur auf der ersten Seite war überhaupt nicht dasselbe Lied wie auf der zweiten Seite.

Zwischen diesen beiden Seiten sollte eine weitere Seite liegen. Sie war herausgerissen worden, vorsichtig, heimlich.

Die Person hatte die Seite mit viel Sorgfalt entfernt. Es gab keine einzige Spur mehr von dieser Seite, was es schwierig machte, entdeckt zu werden. Wei WuXian drehte das Buch um. Auf dem dunkelblauen Cover befand sich ein Titel mit drei großen Schriftzeichen.

Wei WuXian, „Die Sammlung der Unruhe? Was für ein Buch ist das? Die Lieder darin klingen irgendwie etwas seltsam.“

Lan WangJi, „Es ist eine Liedersammlung von Dongying.“

Wei WuXian, „Von Dongying? Deshalb klingt die Melodie so anders als die von hier drüben.“

Lan XiChens Ausdruck war komplex, „... Legendär ist ‚Die Sammlung der Unruhe‘, eine Sammlung dunkler Lieder, die von einem der Kultivierenden der GusuLan-Sekte während seiner Wanderjahre gesammelt wurden, als er über das große Wasser reiste und nach Dongying kam. Die Lieder in diesem Buch, wenn sie zusammen mit spiritueller Energie gespielt werden, sind in der Lage, anderen zu schaden, von der Schwächung des Körpers über die Irritation des Geistes bis hin zur Erregung des Geistes bis hin zur Abschaltung der Sinne.... Diejenigen mit großer spiritueller Kraft könnten mit nur sieben Noten das Leben anderer nehmen.“

Wei WuXian schlug auf die Schreibtischplatte: „Das ist es!“

Er war so glücklich, dass er, als er auf den Schreibtisch geschlagen hatte, fast die Papierlaterne umgestoßen hätte. Lan WangJi fing sie gerade noch rechtzeitig ab. Wei WuXian sprach: „Sektenführer Lan, innerhalb der ‚Sammlung der Unruhe‘, gibt es da etwas, das die Gelassenheit einer Person stören könnte und sie irritiert, aufgeregt, gewalttätig, leicht gefährdet macht?“

Lan XiChen, „... Es sollte so sein.“

Wei WuXian, „Die spirituelle Energie von Jin GuangYao ist nicht besonders hoch. Mit nur sieben Noten hätte er nicht das Leben von jemandem nehmen können. Und ihn so zu töten, wäre zu offensichtlich gewesen. Er hätte definitiv nicht ein so kraftvolles Lied ausgewählt. Aber, wenn er den Grund, das 'Lied der Klarheit' für ChiFeng-Zun zu spielen, dazu ausnutzen könnte, um angeblich sein Temperament zu beruhigen und es drei Monate lang weiterspielen würde, dann würde das Lied dazu in der Lage sein, als langsames Gift zu wirken und den Ausbruch von ChiFeng-Zun zu katalysieren?!“

