Mittwoch, 17. Juli 2019

Kapitel 41

Kapitel 41


Kapitel 41: Gras – Teil Neun
Abschaum Yang regt den Zorn des Himmels
und der Menschen an

Xiao XingChens Lächeln gefror augenblicklich. Die Worte 'Xue Yang' allein waren ein zu großer Schock für ihn. Sein Teint war schon immer ziemlich blass gewesen, aber nachdem er den Namen gehört hatte, floss ihm das ganze Blut aus dem Gesicht. Seine Lippen waren nun fast in einem Farbton von einem rosa angehauchten Weiß. Als ob er sich nicht sicher wäre, fragte Xiao XingChen mit leiser Stimme, „.... Xue Yang?“


Doch plötzlich begann er erschrocken: „A-Qing, woher hast du von diesem Namen erfahren?“

A-Qing, „Xue Yang ist der Mensch, der bei uns lebt! Er ist dieser Bastard!“

Xiao XingChen stammelte vor Verwirrung: „Der Mensch bei uns? .... Die Person bei uns....“

Er schüttelte den Kopf, als ob ihm etwas schwindelig wäre: „Woher weißt du das?“

A-Qing, „Ich habe gehört, wie er jemanden getötet hat!“

Xiao XingChen, „Er hat jemanden getötet? Wen hat er getötet?“

A-Qing, „Eine Frau! Sie war sehr jung. Ich glaube, sie hatte ein Schwert dabei. Xue Yang hatte auch ein Schwert bei sich versteckt. Es war, weil ich sie kämpfen gehört habe. Sie waren dabei wirklich sehr laut. Die Frau nannte ihn immer wieder 'Xue Yang' und sagte, dass er 'den Tempel ausgelöscht' habe, dass er unzählige Menschen getötet habe, und dass er zu Recht bestraft werden sollte. Oh Himmel, er ist nicht mehr klar bei Verstand! Er hat sich die ganze Zeit bei uns versteckt, und ich weiß nicht einmal, was er eigentlich vor hat!“

A-Qing war die ganze Nacht wach geblieben und hatte Lügen in ihrem Kopf erfunden. Denn sie konnte Daozhang definitiv nicht wissen lassen, dass er lebende Menschen getötet hatte, weil er gedacht hatte, es seien wandelnde Leichen. Sie konnte ihn auch nicht wissen lassen, dass er Song Lan mit seinen eigenen Händen getötet hatte. Auch wenn es Daozhang gegenüber unfair war, so konnte sie ihm nichts von Daozhang Songs Tod erzählen, egal was auch sein möge. Das Beste wäre, wenn Xiao XingChen so weit weglaufen würde, wie er nur konnte, nachdem er nun wusste, wer Xue Yang wirklich war!

Doch die Nachricht war zu schwerwiegend für ihn, um sie zu akzeptieren. Und es klang auch ziemlich absurd. Xiao XingChen konnte es überhaupt nicht glauben: „Aber seine Stimme ist anders. Und....“

A-Qing war so frustriert, dass sie immer wieder mit ihrer Stange auf den Boden schlug: „Er hat das absichtlich so gemacht, dass seine Stimme anders ist! Er hatte Angst, dass du ihn sonst erkennst!“

Plötzlich kam ihr eine Idee: „Oh, richtig! Richtig, richtig! Er hat nur neun Finger. Daozhang, weißt du das? Hatte Xue Yang auch neun Finger? Du hast ihn definitiv schon mal gesehen, oder?“

Xiao XingChen taumelte und fiel fast zu Boden. A-Qing half ihm sofort zum Tisch, wo sie sich beide langsam hinsetzten. Nach einer Weile sprach Xiao XingChen wieder: „Aber, A-Qing, wie hast du herausgefunden, dass er nur neun Finger hat? Hast du seine Hand schon mal berührt? Wenn er wirklich Xue Yang ist, warum würde er sich dann an seiner linken Hand berühren lassen, wenn er dadurch entdeckt werden könnte?“

A-Qing biss ihre Zähne zusammen, „... Daozhang! Ich werde dir nun die Wahrheit sagen! Ich bin nicht blind. Ich kann sehen! Ich habe seine Hände nicht berührt, sondern ich habe sie stattdessen gesehen!“


Jeder Schock war größer als der Vorherige. Xiao XingChen war fast sprachlos, „Was hast du gesagt? Du kannst sehen?“

Obwohl A-Qing Angst hatte, konnte sie die Wahrheit nicht länger vor ihm verbergen. Sie entschuldigte sich und entschuldigte sich, „Es tut mir leid, Daozhang! Ich habe dich nicht absichtlich angelogen! Ich hatte Angst, dass wenn du die Wahrheit erfährst, dass ich nicht blind bin, dann würdest du mich verjagen! Aber bitte gib mir im Moment nicht die Schuld. Lass uns zusammen weglaufen. Er wird zurückkommen, nachdem er mit dem Einkaufen fertig ist!“

Plötzlich schloss sie ihren Mund. Die Verbände, die sich um Xiao XingChens Augen wickelten, waren zunächst weiß gewesen. Aber jetzt sickerten dort zwei Schlieren von Rot heraus. Das Blut wurde immer mehr und mehr und schließlich sickerte es durch die Verbände und lief von dort, wo seine Augen einst waren, nach unten.

A-Qing schrie: „Daozhang, du blutest!“

Xiao XingChen schien so, als hätte er es gerade erst bemerkt. Mit einem schwachen Ausruf hob er seine Hand hoch zu seinem Gesicht. Als er darüber strich, war sie mit Blut bedeckt. Mit zitternden Händen half ihm A-Qing, etwas davon wegzuwischen. Doch je mehr sie sich bemühte, desto mehr Blut wurde es. Xiao XingChen hob eine Hand, „Mir geht es gut.... Mach dir keine Sorgen.“

Eigentlich blutete seine Verletzung an den Augen nur, wenn er tiefgehende Gedanken oder Emotionen hatte, aber das war schon eine ganze Weile nicht mehr passiert. Wei WuXian hatte sogar geglaubt, dass es mittlerweile ganz verheilt war. Heute begann es jedoch erneut zu bluten. Xiao XingChen murmelte: „Aber.... Aber wenn er wirklich Xue Yang ist, warum war dann alles so? Warum hat er mich nicht am Anfang getötet und ist stattdessen sogar so viele Jahre an meiner Seite geblieben? Warum sollte das Xue Yang sein?“