Lan XiChen, „... Ja.“

Wei WuXian, „Dann wäre die Spekulation sehr vernünftig. Die herausgerissene Partitur, die nicht Teil von 'Reinigung' war, gehörte zu einer fehlenden Seite innerhalb der ‚Sammlung der Unruhe‘. Alle Dongying-Lieder, die in die ‚Sammlung der Unruhe‘ aufgenommen wurden, sind komplex und schwer zu beherrschen. Er hatte keine Zeit, sie hier im verbotenen Raum zu kopieren und konnte sie nur herausreißen - nein, das ist so nicht richtig. Jin GuangYao ist in der Lage, etwas nur einmal anzusehen und es dann nie wieder zu vergessen. Er riss die Seite nicht aus, weil er sie sich nicht merken konnte, sondern weil es dann keinen Beweis dafür geben würde, das sie weg ist. Um für sich selbst sicherzustellen, dass selbst wenn es eines Tages alles ans Licht käme, oder er auf frischer Tat ertappt werden würde, niemand die Quelle dieser Melodie finden könnte. Alles, was er getan hat, war mit äußerster Vorsicht. Vor dir spielte er eindeutig die richtige Version von 'Reinigung' im 'Lied der Klarheit'. ChiFeng-Zun war kein leidenschaftlicher Kunstliebhaber. Er hatte dir zugehört, Sektenführer Lan, wie du 'Reinigung' zuvor gespielt hast und kannte daher die gesamte Melodie. So wagte es Jin GuangYao nicht, ihm das dunkle Lied vorzuspielen, sondern gab sich die Mühe, zwei Lieder verschiedener Stile mit unterschiedlichen Verwendungszwecken zu kombinieren. Und er hat sie so gut kombiniert. Sie klingen, als wäre es das Gleiche. Sein musikalisches Talent ist in der Tat ausgezeichnet. Ich vermute, dass er in den Reinigungsabschnitten wenig spirituelle Kraft benutzte und nur in den Teilen der ‚Sammlung der Unruhe‘ Kraft ausübte. Schließlich war ChiFeng-Zun mit dieser Kultivierungsmethode nicht vertraut, so dass er natürlich nicht erkennen würde, dass Jin GuangYao bereits einen der Abschnitte in eine dunkle, lebensverneinende Melodie umgewandelt hatte!“

Nach einer Weile der Stille flüsterte Lan XiChen, „.... Obwohl er die Wolken-Schluchten schon oft besucht hat.… habe ich ihm nie von der verbotenen Kammer im Bibliothekspavillon der Lan-Sekte erzählt.“

Wei WuXian, „Sektenführer Lan, entschuldigt meine Dreistigkeit, aber während der 'Sunshot-Kampagne' war Jin GuangYao ein Spion in der 'Nachtlosen Stadt' der QishanWen-Sekte, und er war ein sehr guter Spion. Er konnte sogar Wen RuoHans geheime Kammer finden, sich hineinschleichen, ohne dass es jemand bemerkt hat, sich alle Karten und Schriftrollen merken und alle Informationen auswendig lernen, bevor er sie an den Karpfenturm schickte. Für ihn ist der verbotene Raum des Bibliothekspavillons der Lan-Sekte.... wirklich kein Hindernis.“

Lan XiChen nahm das Blatt Papier mit der Partitur in seine Hände. Er starrte es eine Weile lang an: „Ich werde einen Weg finden, diese Partitur zu testen.“

Lan WangJi, „Bruder?“

Lan XiChen, „Als Bruder starb, war die Belagerung des Grabhügels bereits vorbei und der junge Meister Wei war nicht mehr auf dieser Welt. Wenn dieser Teil der Partitur nach den Versuchen wirklich in der Lage ist, den Geist zu stören und er sich nicht wieder versöhnen lässt, dann werde ich....“

Wei WuXian, „ZeWu-Jun, das Lied an einem lebenden Menschen auszuprobieren, könnte den Sektenregeln der GusuLan-Sekte widersprechen.“

Lan XiChen, „Ich werde es an mir selbst versuchen.“

Wie er als Sektenführer der GusuLan-Sekte so etwas fast Lächerliches sagen konnte, bedeutete, dass sein Herz bereits vollkommen verwirrt war. Lan WangJi erhob seine Stimme leicht, „Bruder!“

Lan XiChen stützte seinen Kopf mit der Hand ab. Seine Stimme war leise, als ob er versuchte, etwas zurückzuhalten, „WangJi, die Version von Jin GuangYao, die ich kenne, ist völlig anders als die Version, die du kennst und die Version, die die Welt kennt! In all den Jahren, in meinen Augen, war er immer.... er ertrug seine Leiden, er kümmerte sich um alle Menschen, er behandelte jeden mit Respekt. Ich habe immer, ohne Zweifel, geglaubt, dass die Kritik, die er von anderen erhalten hat, alle auf Missverständnissen beruhen, dass das, was ich über ihn wusste, die Wirklichkeit ist. Nun willst du, dass ich sofort glaube, dass alles an dieser Person gelogen ist, dass er einen seiner geschworenen Brüder töten wollte, dass ich auch Teil seines Plans war und ihm sogar dabei geholfen habe... Könntest du mir bitte etwas mehr Diskretion gewähren, bevor ich mein eigenes Urteil fälle?“

Lan XiChen hatte Jin GuangYao das 'Lied der Klarheit' beigebracht, wobei er den Groll zwischen Jin GuangYao und Nie MingJue im Hinterkopf hatte, in der Hoffnung, dass sie so sein könnten, wie sie einmal gewesen waren. Er bat Jin GuangYao, Nie MingJue anstelle von ihm zu beruhigen. Wer hätte gedacht, dass seine Freundlichkeit die Grausamkeit von Jin GuangYao erst ermöglicht hatte? Wie sollte er sich da selbst noch im Spiegel ansehen können?

Keiner der drei sagte etwas. Nachdem sie den Bibliothekspavillon verlassen hatten, sprach Lan WangJi schließlich: „Ich werde zu Onkel gehen.“

Lan XiChen, der lange Zeit still gewesen war, sprach ebenfalls: „Ich werde den jungen Meister Wei zurückbringen. Du kannst danach kommen.“

Während er Wei WuXian den Weg wies, ging er eine Weile lang die weißen Pfade der Wolken-Schluchten entlang, bevor sie zu dem abgelegenen, mit Enzian umwachsenen Haus in den Tiefen der Berge zurückkehrten. Wei WuXian stand vor der Tür: „Weiß Meister Lan, dass HanGuang-Jun....“

Lan XiChen, „Onkel ist gerade erst aufgewacht. Ich sagte allen, sie sollten ihm nichts Unnötiges sagen.“

Wenn Lan QiRen von den Dingen wüsste, die Lan WangJi mit ihm zusammen im Karpfenturm gemacht hatte, dann wäre er definitiv so wütend, dass er gleich nach dem Aufwachen wieder ohnmächtig werden würde. Wei WuXian, „Vielen Dank an Meister Lan für die ganze Arbeit, die er geleistet hat.“

Lan XiChen, „Onkel hat in der Tat eine Menge Arbeit geleistet.“

Plötzlich sprach er: „Junger Meister Wei, weißt du, weshalb hier dieses Haus ist?“

Wei WuXian, „ZeWu-Jun, warum denkst du, dass ich es weiß?“

Lan XiChen blickte ihn an: „Hier lebte meine Mutter damals in den Wolken-Schluchten.“

Lan XiChens Mutter war auch Lan WangJis Mutter. Wei WuXian fand das etwas seltsam. Die Residenzen aller Sektenführer der GusuLan-Sekte waren die ‚Hanshi‘ gewesen, die definitiv nicht so ein kleines Haus waren, das in einer Ecke der Wolken-Schluchten versteckt war. Vielleicht waren Lan WangJis Eltern in einer ungeeigneten, aber vorbereiteten Ehe wie Jiang FengMian und Herrin Yu gewesen und lebten so getrennt voneinander?

Egal wie man darüber nachdachte, es konnte keinen positiven Grund dafür geben, dass ein Sektenführer nicht mit seiner Frau zusammenlebte. Und es wurde gesagt, dass die Frau des früheren Sektenführers QingHeng-Jun körperlich ziemlich schwach gewesen war. Sie ruhte sich die meiste Zeit aus und es war unpassend für sie, andere zu treffen. Die Leute wussten von Anfang an nicht viel über sie. Hinter ihrem Rücken ahnten alle Sekten, dass diese ‚Krankheit‘ etwas Schändliches war wie eine Narbe im Gesicht oder eine Behinderung. Und so fragte Wei WuXian nicht zu viel danach und blieb still und wartete auf die Erklärung von Lan XiChen.

Lan XiChen, „Junger Meister Wei, du solltest wissen, dass mein Vater normalerweise in der Abgeschiedenheit meditierte und nie zu oft mit dem Rest der Welt interagierte. Während all dieser Jahre wurde die GusuLan-Sekte fast allein von meinem Onkel betreut.“

Wei WuXian, „Das weiß ich doch.“

Lan XiChen ließ seine Hand sinken. Die Hand, mit der er Liebing hielt, war in seinem Ärmel versteckt. Er sprach langsam: „Der Grund, warum mein Vater oft zurückgezogene Meditation praktizierte, war meine Mutter. Dieser Ort, verglichen mit einem Ort des Lebens.... war für sie eher ein Ort der Inhaftierung.“

Wei WuXian war überrascht.