A-Qing, „Natürlich wollte er dich am Anfang an töten! Ich habe da seine Augen gesehen. Sie waren gemeiner als gemein und beängstigender als beängstigend! Aber da er verletzt war und sich nicht bewegen konnte, brauchte er jemanden, der sich um ihn kümmerte! Ich kannte ihn nicht. Wenn ich das getan hätte und gewusst hätte, dass er ein skrupelloser Mörder ist, dann hätte ich ihn erstochen, als er da im Busch gelegen war! Daozhang, lass uns von hier weglaufen! In Ordnung?“

Doch in seinem Herzen seufzte Wei WuXian, Das ist nun unmöglich. Wenn sie es Xiao XingChen nicht erzählt hätte, dann hätte er so mit Xue Yang weiter zusammenleben können. Jetzt, da sie es Xiao XingChen gesagt hat, wird er auch nicht einfach so weglaufen. Er wird Xue Yang direkt zur Rede stellen. Daran führt kein Weg vorbei.

Wie er es erwartet hatte, sagte Xiao XingChen, nachdem er es geschafft hatte, sich zu beruhigen, zu A-Qing: „A-Qing, lauf weg.“

Seine Stimme war leicht heiser. A-Qing klang etwas verängstigt: „Ich? Daozhang, wir sollten zusammen weglaufen!“

Xiao XingChen schüttelte den Kopf, „Ich kann nicht von hier weggehen. Ich muss herausfinden, was genau er vorhat. Er hat definitiv ein Ziel und er hat in den letzten Jahren versucht, dieses Ziel zu erreichen, indem er so tat, als würde er vorgeben, jemand anderes zu sein, um an meiner Seite bleiben zu können. Wenn ich ihn hier allein lasse, befürchte ich, dass die Leute aus Yi in seine Hände fallen. Xue Yang war schon immer so.“

Diesmal waren A-Qings Schluchzer nicht mehr vorgetäuscht. Sie warf den Bambusstab zur Seite und warf sich festklammernd an Xiao XingChens Beine, „Ich? Daozhang, wie kann ich denn alleine gehen? Ich will bei dir bleiben. Wenn du nicht gehst, dann gehe ich auch nicht. Und wenn das Schlimmste eintrifft, dann werden wir gemeinsam von ihm getötet werden. Ich würde so einsam sein, dass ich sterben würde, wenn ich da draußen alleine umherlaufe. Ich weiß, dass du nicht willst, dass das passiert, also lass uns zusammen weglaufen!“

Leider, nachdem das Geheimnis, dass sie nicht blind war, enthüllt war, würde ihre Taktik, dies zu benutzen, um Sympathien zu gewinnen, nicht mehr funktionieren. Xiao XingChen antwortete: „A-Qing, du kannst sehen und du bist sehr clever. Ich vertraue darauf, dass du ein gutes Leben führen wirst. Du weißt nicht, wie beängstigend Xue Yang ist. Du kannst hier nicht bleiben. Du darfst auch nicht mehr in seine Nähe gehen.“

Wei WuXian konnte sogar A-Qing stumm schreien hören, Ich weiß es! Ich weiß, wie beängstigend er ist!

Aber sie konnte ihren Mund nicht öffnen und ihm die Wahrheit sagen. Plötzlich hörten sie draußen eine Reihe von Schritten. Xue Yang war wieder da!

Xiao XingChen blickte alarmiert auf und kehrte zu dem Grad an Schärfe in seinem Gesichtsausdruck zurück, den er immer hatte, wenn er auf Nachtjagd ging. Er zog A-Qing schnell zu sich heran und flüsterte: „Wenn er reinkommt, werde ich ihn beschäftigen, während du die Chance zur Flucht nutzt. Hörst du!“

A-Qing war so verängstigt, dass sie nur nicken konnte, während ihr immer noch Tränen aus ihren Augen flossen. Xue Yang trat gegen die Tür: „Was macht ihr da? Ich bin schon wieder zurück und ihr seid noch nicht einmal weg? Wenn ihr immer noch da drin seid, dann öffnet die Tür und lasst mich rein. Ich bin so müde.“

Vom Ton und der Stimme her würde jeder denken, dass er nur ein Junge von nebenan war, ein fröhlicher Shidi. Aber wer hätte gedacht, dass die Person, die dort draußen stand, ein Bösewicht war, der keinen Sinn für Moral hatte, ein Dämon, der nur die Fassade eines Menschen trug!

Obwohl die Tür nicht verschlossen war, so war sie von innen verriegelt. Wenn sie die Tür nicht bald öffnen würden, dann würde Xue Yang definitiv bald misstrauisch werden. Und dann, wenn er dann hereingekommen wäre, bestünde die Möglichkeit, dass er definitiv wachsamer sein würde. A-Qing wischte sich das Gesicht ab: „Wie kannst du müde sein?!! Es ist so eine kleine Entfernung von hier bis zum Markt, und du bist schon müde?! Ich war nur ein bisschen langsam, weil ich nicht wusste, was ich heute anziehen soll. Was geht dich das überhaupt an?!“

Xue Yang spottete: „So viel zum Anziehen hast du doch auch nicht. Egal, wie sehr du dich da bemühst, du wirst immer gleich aussehen. Komm, komm, mach die Tür auf.“

Selbst als A-Qings Beine wackelten, schnauzte sie immer noch mit einer starken Stimme: „Hmph! Ich werde sie nicht für dich öffnen. Tret doch so lange dagegen, wie du willst!“

Xue Yang lachte: „Merk dir deine Worte. Daozhang, repariere danach die Tür. Gib nicht mir die Schuld dafür.“

Nachdem er gesprochen hatte, trat er sofort die Holztür ein. Er trat über die hohe Schwelle und ging hinein. Er hielt den Korb gefüllt mit Gemüse in der einen Hand und einen purpurroten Apfel in der anderen. Gerade als er einen Bissen davon nahm, sah er nach unten, nur um zu sehen, wie Shuanghua sich in seinen Bauch versenkte.

Der Korb fiel zu Boden. Der Kohl, die Karotten, die Äpfel und die gedämpften Brötchen rollten über den Boden.

Xiao XingChen schrie mit leiser Stimme: „A-Qing, lauf!“

A-Qing bewegte sich so schnell sie konnte und stürmte durch die Tür des Sarghauses. Unmittelbar danach ging sie einen anderen Weg und schlich sich wieder zurück. Sie kletterte in ihr übliches Versteck, welches sie am häufigsten benutzte und mit dem sie am besten vertraut war, und sah nur mit ihrem Kopf heraus, um zu beobachten, was im Haus vor sich ging.

Xiao XingChen fragte kalt: „Hat es Spaß gemacht?“

Xue Yang nahm einen weiteren Bissen vom Apfel, der noch in seiner Hand war. Er antwortete erst, nachdem er ruhig eine Weile lang gekaut und die Frucht geschluckt hatte, „Ja. Natürlich hat es Spaß gemacht.“

Er benutzte nun wieder seine ursprüngliche Stimme.

Xiao XingChen, „Was sollte es dir bringen, all die Jahre an meiner Seite zu bleiben?“

Xue Yang, „Wer weiß? Vielleicht hatte ich Langeweile.“

Xiao XingChen zog Shuanghua heraus und machte sich wieder bereit für den nächsten Angriff, als Xue Yang hinzugefügte, „Daozhang Xiao XingChen, willst du immer noch die zweite Hälfte der Geschichte hören, die ich nicht zu Ende erzählt hatte?“

Xiao XingChen, „Nein.“

Obwohl er abgelehnt hatte, neigte sich sein Kopf leicht nach vorne und auch sein Schwert hielt inne. Xue Yang antwortete: „Nun, ich werde sie sowieso erzählen. Nachdem du sie gehört hast, und du dann immer noch denkst, dass alles meine Schuld ist, kannst du tun, was immer du willst.“

Er band sich beiläufig die Wunde am Bauch ab und unterdrückte sie so, damit sie nicht übertrieben stark blutete: „Das Kind sah den Mann, der es getäuscht hatte, um den Brief anzunehmen. Es fühlte sich beides, frustriert und glücklich. Es warf sich dem Mann entgegen, während es schrie, und sagte zu ihm: 'Ich habe den Brief dorthin gebracht, aber die Backwaren sind weg und ich wurde verprügelt. Kannst du mir noch einen Teller geben?' Der Mann schien von dem Stärkeren erwischt worden zu sein und war auch geschlagen worden. Sein Gesicht war verletzt. Als er sah, wie sich das schmutzige kleine Kind an sein Bein klammerte, konnte er nicht anders, als sich genervt zu fühlen und trat das Kind zur Seite. Er kletterte auf einen Ochsenwagen hinauf und sagte dem Wagenführer, er solle sofort losfahren. Das Kind stand vom Boden auf und jagte den Wagen hinterher. Es wollte wirklich den Teller mit dem Gebäck haben. Nachdem es sie endlich eingeholt hatte, stand es mit winkenden Armen vor den Wagen, um sie zum Halten zu bringen. Der Mann war zu verärgert über sein Gejammere. Er schnappte sich die Peitsche des Fahrers, und schlug mit der Peitsche auf den Kopf des Kindes und warf es somit auf den Boden.“

Dann sprach er betont ein Wort nach dem anderen: „Und dann ließ er die Räder des Wagens über die Hand des Kindes fahren, einen Finger nach dem anderen.“

Xiao XingChen konnte es nicht sehen, aber Xue Yang hob ihm seine linke Hand trotzdem entgegen, „Das Kind war sieben! Die Knochen seiner linken Hand wurden zertrümmert, während ein Finger nur noch zu matschigem Fleisch zerquetscht worden war! Dieser Mann war Chang Pings Vater. Daozhang Xiao XingChen, du warst so gerecht und so streng, als du mich zum Karpfenturm gebracht hast! Du hast mich verurteilt und mich gefragt, warum ich eine ganze Sekte ausgelöscht habe, nur wegen ein paar Verdächtigungen. Lag es daran, weil es nicht deine Finger waren, dass du nicht in der Lage warst, diesen Schmerz zu fühlen?! Ihr alle wisst gar nicht, wie schrecklich Schreie aus eurem eigenen Mund klingen können. Warum hast du nicht ihn befragt, warum er sich ohne einen einzigen Grund entschieden hat, sich mit mir zu amüsieren?! Der jetzige Xue Yang wurde dir vom verstorbenen Chang CiAn geschenkt! Der YueyangChang-Clan hat nur das geerntet, was er gesät hatte!“


Xiao XingChen sprach, als ob er Xue Yangs Worten nicht glauben könnte: „Chang CiAn brach dir in der Vergangenheit einen deiner Finger. Wenn du Rache nehmen wolltest, dann hättest du einfach einen von seinen Fingern brechen können. Wenn du dir die Sache wirklich zu Herzen genommen hast, dann hättest du ihm auch zwei, oder sogar auch alle zehn gebrochen! Selbst wenn du ihm einen ganzen Arm abgeschnitten hättest, dann wären viele Dinge nicht so abgelaufen wie sie gelaufen sind. Warum musstest du seinen ganzen Clan töten? Erzähl mir nicht, dass ein einziger Finger von dir gleichbedeutend war mit mehr als fünfzig Menschenleben!“

Xue Yang schien tatsächlich über diese Angelegenheit nachzudenken, als ob er Xiao XingChens Fragen seltsam finden würde, „Natürlich. Mein Finger war mein eigener, während diese Leben das von anderen waren. Das ist nicht gleichbedeutend, egal wie viele Leben ich genommen hätte. Es waren ja nur etwa fünfzig. Wie könnte es da gleichbedeutend mit einem meiner Finger sein?“

Xiao XingChens Gesicht wurde durch den selbstbewussten Ton von Xue Yang immer blasser. Er schrie, „Was ist dann mit den anderen?! Warum hast du dann den Baixue Tempel ausgelöscht? Warum hast du Daozhang Song ZiChens Augen geblendet?!“
Xue Yang erwiderte mit einer Gegenfrage: „Warum hast du mich dann aufgehalten? Warum hast du mich in dem behindert, was ich tun wollte? Warum hast du dich für den Abschaum des Chang-Clans eingesetzt? Du wolltest Chang CiAn helfen? Oder Chang Ping? Hahahahaha, wie hat Chang Ping zuerst Tränen der Dankbarkeit geweint? Und wie hat er dich später angefleht, ihm nicht mehr zu helfen? Daozhang Xiao XingChen, diese Angelegenheit war dein Fehler, von Anfang an. Du hättest dich einfach nicht in die Angelegenheiten anderer Menschen einmischen dürfen. Wer hatte Recht, wer hatte Unrecht; würde ein Außenstehender das jemals verstehen können? Oder, vielleicht hättest du den Berg erst gar nicht verlassen sollen. Deine Lehrerin, BaoShan SanRen, ist in der Tat klug. Warum hast du nicht auf sie gehört und dich weiterhin gehorsam in ihrer Schule auf dem Berg kultiviert? Wenn du das Geschehen auf dieser Welt nicht verstehen konntest, dann hättest du einfach nicht kommen dürfen!“