Der Vater von ZeWu-Jun und HanGuang-Jun, QingHeng-Jun, war früher ein berühmter Kultivierender gewesen. Er hatte sich schon in jungen Jahren einen Namen gemacht und man hatte ihm eine große Zukunft prophezeit. Im Alter von zwanzig Jahren zog er sich jedoch plötzlich zurück und kündigte seine Heirat an. Er hatte auch aufgehört, sich um einen Großteil des Weltgeschehens zu kümmern. Obwohl es als zurückgezogene Meditation bezeichnet wurde, war es viel eher wie der Ruhestand. Die Leute hatten viele mögliche Gründe dafür gefunden, aber keiner von ihnen war bestätigt worden.

Lan XiChen beugte sich inmitten der Büschel von Enzianen nach unten. Er streichelte sanft die dünnen, zarten Blütenblätter: „Als mein Vater jung war, kam er einmal von einer Nachtjagd zurück, und sah meine Mutter außerhalb der Stadt Gusu.“

Er lächelte: „Ich hörte, dass es Liebe auf den ersten Blick gewesen war.“

Wei WuXian grinste auch: „Die Jungend ist da oft sentimental.“

Lan XiChen fuhr fort: „Die Frau mochte ihn jedoch nicht so sehr. Außerdem hatte sie einen der Lehrer meines Vaters getötet.“

Das war unvorstellbar. Obwohl Wei WuXian wusste, dass es nun unhöflich wäre, zu viele Fragen zu stellen, so hatte er das Gefühl, da es sich um Lan WangJis Eltern handelte, dass er fragen musste, „Warum?“

Lan XiChen, „Ich weiß es nicht. Aber ich nehme an, dass es etwas im Sinne von ‚Beanstandungen‘ war.“

Wei WuXian fragte nicht mehr danach und zwang seine Neugierde zurück: „Und... was geschah später?“

„Und dann“, erklärte Lan XiChen, „als mein Vater davon erfuhr, litt er besonders stark darunter. Aber, egal wie sehr er gegen den Widerspruch in sich ankämpfte, so brachte er die Frau immer wieder heimlich zu seiner Sekte. Er ignorierte die Einwände seines Clans, kniete mit ihr für Himmel und die Erde nieder, ohne es groß zu verkünden, und sagte allen im Clan, dass sie für den Rest seines Lebens seine Frau sein würde, dass jeder, der ihr etwas antun wollte, zuerst an ihm vorbei müsste.“

Wei WuXian Augen wurden groß.

Lan XiChen fuhr fort: „Nachdem die Zeremonie abgeschlossen war, fand mein Vater ein Haus und schloss meine Mutter darin ein. Er fand ein anderes Haus und schloss sich darin ein. Es hieß abgeschiedene Meditation, aber es war in Wahrheit nichts anderes als Buße zu tun.“

Er hielt inne, bevor er wieder sprach: „Junger Meister Wei, kannst du verstehen, warum er so etwas getan hat?“

Wei WuXian antwortete nach einer Schweigeminute: „Er konnte weder demjenigen vergeben, der seinen Lehrer getötet hatte, noch dem Tod der Frau zusehen, die er liebte. Er konnte sie nur heiraten, um ihr Leben zu schützen und sich dann zwingen, sie nicht zu sehen.“

Lan XiChen, „Glaubst du, dass das richtig war?“

Wei WuXian, „Ich weiß nicht.“

Lan XiChen sah etwas verloren aus: „Was wäre dann deiner Meinung nach richtig gewesen?“