Das war mehr, als Xiao XingChen ertragen konnte, „.... Xue Yang, du bist wirklich.... außerordentlich ekelhaft....“

Als er das hörte, blitzte die Tötungsabsicht, die Xue Yang lange Zeit nicht mehr in seinen Augen gehabt hatte, wieder auf. Er lachte bitter: „Xiao XingChen, deshalb hasse ich dich. Die Leute, die ich am meisten hasse, sind diejenigen wie du, die sagen, dass sie rechtschaffen sind, die denken, dass sie tugendhaft sind, aber genau genommen sind es dumme, naive, dämliche Idioten wie du, die denken, dass die Welt besser wird, nur weil sie etwas Gutes getan haben! Du denkst, ich bin ekelhaft? Sehr gut. Ob es mich juckt, wenn jemand denkt, dass ich ekelhaft bin? Aber auf der anderen Seite, bist du überhaupt dazu in der Lage, so über mich zu urteilen?“

Xiao XingChen hielt leicht inne, „Was meinst du damit?“

A-Qings und Wei WuXians Herzen waren dabei, aus ihrer Brust zu springen!

Xue Yang sprach mit lieblicher Stimme weiter: „In letzter Zeit sind wir nachts nicht rausgegangen, um wandelnde Leichen zu töten, oder? Aber vor ein paar Jahren... gingen wir da nicht fast jeden Tag raus und töteten sie Haufenweise?“

Xiao XingChens Lippen bewegten sich, als ob er sich etwas unbehaglich fühlte: „Warum erwähnst du das gerade jetzt?“

Xue Yang, „Nur so, wirklich. Es ist nur wirklich schade, dass du blind bist. Du hast dir deine beiden Augen herausgerissen, und nun konntest du gar nicht sehen, welche 'wandelnden Leichen' du da getötet hast. Sie waren so was von verängstigt, hatten solche Schmerzen, als du ihnen ihr Herz durchstochen hast. Einige knieten sich sogar vor dir nieder und weinten und flehten, damit du wenigstens die jungen und älteren Menschen aus ihren Familien verschonst. Wenn ich ihnen zuvor nicht ihre Zungen herausgeschnitten hätte, hätte ich jede Wette abgeschlossen, das sie heulend und schreiend 'Daozhang, verschone uns' geschrien hätten.“

Xiao XingChens ganzer Körper begann zu zittern. Nach einer langen Zeit gelang es ihm zu sagen, „Du hast mich getäuscht. Du wolltest mich täuschen.“



Xue Yang, „Oh ja, ich habe dich getäuscht. Ich habe dich die ganze Zeit über getäuscht. Wer hätte das gedacht, dass du mir alles glauben würdest, während ich dich täuschte, doch nun wo ich dir die Wahrheit sage, glaubst du mir nicht?“

Xiao XingChen taumelte und schwankte bei jedem Wort von Xue Yang und rief: „Sei still! Sei endlich still!“

Xue Yang hielt sich seinen Bauchbereich. Mit der linken Hand schnipste er und wich dann ruhig zurück. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war nicht mehr als menschlich zu bezeichnen. Grünes Licht schien in seinen Augen zu leuchten. Zusammen mit den Eckzähnen, die sich bei seinem Lächeln zeigten, sah er aus, als wäre er ein lebendes Monster. Er rief: „In Ordnung! Ich werde still sein! Wenn du mir immer noch nicht glaubst, dann wende dich doch an denjenigen, der hinter dir steht. Bring ihn dazu, dir zu sagen, ob ich dich getäuscht habe oder nicht!“

Ein Schwertblick wirbelte eine Windböe auf. Xiao XingChen blockierte diesen natürlich mit Shuanghua. Als die beiden Schwerter aufeinanderprallten, spiegelte sein Gesicht absolutes Entsetzen wider. Oder man könnte sagen, dass sein ganzer Körper augenblicklich eine erstarrte Steinstatue darstellte, anstatt eines zusammen- gekrümmten Menschen. Xiao XingChen fragte mit äußerster Vorsicht, „... Bist du das, ZiChen?“


Es gab keine Antwort.

Song Lans Leiche stand hinter ihm. Es schien, als würde er Xiao XingChen anstarren, aber da waren keine Pupillen in seinen Augen. Er hielt das Schwert in seiner Hand, das zuvor mit Shuanghua kollidiert war. Die beiden hatten definitiv oft miteinander trainiert und voneinander gelernt. Selbst wenn die beiden Schwerter gerade aufeinandergeprallt waren, so sollte Xiao XingChen aufgrund der Stärke des Angriffs in der Lage sein zu sagen, wer der andere war. Doch Xiao XingChen schien sich nicht sicher zu sein. Er drehte sich langsam um und streckte seine zitternde Hand aus, um sich die Klinge von Song Lans Schwert anzufühlen.


Song Lan rührte sich nicht. Xiao XingChen bewegte seine Hand von der Spitze des Schwertes an zum Griff hin. Schließlich konnte er eine Gravur nach der anderen ertasten, die die Buchstaben für den Namen 'Fuxue' bildeten, die auf die Klinge des Schwertes geschnitzt worden waren.

Xiao XingChens Gesicht wurde noch blasser.

Fast verblüfft berührte er die Klinge von Fuxue und bemerkte nicht einmal, dass er sich dabei seine Handfläche aufschnitt. Er zitterte so sehr, dass sogar seine Stimme klang, als wäre sie in alle Winde zerstreut, „.... ZiChen... Daozhang Song... Daozhang Song... Daozhang Song... Bist du das...?“

Song Lan sah ihn an, ohne ein Geräusch zu machen.

Zwei erschreckend große Löcher mit Blut zeichneten sich bereits durch die Verbände um Xiao XingChens Augen herum ab, und es schien nicht aufzuhören, durchzusickern. Er wollte seine Hände ausstrecken, und die Person, die das Schwert hielt, zu berühren, aber er hatte zu viel Angst davor und ließ seine Arme wieder sinken. Wellen reißenden Schmerzes krochen durch A-Qings Brust. Beide, Wei WuXian und sie hatten Probleme, überhaupt zu atmen. Ihre Unfähigkeit zu atmen ließ ihre Tränen in Strömen aus ihren Augen herauslaufen.

Xiao XingChen stand da, wo er war, ohne zu wissen, was er tun sollte, „.... Was ist passiert? So sag doch etwas...“

Er war völlig aufgelöst: „Kann irgendjemand irgendetwas sagen?“

Wie er es sich gewünscht hatte, sagte Xue Yang: „Muss ich dir denn wirklich noch sagen, wer die wandelnde Leiche war, die du gestern getötet hast?“

Ein Scheppern.

Shuanghua fiel auf den Boden.

Xue Yang brach in hysterisches Lachen aus.

Xiao XingChen stand kraftlos und leer vor Song Lan. Er legte seine Hände an den Kopf und schrie, als würde es ihm die Brust zerreißen. Xue Yang lachte so heftig, dass sich in seinen Augenwinkeln Tränen bildeten. Er grölte, „Was stimmt denn jetzt schon wieder nicht? Bist du etwa so gerührt, deinen alten Freund wiederzusehen, dass du sogar weinst! Möchtest du ihn gerne in deine Arme schließen?!“

A-Qing bedeckte ihren Mund so fest sie konnte und weigerte sich, nur einen Ton ihres Wimmerns herauszulassen. Innerhalb des Sarghauses schritt Xue Yang von einer Seite zur anderen, während er mit einem erschreckenden Ton von Zorn und Ekstase fluchte: „Die Welt retten! Was für ein Witz. Du kannst nicht mal dich selbst retten!"

Ein scharfkantiger Schmerz stach auf Wei WuXians Kopf ein. Diesmal waren die Schmerzen nicht von A-Qings Seele.

Niedergeschlagen kniete Xiao XingChen auf dem Boden, zu Song Lans Füßen. Er rückte sich selbst immer näher an ihn heran, während er immer mehr zu einem kleinen, schwachen Klumpen von irgendetwas schrumpfte, der hoffte, dass er von dieser Welt verschwinden würde. Seine schneeweißen Gewänder waren bereits mit Staub und Blut bedeckt. Xue Yang schrie ihn an: „Du konntest nichts tun, du hast kläglich versagt, du bist die Einzige, der für all das hier verantwortlich ist - du hast um all das hier gebeten!“

In diesem Moment sah Wei WuXian sich selbst in Xiao XingChen.

Er, der kläglich versagt hatte, während er blutdurchtränkt da stand, und nichts anderes tun konnte, als stillschweigend die Kritik und Anschuldigungen anzuerkennen, die völlig hoffnungslos waren, und einem nur die Tränen der puren Verzweiflung in die Augen trieben.

Die weißen Verbände waren vollständig rot gefärbt. Xiao XingChens Gesicht war bedeckt mit Blut. Ohne Augen zum Weinen konnte er nur blutige Tränen vergießen. Nachdem er jahrelang getäuscht worden war, indem er seinen Feind als Freund angesehen hatte, war nun all seine Freundlichkeit übergangen worden. Er hatte immer gedacht, dass er Geister exorzierte, aber seine Hände waren in das Blut von Unschuldigen gebadet worden. Er hatte sogar seinen besten Freund getötet! Er konnte nur vor Schmerz wimmern: „Bitte. Lass mich gehen.“



Xue Yang, „Wolltest du mich nicht gerade erst mit deinem Schwert töten? Warum flehst du mich an, dich jetzt gehen zu lassen?“

Er wusste genau, dass Xiao XingChen nicht mehr in der Lage sein würde, sein Schwert wieder in die Hand zu nehmen, solange ihn Song Lans Leiche beschützte. Er hatte wieder gewonnen. Es war ein überwältigender Sieg.

Plötzlich schnappte sich Xiao XingChen Shuanghua, das auf dem Boden gelegen hatte. Er drehte den Körper des Schwertes herum und legte sich die scharfe Klinge an seinen Hals. Die klare Spiegelung eines silbernen Schwertblicks blitzte über Xue Yangs dunkle, leblose Augen. Xiao XingChen löste seinen Griff. Karmesinrotes Blut sickerte über Shuanghuas Klinge. Nach einem klaren Echo eines stürzenden Schwertes hörte beides auf: Xue Yangs Bewegungen und sein Lachen.

Nach einem Moment der Stille ging er zu Xiao XingChens bewegungsloser Leiche herüber. Er sah mit blutunterlaufenen Augen nach unten, und das dämonische Grinsen auf seinen Lippen sank langsam. Wei WuXian wusste nicht, ob er versehentlich etwas falsches gesehen hatte, aber es schien, dass der untere Rand von Xue Yangs Augen eine rötliche Färbung annahm.

Unmittelbar danach zischte er durch zusammengebissene Zähne: „Du zwingst mich wirklich, das zu tun!“

Dann lachte er grimmig und sprach zu sich selbst: „Ein Toter ist besser! Nur tote Menschen hören richtig zu.“

Xue Yang fühlte nach Xiao XingChens Atem und drückte sein Handgelenk, als ob er dachte, dass er noch nicht tot genug wäre, dass er nicht starr genug wäre. Er stand auf, ging ins Schlafzimmer auf der Seite und kam mit einem Becken mit Wasser wieder zurück. Mit einem sauberen Handtuch wischte er alles Blut auf Xiao XingChens Gesicht weg. Er tauschte sogar die alten Verbände gegen neue aus, und wickelte sie vorsichtig um ihn.
Er malte eine Anordnung auf den Boden, bereitete die benötigten Materialien vor und platzierte Xiao XingChen richtig in der Mitte. Er erinnerte sich nur daran, dass er sich noch um seine eigene Bauchwunde kümmern musste, nachdem er die ganzen Dinge erledigt hatte. Wahrscheinlich in dem Gedanken, dass sich die beiden schon nach kurzer Zeit wieder treffen könnten, wurde seine Stimmung immer besser und besser. Er hob alle Obst- und Gemüsesorten auf, die ihm zuvor heruntergefallen waren und auf dem Boden zerstreut waren und legte sie wieder in den Korb. Aus einem seltenen Anflug von Sorgfalt heraus, reinigte er sogar das Haus und legte eine neue Schicht Stroh in A-Qings Sarg.