Wei WuXian, „Ich weiß nicht.“

Wenig später flüsterte Lan XiChen: „Man könnte sagen, dass mein Vater dies ohne Rücksicht auf etwas anderes tat. Alle älteren Menschen des Clans waren wütend, aber sie alle hatten ihn beim Aufwachsen beobachtet. Sie konnten nichts anderes tun, als das Geheimnis zu bewahren, die Außenwelt darauf hinzuweisen, dass die Frau des Sektenführers der GusuLan-Sekte eine unsägliche Krankheit hatte und keine anderen sie sehen konnten. Nachdem WangJi und ich geboren wurden, wurden wir sofort von ihr weggenommen, um von anderen Menschen betreut zu werden. Als wir älter wurden, wurden wir zu Onkel gebracht, um unterrichtet zu werden. Mein Onkel.... hatte von Anfang an eine ehrliche Persönlichkeit. Weil meine Mutter meinen Vater dazu gebracht hatte, sein eigenes Leben zu zerstören, begann er diejenigen zu hassen, die sich noch mehr unangemessen verhielten. So widmete er sein Herz in die Lehren von WangJi und mir. Er war auch besonders hart zu uns. Jeden Monat konnten wir Mutter nur einmal sehen, in diesem Haus.“

Es waren zwei kleine Kinder, die jeden Tag nur ihrem harten Onkel, strengen Lehren und Bergen von Büchern gegenüberstanden. Egal wie müde sie auch waren, sie mussten ihren weichen Rücken aufrichten, um die herausragendsten Schüler des Clans zu werden, die Musterschüler in den Augen anderer. Sie konnten ihre engsten Verwandten nur selten sehen. Sie konnten nicht in den Armen ihres Vaters herumalbern, sie konnten sich vor ihrer Mutter nicht verzogen verhalten.

Aber sie hatten eindeutig nichts falsch gemacht.

Lan XiChen, „Jedes Mal, wenn WangJi und ich sie besuchten, hatte sie sich nie darüber beschwert, wie mühsam es sei, hier drin eingesperrt zu sein, und nicht in der Lage zu sein, einen Schritt hinauszugehen. Sie hatte uns auch nie nach unserem Studium gefragt. Sie mochte es besonders, WangJi zu necken, aber WangJi, je mehr man ihn neckt, desto weniger ist er bereit zu reden, desto schlimmer wird sein Ausdruck. So ist er schon seit seiner Jugend. Aber“, kicherte er, „obwohl WangJi es nie gesagt hat, so wusste ich, dass er sich jeden Monat auf den Tag freute, an dem er Mutter sehen konnte. Er war so, und ich war genauso.“

Wei WuXian stellte sich einen jungen Lan WangJi vor, der von den Armen seiner Mutter umarmt wurde, seine schneeweißen kleinen Wangen zeigten eine zartrosa Färbung. Er lachte auch. Aber bevor sein Lächeln überhaupt abgeklungen war, fuhr Lan XiChen fort: „Aber eines Tages sagte uns Onkel plötzlich, dass wir nicht mehr hingehen müssten. Mutter sei gegangen.“

Wei WuXians Stimme war leise: „Wie alt war Lan Zhan damals?“

Lan XiChen, „Sechs.“

Er fuhr fort: „Er war noch zu jung, um zu verstehen, was ‚gegangen‘ bedeutet. Egal, wie sehr andere ihn trösteten, wie sehr Onkel ihn schimpfte, er kam jeden Monat hierher zurück, setzte sich in den Gang und wartete darauf, dass jemand die Tür für ihn öffnete. Als er älter wurde, verstand er, dass Mutter nicht mehr zurückkommen würde, dass niemand die Tür für ihn öffnen würde, aber er kam immer wieder hierher.“

Lan XiChen stand auf. Seine dunklen Augen sahen genau in Wei WuXians Augen: „WangJi ist schon seit seiner Jugend so stur.“

Die Blätter raschelten und die Enzianblüten schwangen entlang des Windes, ihr Duft verweilte. Wei WuXians Blick landete auf dem Holzflur des Hauses. Er konnte fast sehen, wie ein kleines Kind mit einem Stirnband vor dem Haus in richtiger Haltung saß und leise darauf wartete, dass sich die Tür öffnete.

Er sagte: „Herrin Lan muss eine sehr sanfte Frau gewesen sein.“

Lan XiChen, „In meinen Erinnerungen war Mutter tatsächlich so. Ich weiß nicht, warum sie damals so etwas getan hat. Und in Wahrheit, ich....“

Er holte tief Luft, bevor er gestand: „Ich will es auch nicht wissen.“


Nach einigen Momenten der Stille schloss Lan XiChen seine Augen. Er holte Liebing heraus. Ein nächtlicher Windstoß schickte plötzlich eine schluchzende Note des Xiao aus. Der Klang war tief, wie ein Seufzer.

Wei WuXian hatte Lan XiChen schon einmal Liebing spielen hören. Sein Klang war genau wie Lan XiChen selbst, so warm und anmutig wie die Brise und der Regen des Frühlings. Doch jetzt, obwohl seine Technik so hervorragend war wie eh und je, rief der Ton eine seltsame Mischung von Gefühlen in ihm hervor.

Der nächtliche Wind zog vorbei. Lan XiChens Haar und Stirnband waren bereits etwas zerzaust. Der Sektenführer der GusuLan-Sekte, der das Aussehen immer sehr geschätzt hatte, schenkte dem jedoch keine Beachtung. Erst nach dem Ende des Liedes legte er Liebing wieder hin: „Musik ist nachts in den Wolken-Schluchten verboten. Heute bin ich viel zu weit gegangen. Es tut mir leid, junger Meister Wei.“

Wei WuXian, „Warum? ZeWu-Jun, hast du vergessen, dass die Person, die hier vor dir steht, die Person ist, die die meisten Regeln hier gebrochen hat....“

Lan XiChen lächelte: „Die GusuLan-Sekte hat der Außenwelt noch nie etwas über WangJis und meiner Vergangenheit offenbart. Ich hätte es dir nicht sagen sollen. Heute Abend war mein plötzlicher Drang, mich zu entlasten wohl ein Impuls des Augenblicks.“

Wei WuXian, „Ich bin nicht die Art von Person, die zu viel redet. Keine Sorge, ZeWu-Jun.“

Lan XiChen, „Trotzdem würde ich annehmen, dass WangJi nichts vor dir verbergen würde.“

Wei WuXian, „Wenn er nicht über etwas reden will, dann werde ich ihn auch nicht fragen.“

Lan XiChen, „Aber, bei WangJis Persönlichkeit, wie könnte er dir da etwas sagen, wenn du ihn nicht fragst? Es gibt einige Dinge, die er nicht sagen würde, selbst wenn man ihn fragt.“

Wei WuXian wollte weitersprechen, als er hörte, wie Schritte von hinten kamen. Er drehte sich um, um zu sehen, wie sich ihnen Lan WangJi im Mondlicht näherte. Seine rechte Hand hielt zwei runde Schnapskrüge mit roten Deckeln. Wei WuXians Augen leuchteten auf: „HanGuang-Jun, du bist wirklich rücksichtsvoll!“






Information
Dongying: Das bezieht sich auf Japan. In Wuxia-Novels wird so das Inselreich im Meer bezeichnet.

die Himmel und die Erde: Das Knien vor dem Himmel und der Erde ist das letzte der drei knienden Rituale während einer chinesischen Trauung.



3 Kommentare:

  1. oi und jetzt hab ich tatsächlich Tränen in den Augen

    lg.Lilli

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  2. Du bretterst ja echt durch... sorry, dass ich gerade kaum bis gar nicht reagieren kann...bin mitten im Umzug und hab erst in 9 Tagen wieder Internet (muss sparsam mit meinen Smartphone GBs sein...auch ne Flat ist nicht unendlich). Aber es freut mich total, dass dir meine Übersetzung so gut gefällt :-D! Da weiß ich immer, dass sich die viele und lange Arbeit doch gelohnt hat.

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  3. Ich habe vor 2 Tagen das Drama beendet und dann direkt mit deiner Übersetzung angefangen. Großartig das du das alles für uns übersetzt hast :3
    Ich weine mindestens einmal bei jedem Kapitel Q.Q

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