Schließlich nahm er das Süßigkeitenstück heraus, das Xiao XingChen ihm am Abend zuvor gegeben hatte. Gerade als er es sich in den Mund stecken wollte, dachte er eine Weile nach. Er hielt den Drang zurück und legte es wieder zurück. Mit einer Hand, auf der er sein Kinn aus Langeweile abgestützt hatte, wartete er darauf, dass sich Xiao XingChen aufrichtete.

Aber es passierte nichts.

So wie sich der Himmel draußen bereits verdunkelt hatte, so verdunkelte sich auch der Ausdruck von Xue Yang. Er klopfte mit den Fingern gereizt auf dem Tisch. Als die Abenddämmerung ganz einbrach, trat er den Tisch um und fluchte. Er stand auf und kniete halb vor Xiao XingChens Leiche nieder, überprüfte die Anordnung und die Beschwörungen, die er darum gezeichnet hatte. Nach wiederholten Untersuchungen bemerkte er allerdings, dass alles in Ordnung war. Jedoch, nachdem er seine Stirn für einen Moment nachdenklich gerunzelt hatte, wischte er alles wieder weg und überarbeitete das ganze Ding.

Diesmal saß Xue Yang direkt auf dem Boden und starrte geduldig auf Xiao XingChen. Er wartete eine ganze Weile. A-Qings Beine hatten bereits drei Stadien der Taubheit durchlaufen. Jetzt juckten und schmerzten sie beide, als ob Tausende von Ameisen an ihnen knabberten. Ihre Augen waren auch durch das ganze Weinen geschwollen. Ihr Blick war etwas verschwommen.

Nach weiteren zwei Stunden befand Xue Yang schließlich, dass die Situation außer Kontrolle geraten war. Er legte seine Hand auf Xiao XingChens Stirn und schloss die Augen für die nähere Untersuchung. Einen Moment später flogen seine Augen auf.

Wei WuXian ahnte es bereits. Was er noch erkennen konnte, waren wahrscheinlich nur ein paar Fetzen einer fragmentierten Seele. Und eine Seele, die so gebrochen worden war, konnte niemals dazu genutzt werden eine wilde Leiche zu werden.

Es schien, dass Xue Yang nie damit gerechnet hätte, dass so etwas passieren würde. Auf seinem Gesicht, dass sonst ständig grinste, erschien zum ersten Mal eine Leere. Ohne weiter nachzudenken, obwohl es dafür schon viel zu spät war, drückte er seine Hände gegen die Wunde an Xiao XingChens Hals. Allerdings war das gesamte Blut bereits abgeflossen. Xiao XingChens Gesicht war weißer als Papier. Eine große Fläche dunkelroten, getrockneten Blutes war an seinem Hals. Die Wunde nun abzudrücken würde jetzt nichts mehr bewirken.

Xiao XingChen war tot. Er war vollständig gestorben. Sogar seine Seele war zerbrochen.



Das Kind aus Xue Yangs Geschichte, das geweint hatte, weil es kein Gebäck essen konnte, war das komplette Gegenteil vom jetzigen Selbst. Es war fast unmöglich, die beiden miteinander zu verbinden. Doch in diesem Augenblick konnte Wei WuXian endlich ein paar Spuren dieses unwissenden, verwirrten Kindes in Xue Yangs Gesicht entdecken.

In wenigen Augenblicken erschienen rote Äderchen in Xue Yangs Augen. Er stand plötzlich auf. Ballte seine beiden Hände zu Fäusten, rastete komplett aus und wütete im Sarghaus herum. Er trat und schlug, und zerstörte lautstark das Haus, das er gerade erst gereinigt hatte.

In diesem Moment, in diesem Augenblick, war sein Ausdruck, die Geräusche, die er machte, dem Wort 'wahnsinnig' näher als jemals alle Worte zusammengefasst davor. Nachdem er das ganze Haus zerstört hatte, beruhigte er sich wieder. Er hockte sich dort hin, wo er gerade stand und sagte mit kindlicher Stimme, „Xiao XingChen.“

Er fuhr fort: „Wenn du jetzt nicht aufstehst, werde ich deinen lieben Freund Song Lan dazu bringen, Menschen umzubringen. Ich werde jeden in der gesamten Stadt Yi töten lassen und sie zu lebenden Leichen machen. Du hast hier eine so lange Zeit gelebt. Ist das wirklich in Ordnung, wenn du dich nicht darum kümmerst? Ich erwürge diese kleine blinde A-Qing und lasse ihre Leiche auf den Feldern liegen, damit die wilden Hunde sie in die Luft zerfetzen und dann verschlingen können.“

A-Qing zitterte lautlos.

Nachdem er keine Antwort erhalten hatte, schrie Xue Yang plötzlich aus Wut: „Xiao XingChen!“

Er packte Xiao XingChen an seinem Kragen, obwohl das gar nichts brachte, und schüttelte ihn ein paar Mal, während er auf das leblose Gesicht in seinen Händen starrte. Plötzlich zog er Xiao XingChen an seinem Arm nach oben und hob ihn auf seinen Rücken. Xue Yang trug die Leiche zur Tür. Als ob er den Verstand nun endgültig verloren hätte, flüsterte er in einem fort, „Seelenfesselnder Beutel, Seelenfesselnder Beutel, Seelenfesselnder Beutel. Richtig, ein Seelenfesselnder Beutel. Ich brauche einen Seelenfesselnden Beutel, einen Seelenfesselnden Beutel, einen Seelenfesselnden Beutel....“

Erst nachdem er weit weg war, wagte es A-Qing, sich leicht zu bewegen. Da sie nicht in der Lage war, sich selbst auszubalancieren, stürzte sie auf den Boden und kroch erst wieder auf, nachdem sie sich für eine Weile gewunden hatte. Sie schaffte es, noch ein paar Schritte vorwärts zu gehen. Als sie ihre Muskeln etwas gestreckt hatte, fing sie an, immer schneller und schneller und schneller zu gehen und begann schließlich zu laufen.

Nachdem sie so weit gelaufen war, dass die Stadt Yi weit hinter ihr lag, ließ sie schließlich all die Schreie raus, die sie so lange in sich selbst begraben hatte, „Daozhang! Daozhang! Aaah, Daozhang!.....“

Das Szenario änderte sich plötzlich und wurde anders. Zu diesem Zeitpunkt war A-Qing wahrscheinlich schon seit ein paar Tagen auf der Flucht. Sie spazierte durch eine unbekannte Stadt, hielt ihren Bambusstab und gab vor, wieder blind zu sein. Sie fragte jeden, der ihr begegnete: „Entschuldigung, gibt es hier irgendwelche großen Sekten?“

Entschuldigung, gibt es irgendwo sehr starke und mächtige Leute in der Gegend? Starke Leute, die sich kultivieren.“

Wei WuXian dachte bei sich selbst, Sie sucht nach Leuten, die ihr helfen können, Rache zu nehmen für Xiao XingChen.

Leider nahm niemand ihre Fragen ernst. Die Leute gingen oft schon nach wenigen halbherzigen Sätzen weg. A-Qing war jedoch noch nicht entmutigt. Sie fragte unermüdlich weiter, auch wenn sie die ganze Zeit nur weg gescheucht wurde. Als sie sah, dass sie hier keine Antworten bekommen konnte, verließ sie den Weg und wandte sich einem schmaleren Pfad zu.

Sie war den ganzen Tag gelaufen und hatte Leute befragt. Erschöpft ließ sie ihre schweren Beine in einem Bach baumeln. Sie schröpfte mit ihren Händen Wasser und trank ein paar Schlucke und beruhigte somit ihre trockene Kehle. Durch das Wasser sah sie die hölzerne Haarnadel in ihrem Haar und griff nach ihr.

Als sie die Haarnadel ansah, kräuselte A-Qing ihre Lippen und wollte wieder weinen. Ihr Magen knurrte, und sie nahm einen kleinen, weißen Geldbeutel aus ihrem Revers. Es war derjenige, den sie von Xiao XingChen gestohlen hatte. Sie holte eine kleine Süßigkeit aus dem Inneren heraus und leckte vorsichtig daran. Nachdem die Spitze ihrer Zunge die Süße geschmeckt hatte, legte sie die Süßigkeit wieder zurück. Es war das letzte Stück Süßigkeit, dass sie von Xiao XingChen bekommen hatte. A-Qing blickte traurig nach unten und packte den Beutel wieder weg. Mit diesem Blick sah sie plötzlich den Schatten einer anderen Person in der Spiegelung des Wassers.

Xue Yang lächelte sie durch die Spiegelung an.

Mit einem erschrockenen Schrei krabbelte A-Qing sofort davon. Xue Yang hatte schon eine ganze Weile hinter ihr gestanden. Mit Shuanghua in der Hand öffnete er seine Arme und machte die Geste einer Umarmung. Fröhlich sprach er: „A-Qing, warum bist du weglaufen? Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen. Vermisst du mich denn nicht?“

A-Qing schrie: „Hilfe!“

Doch dies war nur ein abschüssiger Bergweg. Niemand würde kommen, um ihr zu helfen. Xue Yang hob eine Braue an: „Ich bin dir zufällig begegnet, als du dich in der Stadt herumgefragt hast, nachdem ich meine Geschäfte hier in Yueyang beendet habe. Was für eine wunderbare Wendung des Schicksals. Wo wir gerade davon sprechen... deine Schauspielkunst ist großartig! Du hast sogar mich eine so lange Zeit getäuscht. Gut gemacht.“

A-Qing wusste, dass es diesmal keine Chance gab, dem Tod zu entkommen. Nach dem ersten Schock, und dem Wissen, dass sie nun sowieso sterben würde, warum sollte sie dann nicht sterben, nachdem sie ihn mit allem verflucht hatte, was ihr einfiel? Wieder mutiger werdend, sprang sie auf und spuckte: „Du Tier! Undankbarer Mistkerl! Der Niedrigste aller niederen Bastarde! Deine Eltern müssen im Schweinestall geschlafen haben, damit so ein Hurensohn wie du dabei rauskommen konnte! Du bist nur eine dreckige Bakterie, die aufgewachsen ist, weil sie Scheiße gefressen hat!“

Nachdem sie es gewohnt war, über Marktplätze zu streifen, hatte sie sich mehr als nur ein paar Flüche und Verwünschungen angeeignet. Sie spuckte alle Schimpfwörter aus, die ihr in den Sinn kamen. Xue Yang grinste nur und hörte ihr zu: „Du bist ziemlich gut darin, nicht wahr? Warum hast du dich nie so unhöflich in Xiao XingChen Gegenwart ausgedrückt? Kommt da noch mehr?“

A-Qing fuhr fort: „Fick dich, du schamloser Drecksack! Und du wagst es immer noch, Daozhang zu erwähnen und Daozhangs Schwert zu halten! Verdienst du es, es zu halten? Du beschmutzt sein Eigentum!“

Xue Yang hielt Shuanghua mit der linken Hand hoch: „Oh, du meinst das hier? Es gehört jetzt mir. Denkst du etwa, dass dein Daozhang sauberer ist? Wenn ich hiermit fertig bin, dann wird auch er...“

A-Qing, „Träum weiter, du Stück Scheiße! Du verdienst es nicht, Daozhang unrein zu nennen. Du bist nur eine Lache Spucke! Daozhang muss der unglücklichste Mann der Welt gewesen sein, weil der dich getroffen hatte! Du bist der Einzige, der schmutzig ist! Eine ekelhafte Lache aus Rotz bist du, mehr nicht!“

Xue Yangs Gesichtsausdruck verfinsterte sich schließlich. Nachdem sie so lange Zeit am Rande des Abgrundes gestanden hatte, fühlte sich A-Qing nun schließlich sogar seltsam erleichtert, da nun der Moment gekommen schien.

Xue Yang sprach in einem kalten Tonfall: „Da du gerne so tust, als wärst du blind, warum wirst du dann nicht wirklich blind?“

Mit einer Handbewegung fiel eine Art Pulver auf ihr Gesicht und kam in ihre Augen. Sofort wurde alles, was sie sehen konnte, blutig rot, und dann wurde es dunkel. Von den brennenden Schmerzen in ihren Augen gepeinigt, stieß A-Qing ein Kreischen aus, dass das Blut in den Adern gefrieren lassen könnte. Xue Yangs Stimme erklang wieder: „Du bist mir zu gesprächig. Du wirst deine Zunge auch nicht mehr brauchen.“

Das knisternde Klingeln des silbernen Glöckchen erklang, als wäre es direkt neben Wei WuXian, aber dennoch war er noch immer in A-Qings Emotionen vertieft, und es schien im gerade unmöglich, zur Vernunft zu kommen. In seinem Kopf drehte sich alles. Lan JingYi winkte mit der Hand vor ihm: „Er zeigt keine Reaktion. Was ist, wenn er seinen Verstand verloren hat?“

Jin Ling, „Ich habe ja bereits gesagt, dass Empathie sehr gefährlich ist!“

Lan JingYi, „Nun, es liegt nur daran, weil dein Kopf in den Wolken war und du das Glöckchen nicht rechtzeitig geläutet hast!“

Jin Lings Gesicht erstarrte, „Ich....“

Glücklicherweise war Wei WuXian endlich zu sich gekommen. Er stand gegen den Sarg gelehnt auf. A-Qing, die seinen Körper bereits verlassen hatte, lehnte ebenfalls am Sarg. Die Jungs schwärmten um ihn herum, als ob sie ein Wurf von Ferkeln wären und redeten alle gleichzeitig: „Er ist wach, er ist wach!“

Puh, er hat doch nicht seinen Verstand verloren.“

Hatte er nicht schon von Anfang an nicht mehr alle Tassen im Schrank?“

Rede keinen Unsinn!“

Mit dem ganzen Geplapper um ihn herum klingelten schon seine Ohren, daher sagte Wei WuXian: „Seid nicht so laut. Mein Kopf fühlt sich schrecklich an.“

Sie beruhigten sich sofort. Wei WuXian blickte nach unten, griff in den Sarg hinein und öffnete Xiao XingChens Kragen. Wie er es erwartet hatte, befand sich an seinem Hals eine dünne, aber tödliche Wunde. Wei WuXian seufzte schweigend und wandte sich an A-Qing: „Danke für die Mühe.“

Der Grund, warum A-Qings Geist blind war, aber sie nicht so langsam oder so vorsichtig war wie andere blinde Menschen, war, weil sie erst in dem Moment, in dem sie gestorben war, wirklich blind geworden war. Zuvor war sie ein schnelles, lebhaftes Mädchen gewesen.

In den vergangenen Jahren hatte sie sich allein in den Nebeln der Stadt Yi versteckt und war heimlich gegen Xue Yang vorgegangen. Sie erschreckte die Menschen, die in die Stadt eingedrungen waren, und warnte sie, indem sie sie nach draußen führte. Wie viel Mut und Hingabe hatte sie, um das alles tun zu können? Am Rand des Sarges legte A-Qing ihre Handflächen zusammen und bedankte sich bei Wei WuXian ein paar Mal. Dann, ihrem Bambusstab wie ein Schwert erhebend, gestikulierte sie einige Male die 'töten, töten, töten, töten'-Geste, mit der sie früher immer herumgealbert hatte.

Wei WuXian antwortete: „Keine Sorge.“

Er wandte sich an die Jünger: „Bleibt hier, ihr alle. Die wandelnden Leichen in der Stadt werden nicht hierher kommen können. Ich bin bald wieder da.“

Lan JingYi konnte nicht anders, als zu fragen: „Was hast du während der Empathie gesehen?“

Wei WuXian, „Das ist eine zu lange Geschichte. Ich erzähle es dir später.“

Jin Ling, „Kannst du sie nicht zusammenfassen? Lass uns doch hier nicht mit diesem Cliffhanger zurück!“

Wei WuXian antwortete dunkel, „Zusammengefasst: Xue Yang muss sterben.“

Inmitten des dichten Nebels, der sich nur so weit ausdehnte, wie das Auge sehen konnte, zeigten ihm A-Qings Klopfen auf dem Boden mit ihrer Stange den Weg. Die beiden bewegten sich schnell und kehrten sofort dorthin zurück, wo der Kampf gerade stattfand.

Lan WangJi und Xue Yang waren bereits draußen. Die Schwertblicke von Bichen und Jiangzai kollidierten - der Kampf war an seinem kritischen Punkt angekommen. Bichen war ruhig und gelassen, und schien die Oberhand zu gewinnen, während Jiangzai wie ein tollwütiger Hund um sich schlug, es dabei jedoch schaffte, Schritt zu halten. Doch in diesem schrecklichen weißen Nebel hatte Lan WangJi mit der Sicht Schwierigkeiten, aber da Xue Yang so viele Jahre in der Stadt gelebt hatte wie A-Qing, war es ihm möglich zu wissen, wo er war, selbst wenn er die Augen geschlossen hatte. So befand sich der Kampf in einer Sackgasse. Die Klänge der Guqin donnerten manchmal durch den Nebel und verhinderten so die Gruppen von wandelnden Leichen, die sich ihnen nähern wollte. Gerade als Wei WuXian im Begriff war, seine Flöte herauszunehmen, schlugen zwei schwarze Gestalten vor ihm nieder, als wären es zwei eiserne Pagoden. Wen Ning drückte Song Lan auf den Boden. Beide Leichen hielten sich gegenseitig an den Hälsen mit den Händen, ihre Knöchel knackten lautstark. Wei WuXian befahl: „Halte ihn fest!“

Er beugte sich nach unten und fand schnell die Enden der beiden Nägel, die durch Song Lans Kopf gingen. Er fühlte sich sofort erleichtert. Die Nägel waren viel dünner als die im Inneren von Wen Nings Kopf und das verwendete Material war ebenfalls unterschiedlich. Es sollte nicht allzu schwierig sein, Song Lan wieder zurück zu Bewusstsein zu kriegen. Er umfasste sofort die beiden Enden, und begann langsam die Nägel raus zu ziehen. Diese seltsamen Objekte in seinem Kopf plötzlich spürend, vergrößerte Song Lan seine Augen und knurrte mit leiser Stimme. Wen Ning konnte ihn nur daran hindern, sich loszureißen, indem er noch mehr Kraft aufwendete. Sofort nachdem die Nägel herausgezogen worden waren, schien es, als wäre er eine Marionette, deren Schnüre man abgeschnitten hatte, und er brach auf dem Boden zusammen und blieb liegen.

Plötzlich ertönte wütendes Gebrüll aus dem Kampf der beiden anderen: „Gib es zurück!“






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